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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

Seine Meute war in einem Gehege unweit des Lustschlosses Triesdorf untergebracht. Triesdorf selbst umfaßte einen der größten Thiergärten, die man in deutschen Landen finden konnte.

Eines Tages eilte er von der Jagd nach Hause, sehr übler Laune über die schlechte Jagd. Der Leibpiqueur, der mit ihm ritt, sah den Ausbruch eines Wuthanfalles vorher. Gewöhnlich entlud sich derselbe auf den Nächsten, Besten, der in der Nähe war, und der schlaue Jäger wollte dieser Gefahr entgehen. Er suchte die Gedanken des Markgrafen auf die Meute zu lenken und erreichte auch seinen Zweck, indem er bemerken konnte, daß die Hunde nicht scharf genug gewesen wären, nicht zugefaßt hätten, dadurch sei der Hirsch ihm durch die Lappen gebrochen. Nach seiner Ansicht würde überhaupt die Meute vom ersten Piqueur, der zu ihrer Pflege bestellt sei, vernachlässigt. Der Markgraf schwieg. Statt den Weg unmittelbar nach dem Schlosse einzuschlagen, bog er nach dem Wartehofe der Hunde ab.

Die Rüden waren von der Jagd heimgeführt worden; man hörte ihr lautes Gebell inmitten der hohen Mauern, die den Hof umschlossen, und dann den Ruf des Wärters, der sie in die Ställe zurücktrieb.

Das Wärterhaus lag unmittelbar vor dem Rüdenhof; der Haupteingang in denselben ging durch das Haus; der Hof hatte nur noch einen kleinen engen Ausgang nach dem Thiergarten. In dem Wärterhause wohnte der erste Piqueur, der die Pflege der Hunde unter sich hatte. Es waren deren über zweihundert. Der zweite Piqueur, der mit dem Markgrafen ritt, war früher ein Mitbewerber um die Gunst der schönen Els von Gunzenhausen gewesen – sie war keine Adelige, aber so schön und liebreich, daß sich wenig Edelfräulein mit ihr messen konnten. Sie wohnte gleich vorn am Thor von Gunzenhausen, war des Thorschreibers Tochter. Aus der schönen Els von Gunzenhausen war nun die Frau des ersten Piqueurs geworden; sie hatte einen braven und hübschen Mann bekommen, was ihr eben von ihrem Mitbewerber nicht zu Theil geworden wäre. Dieser sollte ihr darum auch heimlichen Haß nachtragen. Ihr ältester Knabe spielte im Augenblicke, wo der Markgraf anritt, vor dem Hause, ein bildschöner, braunäugiger Bube. Er hatte sich Haidekraut gepflückt und war damit beschäftigt, sich daraus einen kleinen Garten einzurichten. Er muß den Tritt des Rapphengstes des Markgrafen schon gekannt haben, denn er floh bei dem Geräusche ängstlich in das Häuschen. Es war so Sitte bei den Unterthanen, daß sie ihrem Landesherrn behutsam aus dem Wege gingen; man war nie sicher, ob man von ihm nicht Eins auf den Pelz bekam.

Vor dem Wärterhäuschen hielt der Markgraf. Niemand war zu sehen. Das reizte seinen Zorn. Dann sah er den Knaben furchtsam hinter der Thür hervorlugen.

„Willst her kommen?“

Das Kind zögerte.

„Sacrementischer Bub’ – willst?“

Scheu und zitternd kam das Kind aus seinem Versteck zum Vorschein. Der Anblick des Kleinen schien seinen aufsteigenden Zorn zu bezwingen. Das Gesicht war nicht mehr so dunkelroth, als noch einige Secunden zuvor.

„Wo ist Dein Vater?“

„Aus dem Hof. Er giebt den Hunden Appell.“

„Geh, sag ihm, er soll herkommen!“

Und der Bube lief was er konnte, um dem Markgrafen aus dem Gesichtskreis zu kommen. Wenige Minuten nachher kam ein junger, hübscher, brünetter Mann in der rothen Piqueurjacke durch den Hausgang, machte einen unterthänigen Bückling und blieb auf der Schwelle seines Hauses stehen, der Anrede des fürstlichen Herrn gewärtig.

„Warum waren die Hunde beim Lüften so lässig?“

„Das weiß ich nicht, durchlauchtige Gnaden. Die Thiere scheinen mir nicht recht gesund zu sein. Ich habe schon einmal Durchlauchtige Gnaden zu sagen mir verstattet, daß vielleicht der Stall die Ursache ist – er ist zu feucht.“

Ein lautes Hohnlachen aus dem Munde des Markgrafen war die Antwort.

