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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Muth war nie seine Sache gewesen. In seinem Ablehnungsschreiben glaubte er hervorheben zu sollen, daß man seine Ernennung zum Minister als eine Beleidigung der Deutschen in Oesterreich deuten möchte. In Prag fand Palazky seine Fassung bald wieder. Er agierte gegen die Wahlen für das Frankfurter Parlament, präsidirte dem Slavencongresse, protestirte gegen das Tragen deutscher Farben und publicirte Kundgebungen so feindlicher Sprache gegen die liberalen Deutschen und Ungarn, daß nach den Prager Barrikadenkämpfen Windischgrätz ein Lobsprecher der Richtung Palazky’s wurde und Jelacic, der General der Camarilla, nach der Einnahme Wiens am 5. November Palazky zu sich berief, um ihm ein Gutachten über die österreichische Verfassungsfragen abzufordern. Dieser Egeriadienst, welchen Palazky den Häuptern der Reaction leistete, hatte zur Folge, daß der Reichstag nicht nach Wunsch der Deutschen nach Wien, sondern auf Vorschlag Palazky’s in das öde Städtchen Kremsier berufen wurde. Hier plante Palazky einen Verfassungsentwurf, welcher Oesterreich in sieben Gruppen theilen sollte. „Man müßte eine Armee von sechsmalhunderttausend Mann haben, um dieser Verfassung Anerkennung und Geltung zu erkämpfen,“ meinte Fürst Schwarzenberg, welcher damals in die Arena trat und die Auflösung des Kremsierer Reichstages betrieb und auch erreichte. Palazky hatte nun den verdienten Lohn seiner öffentlichen Thätigkeit gefunden. Die Dienste, welche er der Hofpartei geleistet, waren nutzlos, die conservativ-reactionäre Gesinnung, mit welcher er prunkte, hatte nicht gehindert, daß ihn die neuen Männer des Tages verächtlich bei Seite schoben, als die Siege in Italien sich als wirksamste Reichsstütze erwiesen und die Allianz mit dem eigenwilligen dickschädligen czechischen Gelehrten unnütz machten. Mißmuthig zog sich Palazky nach Prag zurück. Ihm tönte der Ruf nach, daß er „ein Mörder der jungen Freiheit in Oesterreich gewesen sei.“

Durch zehn Jahre wirkte Palazky fortab nur literarisch für seine Zwecke, aber 1860, als das Octoberdiplom erlassen wurde, trat er neuerdings auf den politischen Schauplatz. Wieder begannen seine agitatorischen Künste zu spielen. Der zweiundsechszigjährige Greis entblödete sich nicht, Politik der Straße zu treiben und bei der neuen Saat des Hasses gegen die Deutschen in Böhmen Verbündete niedrigster Art zu suchen. Daß seine politischen Ideen im Landtage insbesondere von dem Führer der Deutschen, Dr. Herbst, in vernichtender Weise bloßgelegt wurden, nährte nur seinen Fanatismus.

Er, der gelehrte Geschichtsschreiber, nahm Theil an dem Hep-Hep-Rufen gegen die deutschgesinnten Juden des Landes; er, der „Conservative“, billigte die Steinwürfe, welche der czechischen Straßenjugend gegen die Fenster deutscher Wohnungen als Einschüchterungsmittel nöthig erschienen waren; er, welcher vorgab, für seines Volkes Befreiung zu kämpfen, fädelte, wie er dies zu Beginn seiner Laufbahn schon gethan, ein Bündniß mit den Feudalen und Ultramontanen des Landes ein. Daß bei demselben seinen Stammesgenossen eine Zelotenrolle zugedacht war, war ihm Nebensache; seine politische Denkkraft schien nur Nahrung zu behalten, wenn die Möglichkeit zur völligen Czechisierung Böhmens in Aussicht war. Palazky’s Bemühungen blieben trotzdem erfolglos. Zweimal allerdings, unter dem Regime Belcredi’s und Hohenwarth’s, waren seine Hoffnungen der Erfüllung nahe. Die Unmöglichkeit, ein Reich in seiner Entwickelung völlig neuen Bahnen zuzuführen, ließ jedoch immer wieder die Aussicht der czechisch-feudalen Partei in Trümmer sinken. Später blieben selbst die Demonstrationen des alten eigenwilligen Agitators unbemerkt. Seine Pilgerfahrt nach Rußland, eine Audienz beim Prinzen Napoleon, diese wie jene ausgeführt, um Hörer für czechische Schmerzensschreie zu finden, ging wirkungslos vorüber, und Palazky fand schließlich, als die Regierungsautorität in Oesterreich wieder erstarkte, keinen Ausweg aus der Sackgasse, in welche er sich verrannt hatte, als die Empfehlung völliger Enthaltungspolitik für die czechische Partei. Vor zwei Jahren mußte er es erleben, daß seine ehedem allgemeine Autorität nur von der Fraction der sogenannten Altczechen anerkannt blieb und daß eine jüngere, entschlossene Partei sich völlig von ihm und seinen Ideen lossagte. Er schrieb sein politisches Testament und vermachte in demselben seinem Volke den Haß gegen das „Räubervolk der Deutschen und Magyaren“.

