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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

quält sie auf alle Weise. Als sie ein Kind bekommt und mit diesem zärtlich thut, glaubt er, sie übertrage ihre Liebe ganz auf das Kind, und entzieht es ihr. Da sie es ohne Klage weggiebt, zweifelt er nun zwar nicht mehr an ihrer Liebe, gleichwohl will er sie von Neuem prüfen, diesmal, um der ganzen Welt ihre Güte, Milde und Weisheit zu offenbaren, also aus einer Art Egoismus der Eitelkeit. Der Ausgang ist dann der frühere. Hier ist die Geschichte schon in eine sehr moderne Beleuchtung gerückt und psychologisch wahrscheinlicher gemacht!

Auch Ludwig Heinrich Nicolay setzt in seiner Ballade „Griselde“ (1810) die arme Dulderin den gleichen Quälereien eines mißtrauischen und mürrischen Gatten aus. Die erste strengere Prüfung der jungen Frau besteht in dem Verbote, ihren alten Vater zu besuchen, dann folgt die Wegnahme der Tochter und die Verstoßung der Mutter. Diesmal motivirt der Graf – hier Anton genannt – sein Handeln damit, daß er sie verstoßen müsse, weil sie keinen Sohn bekomme. Die neue Braut ist dabei die Schwester des Grafen. Der alte Vater wird mit in’s Grafenschloß geholt, beide Gatten leben minniglich miteinander und der Himmel bescheert Griselden, zum Lohn für ihre Treue, den ausgebliebenen Sohn.

Inzwischen war auch die arme Dulderin in Musik gesetzt worden, in einem Melodram von Zeno und einer Oper von Paer.

Eine neue Metamorphose mit reicher dichterischer Verklärung gewann dieselbe in dem bekannten dramatischen Gedichte von Halm, der sie zunächst in eine ganz andere romantisch-phantastische Atmosphäre rückte, indem er sie an den sagenhaften Hof des Königs Artus verlegte. Der zum Ritter Percival umgetaufte Markgraf Walter theilt mit dem Perrault’schen die schlimme Meinung von der Frauenwelt. Er ist aber kein Grillenfänger wie jener, sondern ein rauher Naturmensch, dem eben die Natur über Alles geht, auch im Weibe. Das ist’s, was ihn zur Griseldis, dem reinen und unverfälschtem Naturkinde, hingezogen hat. Er hat ihre treue Liebe schon vor dem Beginne der dramatischen Handlung einmal prüfen können, nicht in Folge eigenen Entschlusses, sondern bei einem durch den Zufall der Umstände herbeigeführten Conflicte. Sie hat, als gleichzeitig ihre Mutter im Sterben und ihr Gatte schwer verwundet darniederlagen, das Lager des Gatten nicht verlassen und jene ohne Abschied sterben lassen. Er lebt mit ihr nicht blos glücklich, er hat auch die höchste Meinung von ihr. Er schätzt sie über alle Frauen, und als er damit, daß er sie noch über die Königin stellt, diese selbst beleidigt, giebt diese die sühnenden Proben auf, die sonst als Ausflüsse von des Grafen eigener Entschließung erscheinen. Das Ganze spitzt sich dabei zu einer Art Wette zu, wie wir das ähnlich bei Nicolay finden. Walter-Percival sucht sich dann die Scrupel über sein Handeln, welche sich in seiner schlichten Seele denn doch einfinden, mit Sophismen hinwegzuphilosophiren, wie diese: Griseldis sei als sein Weib Fleisch von seinem Fleische, wer aber wolle es Jemand verwehren, in sein eigen Fleisch zu stoßen? Oder dem weit schwächeren: Ich prüfe mein Schlachtroß, meine Klinge, weshalb soll ich nicht mein Weib prüfen? Griseldis selbst macht es ihm hier weit schwerer, die Prüfung durchzuführen. Ihre Mutterliebe ist nahezu ebenso stark, wie ihre Liebe zum Gatten, und Percival muß schon hohe Trümpfe ausspielen, muß die Gefahr seines eigenen Lebens vorspiegeln, ehe er das Kind von ihrem Herzen bringt.

