Seite:Die Gartenlaube (1876) 857.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

während es mir nicht schwer wurde, die tatsächliche Unmöglichkeit dieser Nachrichten aus den begleitenden Umständen nachzuweisen. So führte ich täglich mit den Waffen des Humors und der Satire den Kampf gegen die gesammte Presse St. Petersburgs.

Unter diesen Verhältnissen war es natürlich, daß sich zwischen der diplomatischen Vertretung Preußens am russischen Hofe und mir Beziehungen bildeten, welche mich in meiner Arbeit und meinem Streben ermuthigten und förderten. Der damalige Geschäftsträger, der leider zu früh verstorbene, hochbegabte Graf Heinrich von Keyserling-Rautenburg, welcher mir, neben seinem Dank für die kräftige Unterstützung der preußischen Politik, persönlich zugethan war, versah mich mit allen Nachrichten von Wichtigkeit, die er erhielt, und gab mir so neue und zuverlässige Waffen zur Fortsetzung des Streites in die Hand.

Gegen Ende des Krieges erließ ich im Verein mit dem nun längst entschlafenen Akademiker von Kämtz einen Aufruf zu Beisteuern für die Verwundeten, wobei jeder, welcher eine Gabe darbrachte, bestimmen konnte, welcher von beiden Armeen sein Schärflein zu Gute kommen sollte. Der Ertrag unserer Sammlung belief sich auf viele Tausende von Rubeln und eine ganze Schiffsladung Leinwand, Wäsche, Charpie u. dgl. Alles war für Preußen bestimmt, mit Ausnahme von hundert Rubeln, welche der österreichische Consul für Oesterreich gespendet hatte.

Welchen Anstrengungen ich mich während des freilich wunderbar schnellen Verlaufs des Krieges hatte unterziehen müssen, machte sich erst nach eingetretener Ruhe fühlbar, und ich sah mich genöthigt, im Sommer 1867 eine längere Cur- und Erholungsreise anzutreten. Beim Abschiede äußerte Graf Keyserling den Wunsch, ich möchte mich in Berlin dem inzwischen zum Kanzler des Norddeutschen Bundes gewordenen Grafen von Bismarck vorstellen, für dessen Größe ich jetzt die aufrichtigste und begeistertste Verehrung empfand. Ich brauche nicht zu sagen, mit welcher freudigen Bereitwilligkeit ich auf die Idee des befreundeten Diplomaten einging.

Am 11. August um halb neun Uhr Abends wollte mich Graf Bismarck empfangen. Er war erst in der Nacht vorher in Begleitung des Legationsraths von Keudell nach Berlin von Ems zurückgekehrt, wo er bei seiner Majestät dem Könige verweilt hatte. Punkt halb neun Uhr befand ich mich in dem Empfangszimmer des Bundeskanzlers. Er war ausgefahren, wurde aber in kürzester Frist zurückerwartet. Zehn Minuten später rollte ein Wagen auf die Rampe, und ich wurde ersucht, in das Cabinet des Bundeskanzlers zu treten.

Graf Bismarck kam mir entgegen und reichte mir die Hand. Er bat um Entschuldigung, daß er mich habe warten lassen, er habe jetzt viel mit der Einrichtung des Sitzungslocals für den Reichstag des Norddeutschen Bundes zu schaffen.

Nach einigen Worten von meiner Seite sagte Graf Bismarck:

„Sie sind uns eine so kräftige, eine mit so viel Dank anerkannte Stütze, daß ich, obgleich ich eben von der Reise zurückgekommen und mit Geschäften überhäuft bin, es mir nicht habe versagen wollen, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

Der Graf reichte mir einen Sessel und ersuchte mich, Platz zu nehmen. Wir setzten uns.

„Sie sind kein in Russland geborener Deutscher,“ fuhr Graf Bismarck fort, „man hört das sogleich an Ihrer Mundart.“

„Ganz richtig, Herr Graf,“ erwiderte ich, „ ich bin ein Waldecker. Eigenthümlicher Weise wollen aber gerade in meiner Sprache viele erkennen, daß ich aus Russland komme.“

„Die müssen für die Nuancen der Dialekte kein feines Ohr haben; bei Ihnen kann durchaus kein Zweifel sein. – Ihre Stellung ist jetzt eine sehr schwierige geworden, wie ich höre.“

Ich bestätigte diese Ansicht und schilderte dem Bundeskanzler die ununterbrochenen Angriffe und Machinationen der nationalen Partei, ihren brennenden Haß gegen die Deutschen und alles deutsche Wesen und ihre Versuche, das russische Volk gegen die Deutschen aufzuhetzen.

„Und doch sind die höheren Regionen der russischen Gesellschaft von diesem Hasse durchaus frei geblieben,“ entgegnete der Kanzler. „Ich habe viele vornehme Russen gesprochen, welche die Gesinnungen und Stimmungen jener Partei keineswegs theilen.“

Ich bestätigte, daß die unteren und oberen Schichten des russischen Volkes von dem Haß der politischen Spitzführer gegen die Deutschen noch nicht inficiert worden, der seinen Herd vorzüglich in der mittleren Sphäre, den Kreisen der niederen Beamten, Literaten etc. habe.