„Warum sollen Thiere nicht ebenso wie Menschen allerlei Gebresten unterworfen sein?“

„Pack’ Deine Zunge in Deinen Rachen! Meine Ställe zu feucht! Vielleicht Dein Beutel zu tief in dem mein schönes Geld für die gute Fütterung verschwindet. Am Ende giebst Du ihnen das Aasfleisch abgeluderter Pferde – stehst mit dem Schinder auf gutem Fuß. Was? Wie? Sprich, Halunke!“

„Das ist nicht an dem, durchlauchtige Gnaden. Die Thiere kriegen das Fleisch, das sie zu bekommen haben, und auch die übrigen Portionen voll und reichlich.“

„Will Er wohl schweigen? Er hat nichts zu raisonniren gegen Seinen Herrn.“

„Aber wenn mich durchlauchtige Gnaden an meinem Point d’honneur anfassen, dann hat jeder Mensch ein Recht –“

Der Piqueur konnte seine Rede nicht vollenden. Der Markgraf hatte in seiner aufwallenden Zorneswuth die Pistole aus der Halfter gerissen – ein Knall – der Piqueur taumelte, machte mit dem Körper einige Wendungen, fiel vorn über und dann zurück. Auf den Schuß waren seine Frau und auch der kleine Knabe herbeigeeilt; sie kamen gerade noch zur Zeit, um das Sterben des Vaters zu sehen. Das Blut floß aus der Wunde am Kopf und in seinem Jammer holte das Kind sein Haidekraut herbei, um das Blut zu stillen. Umsonst! Nach wenigen Minuten war der Piqueur eine Leiche. Der Markgraf war davon geritten.

„Der Markgraf hat meinen Mann erschossen,“ schrie, jammerte die arme Frau. Und das Auge des Kindes folgte dem Davoneilenden mit einem Blicke des Hasses nach.

Jahre waren seit dieser Unthat vergangen. Von dem Markgrafen hatte man sich seitdem so viel Neues zu erzählen gehabt, daß man die alte Geschichte längst vergessen hatte. Auf dem Grabe des Leubinger – so hieß der Erschossene – war Gras gewachsen; ein neuer Piqueur wohnte in dem Hundewärterhäuschen. Der Mann, der damals mit dem Markgrafen ritt, hatte den Lohn seiner Thaten geerntet: er hatte eines Tages Wolfsfallen gelegt und mußte dabei nicht mit der nöthigen Vorsicht zu Werke gegangen sein – man fand ihn in der Grube, seinen Leichnam von den Wölfen halb zerrissen. Die Wittwe des Erschossenen war mit einem Gnadengelde abgefunden worden und verschwunden sammt ihrem kleinen Buben. Wohin Beide gekommen, wußte Niemand.

Da meldete sich eines Tages beim Obrist-Falkenmeister ein junger Mensch von etwa einundzwanzig Jahren, im Aeußern ein echtes Jägerblut, schlank von Wuchs, braun von Augen und Haar und mit einem gar anmuthenden Wesen. Er nannte sich Martin Wendel und kam aus dem Hohenloheschen herüber mit einem Empfehlungsschreiben des Oehringer Ober-Jägermeisters. Er wurde zum fürstlichen Waidwerke als besonders qualificirt empfohlen, wisse auch mit Pferden umzugehen, sei brav und geschickt, und man habe ihn fürstlicherseits ungern entlassen; er habe sich wo anders versuchen wollen. Wendel wurde angenommen und zeigte sich in seinem „Metier“ so vorzüglich, daß der Markgraf auf ihn aufmerksam wurde und er eines Vorzugs genoß, dessen mancher Kammerpräsident sich nicht rühmen konnte. In kurzer Zeit wurde der junge Mensch dem Nimrod von Ansbach so unentbehrlich, daß dieser ihn beständig um sich haben wollte, nicht nur draußen im Walde, sondern auch in den Prachtsälen des Ansbacher Schlosses. Er gehörte zur unmittelbaren Bedienung des Markgrafen, und nicht lange währte es, so stand der neue Leibjäger Seiner Durchlaucht in einer Gnade und Gunst, um die ihn mancher vornehme Hofbeamte beneidete.

Keiner wußte sich auch so gut in die Launen des Herrn zu schicken. Wenn Alles vor den Wuthanfällen des Markgrafen zitterte und floh – der Leibjäger blieb und lachte. Er lachte, wenn der Markgraf guter Laune war – was nicht gar zu oft sich ereignete –, er lachte, wenn jener tobte und drohte. Der junge Mensch hatte in seinem Blicke etwas von jenen Eigenschaften, welche man den Bändigern wilder Thiere zuschreibt.

Als der Markgraf eines Tages an dem Rüdenhofe und dem Wärterhäuschen vorfuhr, schickte er seinen Leibjäger ab, um dem Piqueur sagen zu lassen, wann morgen früh zur Sauenjagd die Hunde auf die Fährte abgelassen werden sollten.

Der Leibjäger zögerte, den Befehl auszuführen.

„Nun?“ herrschte ihn der Markgraf an.

„Ich gehe nicht dahinein,“ erklärte der junge Mensch.

„Warum willst Du nicht gehen?“

„Ich kann’s nicht,“ war die Anntwort.

Dem Markgrafen kam der Zorn wieder, aber dann schallte ein so furchtbares Lachen an sein Ohr, und er sah in ein so todtenbleiches verzerrtes Angesicht, daß ein Beben über ihn kam.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_859.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)