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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Frank lachte. „Nur nicht so hitzig, Kind! Ich meinte es nicht böse. Uebrigens hast Du Dich umsonst ereifert. Wir müssen Dich jetzt nothgedrungen mit in das Complot ziehen, das Du ganz richtig errathen hast. Es ist soeben eine Nachricht angelangt –“

„Von Waldemar?“ fiel der Professor ein.

Der Schwiegervater schüttelte den Kopf. „Nein, von Rakowicz! Herrn Nordeck kann überhaupt keine Nachricht mehr vorangehen. Entweder er kommt selbst, oder – wir müssen uns auf das Schlimmste gefaßt machen. Aber die Fürstin und ihre Nichte treffen jedenfalls im Laufe des Nachmittags ein, und sobald sie da sind, müßt Ihr hinüber nach dem Schlosse. Es wird auffallen, daß die beiden Damen, die Wilicza seit einem Jahre nicht betreten haben, jetzt so unerwartet und in Abwesenheit des Gutsherrn hier anlangen, daß sie die ganze Zeit über allein im Schlosse bleiben. Eure Anwesenheit giebt der Sache einen harmloseren Anstrich und läßt an ein zufälliges Zusammentreffen glauben. Du machst der Mutter Deines ehemaligen Zöglings einen Besuch, Emil, und stellst ihr Gretchen als Deine Frau vor; das ist glaublich für die Dienerschaft. Die Damen wissen, um was es sich handelt. Ich selbst reite nach der Grenzförsterei und warte, wie verabredet, in der Nähe derselben mit den Pferden. – Und nun laß Dir das Uebrige von Deinem Manne auseinandersetzen, mein Kind! Ich habe keine Zeit mehr.“

Damit ging er, und Gretchen setzte sich wieder auf das Sopha, um die Mittheilungen ihres Gatten entgegenzunehmen, sehr befriedigt darüber, daß man sie endlich auch wie eine Polin behandelte und an der Verschwörung Theil nehmen ließ. –

Es war Abend oder vielmehr Nacht geworden. Auf dem Gutshofe schlief schon Alles, und auch im Schlosse hatte man die Dienerschaft möglichst früh zu Bett geschickt. Im oberen Stockwerke waren noch einige Fenster hell; der grüne Salon und die beiden anstoßenden Gemächer waren erleuchtet, und in einem der letzteren stand der Theetisch, den man hatte herrichten lassen, um den Dienern keinen Anlaß zur Verwunderung zu geben. Das Abendessen blieb natürlich eine bloße Form. Weder die Fürstin noch Wanda waren zu bewegen, auch nur das Geringste zu sich zu nehmen, und jetzt wurde auch Professor Fabian rebellisch und weigerte sich, Thee zu trinken. Er behauptete, auch nicht einen Tropfen davon herunterbringen zu können, wie ihn seine Frau auch von der Nothwendigkeit einer Stärkung zu überzeugen suchte. Sie hatte ihn halb mit Gewalt an den Theetisch gebracht und hielt ihm dort eine leise, aber eindringliche Strafpredigt.

„Aengstige Dich nicht so, Emil! Du wirst mir sonst noch krank vor Aufregung, wie die beiden Damen da drinnen. Gräfin Wanda sieht aus wie eine Leiche, und vor dem Gesichte der Fürstin könnte ich mich beinahe fürchten. Dabei spricht keine von ihnen ein Wort. Ich halte es nicht länger aus, diese stumme Todesangst mit anzusehen, und auch ihnen ist es eine Erleichterung, wenn sie einmal ohne Zeugen sind. Wir wollen sie auf eine halbe Stunde allein lassen.“

Fabian stimmte bei, schob aber die ihm aufgenöthigte Theetasse weit von sich.

„Ich begreife gar nicht, weshalb Ihr Euch Alle so verzweifelt anstellt,“ fuhr Gretchen fort. „Wenn Herr Nordeck erklärt hat, daß er noch vor Mitternacht mit dem Grafen hier sein werde, so ist er hier, und wenn sie an der Grenze ein ganzes Regiment aufgestellt hätten, um ihn einzufangen. Der setzt Alles durch. Es muß doch etwas an dem Aberglauben seiner Wiliczaer sein, die ihn für kugelfest halten. Da ist er wieder mitten durch Gefahren gegangen, bei deren bloßer Erzählung sich uns schon das Haar sträubt, und keine einzige berührt ihn auch nur. Er wird auch glücklich die Grenze passiren.“

„Das gebe Gott!“ seufzte Fabian. „Wenn nur dieser Hubert nicht gerade heute in W. wäre! Er würde Waldemar und den Grafen in jeder Verkleidung erkennen. Wenn er ihnen begegnete!“

„Hubert hat sein Lebenlang nur Dummheiten gemacht,“ sagte Gretchen verächtlich. „Er wird in der letzten Woche seiner Amtsthätigkeit nicht noch etwas Kluges anstiften. Das wäre wider seine Natur. Aber in Einem hat er doch Recht. Kann man wohl den Fuß in dieses Wilicza setzen, ohne gleich wieder mitten in einer Verschwörung zu sein? Das muß wohl hier so in der Luft liegen, denn sonst begreife ich nicht, wie wir Deutsche uns sämmtlich zwingen lassen, zu Gunsten dieser Polen zu conspiriren, Herr Nordeck, Papa, sogar wir Beide. Nun, hoffentlich ist dies das letzte Complot, das in Wilicza angestiftet wird.“

