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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

“Sie hassen mich, Fräulein Emilie –“

„Hornemann heiße ich,“ unterbrach sie ihn, aber er hörte davon nichts.

„Ich weiß, daß ich Ihnen mehr zuwider bin, als der böse Feind, und dennoch habe ich nichts gethan, als daß ich Sie geliebt habe, und lieben werde ich Sie, so lange ich athme. Ich möchte wohl wissen, ob Sie ebenso lange im Stande sein werden, mich zu hassen.“

Ein Blick voller Verachtung glitt an ihm nieder, aber er ließ sich nicht aus der Fassung bringen. „Ich habe das Unglück taub zu sein, aber ich bin nicht blind, und Ihre Augen sprechen eine sehr deutliche Sprache. Nun wohl, Sie wollen nicht, daß ich glücklich werde, und ich würde selber darauf verzichten, sobald ich einsehen würde, daß ich, um selber glücklich zu sein, Ihr Unglück fordern müßte. So lange ich diese Ueberzeugung nicht habe, werde ich jede Waffe für erlaubt halten, um Sie zu besiegen, um Ihnen den Widerwillen gegen mich aus der Hand zu winden, zu dem Sie kein Recht haben. Sie behandeln mich, wie man eine Kröte behandelt, die man mit einem Fußtritte bei Seite stößt; das heißt über eine Grenze hinausgehen, deren Ueberschreiten mich auch von einer Summe von Rücksichten entbindet, die man sonst Damen gegenüber, um die man wirbt, zu nehmen pflegt.“

Sie war außer sich, als er ihr diese Worte ruhig, aber mit bitterem Ernste und großer Festigkeit sagte. Sie trat dicht vor ihn hin mit bebenden Lippen und zornigen Augen und sagte scharf accentuirt: „Mein Herr, Sie sind ein Komödiant und ein Narr dazu.“ Und sie wandte ihm den Rücken und schritt stolz wie eine zürnende Göttin aus der Stube.

Ein tiefer Schatten legte sich über sein klares Gesicht, als er allein war. „Ich lasse nicht von ihr,“ murmelte er; „einer Marotte, einer sogenannten Antipathie halber sicher nicht. Es wäre denn, daß ich etwas Anderes glauben müßte – –“

Oben saß die schöne Leidenschaftliche wieder, diesmal vor ihrem Schreibtische, und während sie heiße Thränen weinte, daß sie kaum das lichte Papier von ihnen frei zu halten vermochte, glitt ihre Feder über den Briefbogen. Einmal hielt sie inne und lehnte sich in den Stuhl zurück. „Der Tropf,“ sagte sie und schlug sich an die Stirn, „er thut, als wisse er nicht, daß er im Begriffe ist, mich unglücklich zu machen.“ Und sie lachte zornig auf und schrieb weiter; am Ende siegelte sie den Brief ein und schrieb die Adresse darauf: An Herrn Doctor Urban.

Franz Zehren war längst aus dem Hause, als sie mit dem Schreiben fertig war. Die Mutter, welche sonst beständig nach ihr rief, hatte sie nicht ein einziges Mal gestört. Sie nahm ihre Mantille um, band ein Filettuch über ihr üppiges Haar und ging leise durch den Hausflur auf die Straße. Als sie am Canale hinunter zur Kaiserbrücke kam, blieb sie einen Moment vor dem Eingange zu letzterer stehen, um eine offene Equipage vorüber fahren zu lassen. Die zwei prächtigen Apfelschimmel bäumten sich dicht neben ihr? und ein Blitz des Erkennens ging über ihr Gesicht. Gleich darauf erscholl aus dem Fond des Wagens ein „Halt!“ Der Kutscher auf dem Bocke zog die Zügel an und ein paar weiße Mädchenarme griffen aus dem Wagen, um die Freundin hereinzuziehen. Emilie schwankte noch, aber die frischen schwarzen Augen über ihr baten so dringend und unwiderstehlich, daß sie auf den Tritt stieg. Bald darauf rollte sie leicht, in dir Kissen zurückgelehnt, neben der Freundin die Kaiserstraße hinab.

„Das ist köstlich, Milli, daß ich Dich aufgefischt habe. Ich lasse Dich nicht los bis in die sinkende Nacht. Wenn man Dich nicht unversehens einfängt, so bekommt man Dich überhaupt nicht mehr zu sehen. Ich habe schon den Doctor Urban nach Dir gefragt, aber er will Dich seit vierzehn Tagen nicht gesehen haben und behauptet, Du beabsichtigtest Nonne zu werden, was ihm natürlich die höchste Freude sein würde.“ Und die frischen Lippen des zierlichen Wesens neben ihr lachten so lustig, und die Feder des Hutes auf dem schwarzbraunen Krauskopfe nickte dazu, daß es wie Sonnenschein in die Nebel über dem Herzen der wenig älteren Freundin fiel. Aber die Nebel zergingen nicht; der Name des Doctor Urban, den das Commerzienraths-Töchterchen genannt hatte, verdarb Alles.