„Ich glaube nicht, daß dieser Haß jemals in andere Kreise vordringen wird,“ sagte Graf Bismarck. „Es kann ja auch nicht anders sein; der Russe wird den Deutschen nie entbehren können. Der Russe ist ein sehr liebenswürdiger Mensch. Er hat Geist, Phantasie, ein angenehmes Benehmen, gesellige Talente – aber täglich auch nur acht Stunden arbeiten, und das sechs Mal in der Woche und fünfzig Wochen im Jahr – das wird in Ewigkeit kein Russe erlernen. Ich erinnere mich der treffenden Worte, die ein russischer Militär in meiner Gegenwart äußerte. Die Unterhaltung berührte den Umstand, daß so viele Officiere deutscher Abstammung in der russischen Armee bis zum General avanciren. ‚Wie sollte ein Deutscher nicht General werden!‘ sagte jener Militär, ‚er trinkt nicht; er stiehlt nicht; er ist nicht liederlich; er reitet sein Pferd selbst – da muß er es schon bis zum General bringen.‘“

„Ein vortrefflicher Beitrag zur Charakteristik des russischen Volkes,“ sagte ich, „ist die Schilderung der Art und Weise, wie der russische Edelmann zu Bette geht. ‚Jesim,‘ sagt er zu dem Diener, ‚entkleide mich!‘ Es geschieht. ‚Gieb mir zu trinken!‘ Jesim gehorcht. ‚Lege mich in’s Bett!‘ Jesim thut es. ‚Decke mich zu!‘ Jesim deckt ihn zu. ‚Bekreuzige mich!‘ Jesim schlägt das Kreuz über seinen Herrn. ‚So,‘ sagte derselbe, ‚nun kannst Du gehen; das Einschlafen werde ich selbst verrichten.‘“

„Und ich bin überzeugt,“ sagte Graf Bismarck herzlich lachend, „daß gerade die ärgsten jener Schreier keine Arznei einnehmen würden, die ein russischer Apotheker bereitet hat. Die deutschen Apotheker, Bäcker, Wurstmacher etc. wird man in Russland nie entbehren können. Aber auch in ganz anderen, viel höheren Sphären werden sich die eigenthümlichen Eigenschaften des deutschen Namens stets Geltung verschaffen. Der Reichskanzler Fürst Gortschakow war unter der Regierung des Kaisers Nikolai lange in unbedeutenden, untergeordneten Aemtern zurückgehalten worden; man hatte seine bedeutende Begabung nicht erkannt. Der Fürst schrieb die Zurücksetzung, die er erfahren, dem deutschen Einfluß zu, und als er an’s Ruder kam, entfernte er, wo es irgend zulässig war, alle Deutschen aus dem Geschäftsgebiet seines Ministeriums. Sehen wir uns nun heute nach dem Resultat um: Die wichtigsten Gesandtschaften: London, Paris, Wien etc. sind mit Deutschen besetzt, die talentvollsten Redacteure des Ministeriums sind Deutsche; [1] ja, Fürst Gortschakow selbst würde nicht die Arbeitskraft haben, die er besitzt, wenn seine Mutter nicht eine Deutsche gewesen wäre; ich habe ihm das selbst gesagt.“

Das Gespräch wendete sich nun zu den von der russischen Presse hier und da ausgesprochenen Befürchtungen, die deutsche Begehrlichkeit werde ihre Hände nach den baltischen Provinzen oder Polen ausstrecken. Ich erzählte dem Grafen, wie oft ich in ausführlichen Exposés den unwiderlegbaren Beweis geführt habe, daß der Erwerb der russischen Ostseeprovinzen für Preußen nur eine Schwächung sein könne, daß es mir aber nicht gelungen sei, die russischen Germanophoben zu überzeugen und zu beruhigen.

„Was sollte uns auch dieser lange, vorgeschobene Streifen zwischen dem Meer und Polen, ohne Hinterland – ein Nichts, für das wir die ewige Feindschaft Russlands eintauschen würden,“ sagte Graf Bismarck. „Nein, es ist besser so. Die Deutschen in den Ostseeprovinzen müssen auch in Zukunft der Guano sein, der jene große russische Steppe düngt. Auch wäre den Bewohnern jenes Landstrichs durchaus nicht damit gedient, wenn sie preußisch würden. Unsere preußische Verfassung mit lettischen und estnischen Urwählern wäre für die kurischen und livländischen Barone, wie ich sie kenne, ein sehr zweifelhaftes Vergnügen.“

Nachdem das Gespräch noch kurze Zeit bei den Ostseeprovinzen verweilt, fuhr der Bundeskanzler fort:

„Was Polen betrifft, so haben wir niemals begehrliche Absichten gehegt und werden solche niemals haben können. In

  1. Später auch der Gehülfe des Reichskanzlers, der jüngst verstorbene W. von Westmann, der Director der Kanzlei des Ministers, von Müller, und zahlreiche Beamte aller Departements des Ministeriums.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 857. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_857.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)