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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Linden zu. Toni riß im Vorübergehen einen Zweig mit zwei Centifolienknospen vom Stocke und sagte ernsthaft: „Er und sie! siehst Du, Emilie, sie stehen ein ganzes Stück auseinander, wie man glauben könnte, aber hier unten, da kannst Du es sehen, daß sie doch im Grunde ganz einig sind. So, das will ich Dir widmen, und Du kannst es hinter den Spiegel stecken. Uebrigens,“ fuhr sie scheinbar ohne Zusammenhang fort, „ich muß Dir doch sagen, daß der Doctor Urban sehr häufig bei uns ist.“

„Es ist doch Niemand krank bei Euch?“ fragte Emilie zerstreut.

„Hat man je so etwas gehört?“ rief Toni und lachte unbändig. „Nicht einmal eifersüchtig kann man sie machen. Wir sind so gesund wie Fische, abgerechnet, daß die Tante alle vier Wochen große Migräne hat, wie andere Leute große Wäsche, und dann liegt sie zwei Tage und eine Nacht zu Bett und läßt die Fenster verhängen. Sie hat freilich eine Schwäche für den Doctor, obwohl er sie nicht curiren will und sich weder um sie noch um mich viel bekümmert. Wir sind ihm jedenfalls zu dumm, dafür ist er mir aber auch zu hochmüthig und zu moquant. Ich laufe ihm gern aus dem Wege. Wie Ihr so gut mit ihm fertig werdet, begreife ich nicht – und Du zu allererst, – leugne nur nicht, Du Heuchlerin, wir wissen Alle, daß Ihr Zwei ineinander verliebt seid –“

„Toni, um's Himmels willen –“ Emilie versuchte ihr den Mund zuzuhalten, aber die Geschwinde entschlüpfte ihr.

„Natürlich, ich bin eine Plappertasche, das ist noch nicht anders gewesen, so lange ich mich kenne. Du weißt ja, daß mich Fräulein Austin in der Pension das Mühlrad getauft hat. – Hier stelle ich Dir Herrn Amor vor; eigentlich solltest Du mich ihm vorstellen, denn Du kennst[1] ihn besser als ich.“ Und das graziöse, lustige Mädchen machte vor einem prächtigen Amor in Marmor eine tiefe Kniebeugung. Inmitten der Linden befand sich eine Rhododendrongruppe. und aus dieser heraus hob sich ein geschliffener Granitsockel mit der Figur. Vor dem Sockel ging das Beet auseinander, so daß eine Gartenbank Platz fand, und die Bank war mit zerpflückten Rosen übersäet.

„Siehst Du, das sind Opferspenden, die ich dem reizenden Jungen bringe,“ meinte Toni, und ihre schwarzen Augen blitzten muthwillig, wie sie mit dem Fächer über die Bank fuhr, daß die Blätter auf den Kies hinabrieselten. „Was er für wunderhübsche Grübchen hat, und einen Mund zum Küssen! Ich hoffe nun, er wird mir sehr gnädig sein. Du mußt nämlich wissen, daß ich alle jungen Männer, die in unser Haus kommen, hierher zu bringen suche, damit es der arme kleine Gott bequem hat, mir den Rechten auszusuchen. Laß uns noch ein wenig gehen! Nachher begeben wir uns auf die Bank unter seinen Schutz.“

Sie gingen, und die schöne Emilie Hornemann war froh, sich so ziemlich selbst überlassen zu sein. Wie ein glitzernder Springbrunnen plätscherte das Geplauder des reizenden Geschöpfes neben ihr. Nur daß sie sich einiger verfänglicher Fragen zu erwehren hatte, denn Toni wollte durchaus wissen, ob es ihr anfangs sauer geworden sei, den Doctor zu küssen, und ob sie selber Aussicht auf einen Brautjungfernposten habe, und was dergleichen wissenswürdige Dinge mehr waren. Endlich wurde die Aermste einmal in ihrer Herzensnoth heftig, worauf ihre Begleiterin sie mit der Erzählung dessen strafen zu wollen erklärte, wovon der Doctor sich mit ihrem Vater zu unterhalten pflege. „Schauderhafte Dinge sind es, lieber Schatz,“ meinte sie geheimnißvoll. „Da soll es z. B. gähren und allerlei Kartoffelkrawalle geben, und dann ist von einem Guizot die Rede und einer schlechten Constitution – wer daran leidet, weiß ich nicht, es müßte denn die Tante sein. Auch Jesuiten kommen vor und Schweizer und Italiener, besonders ein sogenannter großer Mazzini, von dem der Doctor immer spricht, und Vater will mit Kanonen schießen, während sie der Doctor für sehr überflüssig hält und dabei meiner vollen Zustimmung gewiß sein kann,“ wie sie mit weiser Miene hinzufügte. „Kurz, wenn ich sie von weitem reden höre, so ist mir immer, als läse ich Räubergeschichten – wenn ich nämlich in die Nähe komme, so hören sie auf.“

„Sind sie denn einerlei Meinung?“ fragte Emilie gespannt.