„Mein Gott, da fahre ich nun mit, Toni, und wollte doch zur Post,“ sagte sie und richtete sich ängstlich auf. „Ich fahre auf jeden Fall nur bis an Euer Haus und steige dort aus.“

„Paperlapap! Ich schicke den Johannes auf die Post mit Deinem Briefe. Widersprich nicht! Vor all dem Lärme hier würde ich kein Wort verstehen.“ Und Lärm gab es wirklich genug; unter ihnen rasselte der Wagen, und neben ihnen vorbei klirrten und knarrten und rasselten andere Fuhrwerke, das ganze Getriebe der großen Fabrikstadt, und an einer Ecke stand die Drehorgel und spielte die Ouvertüre zu „Alessandro Stradella“ – es war kaum möglich, sich hier verständlich zu machen. Schweigend und nur hier und da einen Gruß erwidernd fuhren die Mädchen bis in den Hof des Commerzienrathes.

„Seyboldt und Compagnie“ stand auf dem großen messingenen Comptoirschilde, das die Thür eines Nebengebäudes im Hofe zierte. Aus der Thür aber stürzten ein paar Commis, um der Tochter des Hauses den Wagenschlag zu öffnen.

„Ist mein Vater da?“ fragte das junge Mädchen, indem es leichtfüßig aus dem Wagen sprang. Emilie folgte ihr.

„Soeben ausgegangen, Fräulein Seyboldt; der Herr Commerzienrath wollte aber in einer halben Stunde zurück sein,“ war die Antwort eines der jungen Leute, welchem die lange Feder keck zwischen den braunen Locken hervorstand.

„Ich danke, meine Herren; bemühen Sie sich nicht weiter! Johannes, trage die Sachen hinauf und melde der Tante, ich wäre im Garten. Noch eines – Emilie, gieb Deinen Brief! Johannes, er muß nachher gleich auf die Post kommen –“

Das Gesicht Emiliens glühte in verrätherischem Roth, und sie drückte ängstlich mit der Hand auf die Tasche des Kleides, welche den Brief enthielt. Sie dachte daran, welche Adresse der Brief trug, und sie war entschlossen, ihn um keinen Preis aus der Hand zu geben.

„Es hat keine Eile,“ sagte sie resignirt; „laß’ uns gehen!“ Sie vermochte in der Verwirrung keinen anderen Entschluß zu fassen, als den, vorerst zu bleiben.

Toni nahm ihren Arm, indem sie mit der einen Hand den Fächer entfaltete und eifrig benutzte. „Ich wußte, daß der Vater nicht hier war,“ flüsterte sie heimlich lachend und zog die Freundin mit sich, „sonst dürften unsere jungen Herren dort nicht so galant sein. Sie widmen mir insgesammt die zarteste Neigung, besonders Herr Pieper, der zweite Buchhalter mit den Locken. Aber warum siehst Du so ernst aus, Milli? Du bist zwar ein geborener Verstandeskasten, aber trübseliger habe ich Dich noch nie gesehen als heute. – Brr, alle meine Tauben! Sie werden ein Paar zum Geburtstage erhalten, mit rothen Bändern um den Hals, Herr Pieper, wenn Sie so fleißig weiter füttern.“

Ein Taubenschwarm umschwirrte sie – ein anmuthiges Bild, das elegante, lichtgraue Wohnhaus im Hintergrunde mit der breiten Treppe und dem hohen, luftigen, üppig mit wildem Weine bewachsenen Verandabaue darüber, vorn die sommerlich bunt gekleideten Mädchen in der Unruhe und dem Geflatter der Vögel. Seitwärts aber stand, der einzige noch von seinen Collegen, jener blutjunge hübsche Bursche mit der Feder hinterm Ohre, und lächelte glücklich mit einem Munde voll milchweißer Zähne und holte aus den tiefen Taschen seines Comptoirrockes eine Hand voll Erbsen nach der andern heraus, die er verschwenderisch auswarf. Wie verklärt starrte er der zierlichen Principalstochter nach, als sie, ihm zunickend, das Eisengitter aufstieß und leichtfüßig mit der Freundin im Garten verschwand. Dann fiel er sehr unsanft aus seinen Himmeln, denn drei Paar Hände zugleich trommelten an den Scheiben der Comptoirfenster, und als er sich umwandte, erblickte er drei lachende Gesichter zugleich hinter den Scheiben, welche ihn beobachteten. Er steckte die Daumen in die Westentaschen und ging mit dem unbefangensten Gesichte von der Welt in das Haus zurück.

Der Tag ging auf die Neige. Warme Sommerluft strich über die Rosenbeete im Garten und verstreute den Duft und raschelte hinten in den Laubbüscheln der dicken alten Linden, welche wie ein Kreis sehr ehrwürdiger Patriarchen in den sonst weit jüngeren Anlagen die Köpfe zusammensteckten. Zu beiden Seiten der Linden blitzte da und dort das Silber des Flusses auf, und darüber stiegen im blauen Abenddufte schon die Berglehnen der Umgebung empor. Rechts darüber konnte man das lange Fabrikgebäude sich hinstrecken sehen, aus dem ein gedämpftes Rauschen und Klappern herüberscholl; dichtes Gebüsch verdeckte das Erdgeschoß desselben vor den Besuchern des Gartens.

Die Mädchen gingen den breiten Kiesweg hinunter auf die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_043.jpg&oldid=- (Version vom 1.1.2019)