Im Privatleben war Palazky vom Glücke begünstigt. Seine Frau brachte ihm viel Vermögen, und er hat Nahrungssorgen nie gekannt. Er machte in den letzten Jahren wiederholt Reisen nach Rom, Nizza und Paris. Sein Familienleben war ein sehr glückliches. Er lebte im innigsten Verkehre mit seinem Schwiegersohne, Dr. Rieger, welcher nach ihm die politische Führerschaft der Czechen antritt. Sein Aeußeres war wenig gewinnend. Seine Züge trugen den czechischen Typus; in den geschlitzten, stechenden Augen fehlte jeder freie, adlige Zug. Seine Lippen umspielte regelmäßig ein böswilliges Lächeln. Den breiten, fast viereckigen Schädel deckte eine flachsgelbe Perrücke. Er war groß von Statur, ging aber gebückt. Ein starker Blähhals machte den Gesammteindruck seiner Erscheinung keineswegs sympathischer. Redner war Palazky nicht. Er sprach mühsam und kaum verständlich; desto interessanter war er als Hörer – die Lebhaftigkeit seines Wesens trat da völlig zu Tage. Er konnte seinen Meinungen widersprechende Anschauungen nicht ruhig äußern hören und war der Führer der Unterbrechungen, welche in dem an parlamentarischen Kämpfen so reichen böhmischen Landtage von den czechische Bänken für die deutschen Redner so oft laut wurden.

Gelang es einem deutschen Deputirten, die czechischen Ansprüche in ihrer Richtigkeit völlig klar zu legen, dann hielt es Palazky nicht länger im Saale aus. Er verließ denselben unter großem Geräusche und kehrte erst wieder, wenn er wußte, daß der Redner zu Ende war. Mit den deutschen Abgeordneten hatte er, im Gegensatze zu dem geschmeidigen und äußerlich gewinnenden Rieger, nie Verkehr. Er übertrug seine politische Abneigung auf die Person. Seine Orden – er hatte einen russischen und einen österreichischen – trug er gern und bei jedem möglichen Anlasse. Als seine politische Opposition auf’s Höchste gestiegen war, legte er nur den russischen Orden an. Das czechische Nationalkleid, welches in den vierziger Jahren in einer Metamorphose der polnischen Konfederatka, früher in einem gewöhnlichen Schnürrocke bestand, trug er nie. Er hatte auch zu Hause stets den deutschen von seinen Landsleuten in den Bann gethanen Frack an.

Er schrieb einen klaren Stil. Seine ersten Schriften veröffentlichte er stets in deutscher Sprache. Einzelne seiner historischen Werke sind von glänzender Darstellung. Später überwiegt die nationale Tendenz und Fälschung.

Daß er den politischen Ereignissen auch außerhalb Oesterreichs mit größtem Interesse folgte, ist selbstverständlich. Keines derselben hat ihn jedoch in dem Maße bewegt, wie das der großen Einigung Deutschlands im Jahre 1870. Sie hat den slavischen alten Fanatiker in’s Herz getroffen. Er mochte ahnen, daß Mühe, Sorge und Kämpfe seines Lebens, welche dahin gerichtet waren, den czechischen Stamm vor der Einwirkung des deutschen Geistes sicher zu stellen, vergebens waren. Die nationale Selbstständigkeit seines Stammes, wie sollte sie noch erreichbar scheinen, da das geeinigte deutsche Volk der Nachbar seines Stammes war, da in Oesterreich der deutsche Gedanke im Staatsleben zu neuem Ausdrucke kam, beide Reiche zudem durch eine ehrliche innige Allianz sich aneinander schlossen!? Selbst die Hoffnung auf Verwirklichung panslavistischer Träume fiel, denn Rußland zog seine schützende Hand von der czechischen Partei ab und überließ sie grausam dem verdienten Loose ohnmächtiger Isolirung.

In Jena, wo einst mehrere der Führer der czechische Bewegung in gelehrter Arbeit wirkten, hat eine Ehrentafel der ersten Verdienste Palazky’s um österreichische Geschichtsschreibung rühmend gedacht. Die Tafel wurde wieder abgenommen, als Palazky von keinem andern Geiste beseelt schien, als von dem wilder Wuth gegen das deutsche Volk. Dieses Moment im langen Lebenslaufe des hingeschiedenen Agitators ist ein Charakteristicum seiner Bedeutung. Im Laufe der Zeit fiel Erfolg um Erfolg, welchen er errungen. Er hat umsonst gelebt – umsonst gewirkt!

Friedrich Schütz.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_831.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)