Seite:Die Gartenlaube (1876) 878.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


aber Gretchen war äußerst ungehalten und warf einen wehmüthigen Blick nach dem Theetisch.

„Daß die Menschen über ihre romantischen Gefühle doch immer vergessen, was nothwendig und in der Ordnung ist!“ bemerkte sie. „Die Angst und Aufregung ist doch nun vorbei und das Wiedersehen auch; sie könnten sich doch nun ruhig zu Tische setzen, aber das fällt Niemandem ein. Ich habe weder die Fürstin noch den Grafen Morynski dahin bringen können, auch nur etwas zu genießen, aber Gräfin Wanda wenigstens muß eine Tasse von dem Thee nehmen, den ich eben wieder frisch bereitet habe; sie muß es unter allen Umständen. Ich werde nachsehen, ob sie mit Herrn Nordeck noch drinnen im Salon ist. Bleibe Du inzwischen hier, Emil!“

Emil blieb gehorsam bei der Theemaschine sitzen, aber die Zeit wurde ihm lang dabei, denn es vergingen wohl zehn Minuten, ohne daß seine Frau zurückkehrte. Der Professor fing an sich unbehaglich zu fühlen. Er kam sich hier so überflüssig vor; er hätte sich so gern auch irgendwie nützlich gemacht, wie Gretchen, deren praktische Natur sich nie verleugnete, und um doch wenigstens etwas zu thun, ergriff er die bereits gefüllte Theetasse und trug sie in den anstoßenden Salon. Zu seiner großen Ueberraschung fand er diesen leer und seine Frau dicht vor der jetzt geschlossenen Thür des Arbeitscabinets der Fürstin stehen.

„Liebes Gretchen,“ sagte Fabian, die Tasse so vorsichtig und ängstlich auf der Hand balancirend, als enthielte sie das kostbarste Lebenselixir. „Ich bringe den Thee; er könnte am Ende kalt werden, wenn es noch lange dauert.“

Die Frau Professorin hatte sich in einer sehr verfänglichen Stellung überraschen lassen. Sie stand nämlich gebückt, mit dem Auge am Schlüsselloch, hatte sich aber glücklicher Weise noch rasch aufgerichtet, als ihr Gemahl eintrat. Jetzt aber ergriff sie ihn sammt der Tasse und zog ihn wieder in’s Nebenzimmer.

„Laß nur, Emil!“ erwiderte sie. „Die Gräfin braucht keinen Thee, und es dauert noch sehr lange. Um Deinen lieben Waldemar brauchst Du Dich auch nicht mehr zu grämen; dem geht es gar nicht schlecht da drinnen, durchaus nicht. Ich habe ihm übrigens Unrecht gethan – er hat doch ein Herz. Dieser kalte starre Nordeck kann wirklich auf den Knieen liegen und in den glühendsten Worten von seiner Liebe sprechen. Ich hätte es nicht geglaubt.“

„Aber liebes Kind, woher weißt Du denn das alles?“ fragte der Professor, der in seiner Unschuld und Gelehrsamkeit nie etwas mit Schlüssellöchern zu thun gehabt hatte. „Du standest ja draußen.“

Gretchen wurde feuerroth, faßte sich aber schnell und sagte mit großer Bestimmtheit:

„Das verstehst Du nicht, Emil. Es ist auch gar nicht nöthig – und da der Thee nun einmal da ist, so wollen wir ihn selber trinken.“


Die milde klare Frühlingsnacht, welche über dem Meere lag, begann dem Morgen zu weichen. Am Himmel blinkten noch matt die Sterne, aber fern am Horizont dämmerte schon die erste Tageshelle, und das Meer rauschte leise, wie im Traume.

Durch die immer lichter werdende Morgendämmerung eilte ein Schiff, das gegen Mitternacht den Hafen von S. verlassen hatte. Es hatte mehrere Stunden gebraucht, um die weite seeartige Mündung des Flusses zu durchmessen, und stand nun im Begriff, die hohe See zu gewinnen. An Bord befand sich Graf Morynski mit seiner Tochter und Waldemar. Wanda hatte die Trennung vom Vater so unmittelbar nach dem Wiedersehen nicht über sich gewinnen können. Sie bestand darauf, ihn wenigstens bis zum Hafen zu begleiten und auch dann noch so lange wie möglich an seiner Seite zu bleiben, und Waldemar hatte ihren stürmischen Bitten nachgegeben. Eine Gefahr brachte das kaum mit sich, im Gegentheil, die Fahrt nach S. wurde vielleicht unverdächtiger in Gesellschaft einer Dame zurückgelegt. Die Fürstin verweilte ja vorläufig noch in Rakowicz; ihr schrieb man, wie der Sohn ganz richtig voraussah, allein die Befreiung ihres Bruders zu. Jeder Verdacht, jede etwaige Nachforschung richtete sich auf sie und ihren Aufenthalt. Wanda’s Abwesenheit wurde schwerlich bemerkt; überdies sollte sie schon in den nächsten Tagen in Begleitung Waldemar’s von Altenhof zurückkehren. Das ehemalige Gut Witold’s, jetzt das Eigenthum seines Pflegesohnes, lag an der offenen Küste, die das Schiff bei seiner Abfahrt passiren mußte, und bis hierher ward dem Flüchtlinge von seinen Kindern das Geleit gegeben. Graf Morynski beabsichtigte in England die Fürstin zu erwarten, die noch einige Wochen in Rakowicz bleiben wollte, bis zur Vermählung ihres Sohnes und ihrer Nichte, um dann unverzüglich dem Bruder zu folgen. Von England aus wollten Beide gemeinschaftlich ihren ferneren Aufenthalt wählen.

