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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


Kartenspieler. Aber getrennt von den Gruppen, deren Kernpunkte wir eben erwähnten, jenseits der Gatterthür auf der Stiege, wo das volle Tageslicht auf ihn fällt, steht der Prinz und überblickt lächelnd die Scene. Ließ sich die Gemeinschaft und die Entfremdung, die zwischen Heinrich und seinen Cumpanen bestand, feiner bezeichnen?

Diese und einige andere Bilder wollte Mende nur im größten Maßstabe ausführen und hoffte in Hannover – weitreichende Verbindungen hatte er überall – Bestellung dafür zu finden; wenn nicht, so wollte er sich nach England begeben. – Nach Besprechung mit einigen Künstlern, die er als maßgebend für die Ausstellungsangelegenheiten betrachtete, hängt er den Abdruck seines Baseler Bildes nebst den Portraitstudien der einzelnen Köpfe in Aquarell an einer Nebenwand der Ausstellungsräume auf. Kaum hat er den Rücken gewendet, da tritt der Cassirer des Kunstvereins, ein Banquier, ein; die Mende’schen Sachen erblicken und „den ganzen Plunder“ hinausschaffen, ist ein Augenblick. Der Cassirer handelte eigenmächtig, es konnte ja eine Erlaubniß des künstlerischen Vorstandes bestehen; allein er war auch im Rechte, weil es ihm nicht angezeigt worden und Vervielfältigungen, Skizzen und dergleichen statutenmäßig ausgeschlossen waren. Aber man denke sich Mende, da er es erfuhr! Die Erinnerung an Basel und Frankfurt gab ihm in den Sinn, daß der Cassirer im Einverständnisse mit den „Millionären“ sein Bild unterdrücken wolle.

Diesen Glauben bestärkte ein anderer Vorfall. Auf einem Spazierwege kam er an einem Mitgliede der österreichischen Gesandtschaft vorüber, das in einer Unterredung dastand; im Vorbeischreiten meinte Mende aus dem Munde dieses Herrn, der, wohl zufällig, die Augen nach ihm gewendet hatte, den Zuruf zu hören: „Fort, fort! sogleich!“ Sich eine politische Verfolgung einbildend, hatte er sich unverzüglich aufgemacht und war mit seinem Hunde fünf Tage lang durch die Haide gestreift, als ich ihn traf. Sein künstlerisches Auge war dabei offen geblieben. „Großartig!“ rief er aus; „diese erhabene Einsamkeit, und die unvergleichlichen landschaftlichen Reize in diesem ‚Meere des Landes‘; die Dachauer Gegend ist nichts im Vergleiche hiermit. – Ich lachte ihn wegen seiner thörichten Einbildung aus, denn damals herrschte in Hannover noch eine liberale Richtung, und es gelang mir ihn zu überzeugen, daß er Gespenster gesehen habe. Er begleitete uns bis zum nächsten Eisenbahnpunkte und fuhr wieder nach Hannover. Hier wäre der einzige Zeitpunkt gewesen, da Mende mit Detmold zusammengetroffen sein könnte; aber dieser machte ein gesucht vornehmes Haus und mied die Künstlerkreise, Mende hingegen hatte sich durch sein hitziges Wesen für die aristokratischen Sphären unmöglich gemacht.

Als ich Monate später einen Bekannten aus dieser Stadt traf und nach Mende fragte, erhielt ich zur Antwort, er sei nach seiner Gewohnheit von dort abgereist, ohne zu sagen wohin; man vermuthe, daß er seine Absicht, in England das Glück zu versuchen, ausgeführt habe.

Also wieder verschwunden! Und schwerlich würde ich von ihm mehr zu sagen vermögen, wenn mich nicht ein Geschäft im Juli 1855 nach Bremen gerufen hätte. Auf der Strecke zwischen Verden und Achim kam ich in’s Gespräch mit einem Herrn, der die Frage an mich richtete:

„Sie wollen wohl auch nach Achim?“

„Was sollte ich dort? Die Bremer Cigarrenfabriken ansehen?“

„Ich meinte wegen Mende!“

„Mende?“

Und nun hörte ich voll Erstaunen, daß Mende in dem kleinen Orte bei einer Persönlichkeit, die ein lebhaftes Interesse für sein künstlerisches Wirken hegte, in der letzten Zeit gelebt hatte.