Griseldens Vater ist auch nicht mehr der alte Janicula, der die Heimkehr der Tochter gleichgültig und wie selbstverständlich hinnimmt. Er empfängt sie, wie das schön bei Hans Sachs der Fall war, mit Groll und lautem Hohne. Sie habe Abgötterei mit ihrem Gatten getrieben, nun empfange sie ihren Lohn. „Du warst,“ schleudert er ihr entgegen, „nicht sein Gemahl, nur seine Dirne.“ Halm begnügt sich nicht mit zweien, er fügt steigernd noch eine dritte Probe hinzu. Er stellt die Arme noch vor die Alternative zu wählen zwischen dem Tode des Vaters oder dem des Gatten, eine Alternative, vor welche auch in der oben gedachten Erzählung „Pontus und Sidonia“ die Letztere sich gestellt sieht. Griseldens Liebe besteht auch noch diese Probe, was sie aber nicht mehr besteht, das ist die nunmehr kommende Entdeckung des mit ihr getriebenen Spiels. Noch meint Percival: Sie liebt mich, darum wird sie mir vergeben. Er täuscht sich tief, denn die Liebe leidet nur um Liebe, nicht aber um der Sättigung männlicher Eitelkeit Willen. Der Lorbeerkranz, den er ihr erstritten zu haben meint, ihr ist er ein Dornenkranz. Ihr Glaube ging verloren und nichts, auch nicht die heiligsten Versicherungen, die verheißendsten Betheuerungen bringen ihn wieder zurück. Sie scheidet sich von ihm. Er hat ihre Liebe für immer verscherzt.

Diese Lösung entspricht allein dem sittlichen Bewußtsein der Gegenwart, dem Geiste eines gebildeten Zeitalters. Freilich schneidet sie auch dem Griseldis-Thema seine fernere Existenzberechtigung ab. Die eigenthümliche Fortentwickelung, welche dasselbe im Laufe der Zeiten erlebt hat, fällt gleichsam zusammen mit der Fortentwickelung der socialen Stellung der Frau.

Die Entstehung der Griseldis Mythe oder ihre geschichtliche Existenz gehören oder müssen wohl einer Zeit angehören, wo die freie Entfaltung der Person überhaupt, namentlich aber der Person des Weibes noch im Banne einer künstlich geschaffenen Lebensordnung stand, wo der tiefe Stand zu dem höheren noch mit einem unterwürfigen Gehorsamsgefühle hinaufsah. Was Markgraf Walter da forderte, das war noch sein Recht. Schon zu Boccaccio’s Zeiten war wenigstens in den höheren Gesellschaftsschichten die Stellung der Frauen eine freiere geworden. Deshalb macht auch Dioneo, der einleitende Erzähler Boccaccio’s, die Bemerkung, daß der Markgraf es verdient habe, wenn die Sache schlimmer geendet habe. Auch Chaucer hält das Verfahren Walter’s, wie wir sahen, für ein Wagniß. Dagegen bestand in den bürgerlichen Kreisen, in welchen Hans Sachs lebte, noch die ältere Anschauung von der Unterthänigkeit des Weibes gegenüber dem Manne, wenn diesem auch ein liebendes Entgegenkommen noch nebenbei zur Pflicht gemacht wird. Besonders in Frankreich, in Paris vollzog sich eine freiere Basirung der Frau. Da konnte Markgraf Walter schon blos noch als melancholischer Grillenfänger und seine Handlungsweise als veraltetes Curiosum existiren. Als die socialen Revolutionen die alten Standesbegriffe mehr und mehr über den Haufen warfen, verfiel dieselbe geradezu dem moralischen Strafgerichte. Und doch konnte bei einer Aufführung der Halm’schen Griseldis in Tirol die dortige Landbevölkerung gegen den Ausgang des Dramas noch lebhaft protestiren und die Rückkehr der Griseldis zu ihrem Manne gebieterisch verlangen. So stark war dort im Volke noch die Macht des Alten.

Seit der Composition des Halm’schen Dramas sind weitere vierzig Jahre verflossen, Jahre des mächtigsten Fortschritts auf allen Gebieten, besonders auch in Bezug auf die sociale Stellung der Frau. Das Griseldis-Drama würde heutzutage kaum über den ersten Act hinauskommen. Darum ist die Liebe, auch die treue und aufopfernde, noch nicht aus der Welt hinausgestoßen, sie verlangt nur jetzt Maß für Maß, gleiches Maß für Beide.

Fr. Helbig.

Auch ein slavischer Agitator.
Ein verspäteter Nachruf.

Am 26. Mai ist zu Prag in der Hofwohnung eines kleinen Hauses einer Nebenstraße Franz Palazky, lange Jahre das Haupt der czechischen Partei, verschieden. Wenige Wochen zuvor hatten czechische Führer ein Jubelbankett veranstaltet, weil von Palazky’s großem böhmischem Geschichtswerke soeben der letzte Band erschienen war. Aber nicht diesem Anlasse galten Lärm und Geräusch des Festes, denn Palazky, der Historiker welcher mit unermüdlichem Fleiße die Archive Europas durchforscht hat, wäre niemals zu hervorragendem Ansehen bei seinen Stammesgenossen gelangt. Es liegt nicht in Art und Blut des czechischen Volkes, die nüchterne, mühsame Arbeit eines Gelehrtenlebens würdigen zu können. Palazky’s Ansehen war eine Frucht seiner politischen Thätigkeit, welche durch fünfzig Jahre währte und in ihren letzten Consequenzen die Wiederherstellung eines czechischen Reiches bezweckte. In den verschiedensten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_828.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)