Es war allmählich Tag geworden. Das erste kalte Frühlicht ruhte auf der weiten Meeresfläche, aber noch ohne Wärme und Farbe. Jetzt, wo die Küste zurückwich und die offene See vor den Scheidenden lag, konnte die Trennung nicht länger verschoben werden. Dort drüben dehnte sich der Strand hin, der das Gebiet von Altenhof begrenzte, und in unmittelbarer Nähe des Schiffes, das jetzt seinen Lauf hemmte, lag, noch umwallt von weißen Morgennebeln, der Buchenholm. Es war eine kurze, aber ergreifende Abschiedsscene, die auf dem Verdecke stattfand. Graf Morynski litt wohl am schwersten darunter. So sehr er auch strebte, seine Fassung zu behaupten sie brach doch zusammen, als er die Tochter in die Arme ihres künftigen Gatten legte. Waldemar sah, daß die Qual der Trennung nicht verlängert werden durfte; er umfaßte rasch seine Braut und hob sie in das bereitliegende Boot, das sie in wenigen Minuten nach dem Buchenholm hinübertrug, während das Schiff sich wieder in Bewegung setzte. Vom Verdeck flatterte noch ein weißes Tuch, und vom Holm aus wurde der Abschiedsgruß erwidert, dann wurde, die Entfernung weiter und weiter zwischen den Scheidenden. Das Schiff wandte sich mit voller Dampfkraft gen Norden.

Wanda war auf eins der Steintrümmer niedergesunken, die unter den Buchen zerstreut lagen, und überließ sich dem Ausbruche eines leidenschaftlichen Schmerzes. Waldemar, der neben ihr stand, behauptete wohl die Fassung, aber auch auf seinem Antlitze lag der ganze Ernst dieser Abschiedsstunde.

„Wanda,“ sagte er, seine Hand sanft auf die ihrige legend, „die Trennung ist ja keine ewige. Wenn Dein Vater den heimathlichen Boden nicht wieder betreten darf, so hindert uns nichts, ihn bisweilen aufzusuchen. In Jahresfrist siehst Du ihn wieder – ich verspreche es Dir.“

Wanda schüttelte schmerzlich das Haupt. „Wenn ich ihn dann noch finde. Er hat zu viel und zu schwer gelitten, um sich je wieder ganz dem Leben zuwenden zu können. Mir ist es, als hätte ich das letzte Mal in seinen Armen gelegen.“

Nordeck schwieg – auch ihm hatte sich beim Abschiede die gleiche Befürchtung aufgedrängt. Wenn Graf Morynski auch wirklich die Folgen der Wunden und der Kerkerhaft zu überwinden vermochte, den Untergang der Sache, der sein ganzes Leben geweiht gewesen war, überwand er schwerlich. Als er vor Jahren das erste Mal in die Verbannung ging, da hatte er geistig und körperlich noch die volle Kraft des Mannes einzusetzen, aber jetzt war diese Kraft gebrochen – wer konnte es wissen, wie lange der Rest davon noch Stand hielt!

„Der Vater bleibt ja nicht allein,“ entgegnete Waldemar endlich. „Meine Mutter folgt ihm, und ich sehe erst jetzt, was wir ihr zu danken haben. Sie nimmt mit diesem Entschlusse eine schwere Sorge von uns Beiden. Du kennst ihre Liebe zu dem einzigen Bruder; sie wird ihm die Stütze sein, deren er bedarf.“

Der Blick Wanda’s hing noch immer an dem Schiffe, das schon in weiter Ferne dahinzog.

„Und Du verlierst auch die Mutter, nachdem Du sie kaum erst gefunden hast,“ sagte sie leise.

Seine Stirn verdüsterte sich bei der Erinnerung. „Glaubst Du, daß mir das leicht wird? Und doch, ich fürchte, sie hat Recht. Wir sind zu gleichartige Naturen, als daß sich je eine der anderen beugen könnte, und bei einem Zusammenleben müßte das doch nun einmal geschehen. Gehörte ich ihrem Volke an oder sie dem meinigen, dann freilich bedürfte es dessen nicht, dann würde Alles, was ich unternehme und erringe, ihr Stolz, ihr eigenes Wollen sein, jetzt aber steht mir dieses Wollen ewig feindlich gegenüber, und wo ich in Wilicza meinen Schöpfungen die Bahn brechen will, da muß ich erst die ihrigen zerstören. Wir können uns wohl über die Kluft hinweg die Hand reichen und es endlich fühlen, daß wir Mutter und Sohn sind – miteinander gehen können wir nicht. Sie hat das klarer eingesehen als ich selber

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 878. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_878.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)