Toni überlegte. „Ich glaube nicht. Sie schütteln viel mit den Köpfen, und ein paar Mal sind sie ganz heftig geworden. Verstehst Du etwa von ihrem Gerede etwas? Aber ich brauche ja nur an Deinen Bruder zu denken. Ich wollte, ich hätte auch einen, nur dürfte er keine so abscheuliche Troddelmütze aufsetzen und so lange Röcke tragen. – Prenez place, s'il vous plait, mon ange!“ Sie saß schon, indem sie das sagte, und stieß mit den Spitzen ihrer leinenen Rosettenstiefelchen den Sand auf, daß er hoch in die Luft stob.

Emilie mußte wider Willen lächeln. „Du weißt gar nicht, ein wie reizender Unband Du bist,“ sagte sie.

„Soso lala; es geht an. Die Welt weiß, daß ich eine Stumpfnase und einen zimmetfarbenen Teint habe. Ich erinnere mich nicht, daß ich viele Eroberungen zu verzeichnen hätte – das heißt wirkliche. Wäre Papa nicht Commerzienrath, so pfiffe kein Vogel nach mir. Nein, Du bist die Prinzessin Tausendschön. Emilie – ich sollte lieber Prinzessin Lilie sagen, das reimte sich, und Du bist wirklich so feierlich und glänzend, wie meine Lieblingsblume. Ich wünschte, daß ich nur einmal die Augenbrauen so zusammenziehen und so stolze Augen machen könnte, wie Du. Der Doctor kann es beinahe, aber er sieht so vornehm, wie Du, doch nicht aus. Wer hat nach mir, nach mir selber schon gefragt? – Und doch glaube ich, ich würde einen Mann sehr lieb haben können, Milli. Es ist mir wohl manchmal so eigen hier“ – und sie schlug sich mit dem Fächer auf die Brust – „so voll und süß und wunderlich. – Ich lieb' eine Blume, und weiß nicht welche – das macht mir Schmerz; ich schau' in alle Blumenkelche und suche ein Herz –“

Emilie bog sich zu ihr hinüber und hob leise den Kopf auf, den sie hängen ließ. Zwischen den dunklen Wimpern blitzte es feucht, und ihr schlanker Körper bebte leise in den Armen der Freundin. Aber einen Moment später lachte sie wieder, und plötzlich fühlte Emilie ein paar heiße Küsse, dann riß sich Toni von ihr los, sprang auf, und indem sie rasch dem Marmorknaben droben ein paar Nasenstüber versetzte, sagte sie: „Adieu, ich will ihm einige Rosen zum Opfer holen. Laß Dir die Zeit nicht lang werden, Milli!“ Und fort war sie.

Emilie spielte mechanisch mit ein paar Rosenblättern und horchte dann. Es war ihr, als ob der Schritt der Davoneilenden in einer anderen Richtung zu hören sei, als nach der sie den Weg genommen. Doch das war wohl eine Täuschung. In der Fabrik drüben schloß das Glockenzeichen die Arbeit ab; die Ausgänge führten auf eine Seitenstraße, indeß war der Lärm, welchen die abziehenden Arbeiter verursachten, stark genug, um ein schwaches Geräusch im Garten zu übertäuben.

Das unendlich Rührende und Reizende, was in der halb unfreiwilligen Gefühlsäußerung Toni's gelegen, hatte sie eigenthümlich ergriffen. Die Tochter des Commerzienrathes war ihre Pensionsfreundin, die sich, obgleich ein paar Jahre jünger als sie, mit nicht abzuweisender Innigkeit an sie angeschlossen hatte. Und wie verschieden waren sie beide geartet! – so verschieden, daß sich Emilie schwer würde haben entschließen können, sie zur Vertrauten zu machen. Die Versuchung dazu lag doch eben nahe genug. Nun saß diese wieder regungslos da wie Marmor, nur der Widerschein der verglimmenden Abendröthe überhauchte das schöne, blasse Gesicht mit wärmerer Farbe.

Da bewegte es sich hinter ihr. Von einer Linde löste sich eine dunkle Männergestalt los und trat auf sie zu. Sie sprang hastig empor und stützte sich in tödtlichem Schrecken auf die Lehne der Bank, bis sie ihn plötzlich erkannte – es war der Doctor Urban.

„Habe ich Dir Furcht eingeflößt, Emilie?“ fragte er, seine Ueberraschung bemeisternd. „Wie kommst Du hierher, Du, die ich hier zu allerletzt zu finden hoffen durfte?“

Sie sah ihn mit großen, prüfenden Augen an und erwiderte langsam: „Das möchte ich Dich fragen, Heinrich. Ich habe in meines Herzens Noth diesen Nachmittag auf ein erlösendes Wort von Dir gehofft, und Du hattest mir nichts zu sagen, und nun begegne ich Dir in dieser Umgebung, die, wie ich höre, eine besondere Anziehungskraft auf Dich übt, und in diesem Moment! Wenn ich nicht hier säße, Heinrich, sondern Toni Seyboldt, die Du statt meiner erwarten mußtest, was würdest Du ihr gesagt haben – – ah! das war ein dummer Einfall; halte mir meine Thorheit zu gute! Ich habe noch nicht an mir verzweifeln gelernt, um eifersüchtig zu sein. Möchtest Du mir nicht einen Brief an Dich abnehmen, Heinrich? Ich wollte ihn zur Post geben; nun macht es mir der Zufall bequemer.“ Und sie nestelte an ihrer Tasche, in welcher der Brief knisterte.

(Fortsetzung folgt.)
  1. Vorlage: 'kennt'
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_044.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)