Die Fürstin und Wanda waren in dem anstoßenden Salon zurückgeblieben. Hier wie in sämmtlichen Zimmern der ersteren war nichts verändert worden, seit sie dieselben vor einem Jahre verlassen hatte. Dennoch hatten die Räume den Anstrich des Oeden, Unbewohnten; man fühlte, daß die Herrin ihnen so lange fern geblieben war. Die auf dem Seitentische brennende Lampe erhellte nur zum Theile das hohe düstere Gemach; die ganze Tiefe desselben blieb in Schatten gehüllt.

In diesem tiefen Schatten saß die Fürstin, unbeweglich und starr vor sich hinblickend. Es war derselbe Platz, an dem sie an jenem Morgen gesessen hatte, als Leo’s unseliges Kommen die furchtbare Katastrophe auf ihn und die Seinigen herabrief. Die Mutter rang schwer mit den Erinnerungen, die von allen Seiten auf sie einstürmten, als sie wieder den Ort betrat, der für sie so verhängnißvoll geworden war. Was war aus jenen stolzen Plänen, aus jenen Hoffnungen und Entwürfen geworden, die einst hier ihren Mittelpunkt fanden! Sie lagen alle in Trümmern. Bronislaw’s Rettung war noch das Einzige, was man dem Schicksale abringen konnte, aber diese Rettung war erst zur Hälfte vollbracht, und vielleicht in diesem Augenblicke bezahlten er und Waldemar den Versuch, sie zu vollenden, mit dem Leben.

Wanda stand in der Nische des großen Mittelfensters und blickte so angestrengt hinaus, als könnten ihre Augen die Dunkelheit durchdringen, die draußen herrschte. Sie hatte das Fenster geöffnet, aber sie fühlte es nicht, daß die Nachtluft scharf hereindrang, wußte nicht, daß sie zusammenschauerte unter dem kalten Hauche. Für die Gräfin Morynska hatte diese Stunde keine Erinnerung an die Vergangenheit mit ihren gescheiterten Plänen und Hoffnungen. Für sie drängte sich Alles zusammen in dem einzigen Gedanken der Erwartung, der Todesangst. Sie zitterte ja nicht mehr für den Vater allein, es galt jetzt auch Waldemar, und das Herz behauptete trotz alledem seine Rechte – es galt zumeist ihm.

Es war eine kühle, etwas stürmische Nacht, die von keinem Mondesstrahle erhellt wurde. Der Himmel, leicht bedeckt, ließ nur hin und wieder einen Stern aufblinken, der bald hinter den Wolken verschwand. In der Umgebung des Schlosses herrschte die tiefste Ruhe, der Park lag dunkel und schweigend da, und in den Pausen, wo der Wind ruhte, hörte man jedes fallende Blatt.

Plötzlich fuhr Wanda auf, und ein halb unterdrückter Ausruf entrang sich ihren Lippen. In der nächsten Minute stand die Fürstin an ihrer Seite.

„Was ist’s? Bemerktest Du etwas?“

„Nein, aber ich glaubte in der Ferne Hufschlag zu hören.“

„Täuschung! Du hast ihn schon oft zu hören geglaubt – es ist nichts.“

Trotzdem folgte die Fürstin dem Beispiele ihrer Nichte, die sich weit aus dem Fenster beugte. Die beiden Frauen verharrten in athemlosem Lauschen. Es kam allerdings ein Laut herüber, aber er klang fern und undeutlich, und jetzt erhob sich der Wind von Neuem und verwehte ihn ganz. Wohl zehn Minuten vergingen in qualvollstem Harren – da endlich vernahm man in einer der Seitenalleen des Parkes, da wo dieser einen Ausgang nach dem Walde hin hatte, Schritte, die sich offenbar vorsichtig dem Schlosse näherten, und jetzt unterschied die auf’s Aeußerste angestrengte Sehkraft auch mitten in der Dunkelheit, daß zwei Gestalten aus den Bäumen hervortraten.

Fabian kam in das Zimmer gestürzt. Er hatte von seinem Fenster aus die gleiche Beobachtung gemacht.

„Sie sind da,“ flüsterte er, seiner kaum mehr mächtig. „Sie kommen die Seitentreppe herauf. Die kleine Pforte nach dem Parke ist offen; ich habe erst vor einer halben Stunde nachgesehen.“

Wanda wollte den Ankommenden entgegenstürzen, aber Gretchen, die ihrem Manne gefolgt war, hielt sie zurück.

„Bleiben Sie, Gräfin Morynska!“ bat sie. „Sie sind nicht allein im Schlosse, nur hier in Ihren Zimmern ist Sicherheit.“

Die Fürstin sprach kein Wort, aber sie ergriff die Hand ihrer Nichte, um sie gleichfalls zurückzuhalten. Die Folter der Erwartung dauerte nicht mehr lange. Nur noch wenige Minuten, – dann flog die Thür auf. Graf Morynski stand auf der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_850.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)