„Vor einigen Tagen,“ fuhr mein Begleiter fort, „bemerkte man seinen Hund am Ufer der Weser, unruhig und heulend; das arme Thier war ganz durchnäßt; es rannte zum Wasser und wieder zurück, als flehe es um Hülfe. Bald danach fand man den Leichnam des Malers; er war ertrunken.“

So kam es, daß ich den Fuß an den Rand der Gruft setzen konnte, die an diesem Tage den rastlosen Mann zur ewigen Ruhe aufnahm. Was der Anlaß seines Todes war, habe ich nie erforschen können; daß die Noth ihn nicht zu einem verzweifelten Schritte gedrängt, lag auf der Hand, da er in angenehmen Verhältnissen lebte und eine ansehnliche Summe Geld hinterließ. Es muß also wohl ein Unglücksfall gewesen sein, der den Künstler, dessen Lust es war, kühne große Gedanken in leuchtenden Farben darzustellen, in der trüben Fluth der Weser für immer in Nacht versenkte und die großen Entwürfe begrub, für deren Ausführung er sich mit eiserner Zähigkeit eine ungewöhnliche Befähigung angeeignet hatte.

A. W. A.




Abrichtung der Vögel.
Von F. A. Bacciocco.


Leider ist es den Menschen nicht möglich, das Seelenleben der Thiere anders, als aus dem menschlichen Gesichtswinkel zu betrachten, und deshalb nennt er vorzüglich jene Thiere gelehrig und anstellig, welche sich, wirklich oder scheinbar, dem menschlichen Verständniß am innigsten und offenkundigsten anzuschließen vermögen. Man staunt zum Beispiel auch über die fremdartige, eigenabgeschlossene Arbeitslust und complicirte Thätigkeit der Bienen und Ameisen, aber fremd steht immer der Mensch, und wäre es der beste Bienenvater, dem inneren Wesen der Arbeit und der Arbeitenden gegenüber. Einen Schritt weiter hat uns endlich Darwin gebracht, der edle und entsagungsstarke Mann, dessen Ruhm und Verständniß mit jedem Jahre wächst und dessen Verständniß – auf den Ruhm leistet er ja gerne Verzicht – von Generation zu Generation steigen wird. Er hat uns die Wege gezeigt, und zwar mehr als ahnungsvolle Wege, auf welchen man dem eigen construirten Seelenleben einiger Thierarten näher treten kann. Der Hund, der Affe, der Elephant sind uns bei weitem nicht mehr die fremden Geschöpfe, welche sie unseren Vorfahren noch waren, und die Sprache des Hundes ist durch ihn sogar in die menschliche Sprache übersetzt worden. Der große Unterschied der Arten und der Abzweigung bringt es mit sich, daß das Seelenleben der Vögel uns fremder ist und wahrscheinlich noch länger bleiben wird, als jenes gewisser Vierfüßler.

Der langen Reihe von Vierfüßlern, welche sich der menschlichen Lebensweise und Dressur anbequemt haben, kann man eine entsprechende Zahl von Vogelarten nicht entgegensetzen.

Wir hören zwar von ausgezeichnet dressirten Papageien, von weisen Raben, von klugen Staaren etc., indessen ist man niemals zu einer rechten Erkenntniß gekommen über die Tiefe und die Grenze ihrer Beziehungen zum menschlichen Geistesleben, und noch immer haben wir es hier mit einer versiegelten Seite der Thier-Psychologie zu thun. Trotzdem hat der Mensch eine hübsch lange Reihe von Vögeln seinem Eigenwillen unterworfen, nämlich er hat dieselben „in seiner Art“ zu dressiren verstanden, vom klein-winzigen Zeisig bis zum gewaltigen Vogel Strauß; nur bleibt noch immer die Frage eine offene, ob wir damit der Vogelseele näher getreten sind und ob wir einen eigenartigen Eindruck auf dieselbe hervorgebracht haben. Noch ist auch die Wissenschaft nicht so weit gelangt, daß sie auf diesem Gebiete die Gesetze des Atavismus verfolgt und beobachtet hätte, und wir wissen, um es deutlich zu sagen, noch nicht, ob ein gelehriger Staarmatz auch einen gelehrigen Sohn oder Enkel in die Welt setzen kann.

Es ist schon der Unterschied in der Befähigung (in unserem Sinne) bei den Arten und Abarten und Familien ein sehr großer, und jedenfalls ist ebenfalls ein großer Unterschied bei den einzelnen Individuen vorhanden. Man kann bei fünf Vögeln aus ein und demselben Neste oft nur Einen mit großer Mühe für die Dressur gewinnen. Wenn man einen Vogelfänger fragt, welche von den verschiedenen Finkenarten er für die gelehrigste und anstelligste hält, dann antwortet er: der Distelfink, der Stieglitz.

Bei einem französischen Vogelhändler sah ich einmal ein halbes Dutzend „Chardonnerets“, sämmtlich wohldressirt an einer Wand und zum Verkaufe ausgeboten. Die Dressur bestand darin, daß die Thierchen ihre Frucht- und Wassereimer selbst ziehen mußten. Diese Spielerei ist in Frankreich, in Belgien und am Niederrheine eine sehr verbreitete. Man dressirt in dieser Art

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_874.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)