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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

förmlich. So hat die Firma Siemens und Halske in Berlin neuerdings einen kleinen, leicht transportablen und ohne Mühe anwendbaren Kriegs-Telegraphen erdacht, um jeden einzelnen Vorposten mit seinem Commando in Verbindung zu setzen, und die einfachen Zeichen, die für diesen Zweck in Betracht kommen, zu geben. Nichts würde aber an praktischer Bedeutung dem sogenannten Multiplex-Apparat von Meyer gleichkommen, der seit dem achtzehnten September auf der Strecke Berlin–Frankfurt in Thätigkeit ist. Derselbe soll es ermöglichen, eine größere Anzahl Depeschen gleichzeitig vermittelst derselben Drahtleitung zu befördern, so daß man also mit viel weniger Leitungen und Arbeitskräften auskommen wird. Ein Quadrupler-Apparat, wie er auf der genannten Strecke in Thätigkeit ist, befördert zweitausend Worte in der Stunde, was durch keine andere Vorrichtung bisher zu erzielen gewesen ist. Die Herren Bochotte und Bourbonce in Paris haben ihrer Akademie nun gar einen Bericht vorgelegt, nach welchem sie unter Umständen ohne alle Drahtleitung telegraphirt haben, und zwar, indem sie das Wasser der Seine als Leitung benützten. Das Verfahren wäre zwar nicht für die allgemeine Anwendung geeignet, da gewisse natürliche Strömungen der Elektricität dabei in Betracht kommen, aber es könnte sich vielleicht für Ausnahme-Fälle (belagerte Festungen) nützlich erweisen.

Praktisch wichtiger versprechen die Versuche zu werden, die telegraphischen Leitungen direct derartig mit den Locomotiven in Verbindung zu bringen, daß diese gleichsam selbst für ihre Sicherheit sorgen, indem sie nach der nächsten Station automatisch voraus melden, wenn sie eine bestimmte Stelle der Bahnstrecke passiren. Eine Art Besen mit Metallfasern, der an dem Bauche der Locomotive angebracht ist, fegt im Darüberhinfahren über eine erhöhte und mit einer Metallplatte bedeckte Stelle des Bahnkörpers und in demselben Augenblicke ertönt auf der nächsten Station das Auskunftssignal, welches also niemals vergessen werden kann. Solche Apparate sind von Lartigne, Forest und anderen Ingenieuren construirt worden und auf mehr als einer Linie bereits in Wirksamkeit. Eine noch einfachere derartige Vorrichtung, um das Befahrenwerden eines Schienenstranges telegraphisch voraus zu melden, ist von Professor Robinson erdacht und auf einer von Boston ausgehenden Bahn vor einigen Monaten in Anwendung gebracht worden. Die beiden Schienen des Stranges werden nämlich bei dieser neuen Einrichtung selbst als Telegraphendrähte benützt, in denen beständig ein geschlossener schwacher Strom kreist, so lange nicht eine Locomotive diese Schienen betritt und vermöge ihres Metallkörpers selbst die Schließung bewirkt. Dann geht der Strom selbstverständlich nicht mehr bis zur nächsten Station, und ein dort an weit sichtbarer Stelle angebrachter Hufeisenmagnet, den dieser Strom sonst beständig umkreist, läßt seinen Anker fallen, das Signal stellt sich von selbst auf „Gefahr“. Dieser einfache Apparat ist nur darum nicht schon längst erfunden, weil man nicht für möglich gehalten hat, daß man sich der beiden Schienen als isolirte „Drähte“ bedienen könne, und es also auch nicht versucht hat. Die bereits seit länger als einem halben Jahre fortgesetzten Versuche auf der Linie Boston–Lowell zeigten aber, daß die Isolation bei jedem Wetter vollständig ist. Es kommt nur darauf an, daß der Strom schwach bleibt, und deshalb hat Robinson die Strecke in Abtheilungen von je zwei englischen Meilen getheilt, für welche je ein Element den Dienst, als niemals schlafender Wächter, der auch nur alle sechs Monate einmal gespeist zu werden braucht, versieht. So muß der elektrische Strom nach allen Richtungen für unsere Sicherheit sorgen.




Das Londoner Polizeiwesen.
1. Der Geheimpolizist.
Im Namen des Gesetzes: Sie sind verhaftet.


Welcher lesende Mensch Europas hat sich nicht an dem Jules Verne’schen Romane „Reise um die Welt in achtzig Tagen“ und welcher Theaterbesucher nicht an der Meilhac’schen Posse „Tricoche und Cacolet“ ergötzt? Und worin liegt das größte erheiternde Moment an diesen launigen Geistesproducten? Nun denn - zweifellos in den Figuren der Detectives, respective der als Detectives fungirenden „Vermittelungsbüreau-Inhaber“. In der That, die Wirksamkeit eines geschickten Geheimpolizisten - der technische Ausdruck „Detective“ ist mit den entsprechenden Aenderungen fast in alle europäischen Sprachen übergegangen - bietet sowohl ihm selbst wie dem Beobachter hohes Interesse, erfordert aber auch weit mehr Geschicklichkeit als die des einfachen Constablers. Dieser hat es mehr mit concreten, greif- und sichtbaren, äußerlichen Dingen zu thun, während sein bürgerlich gekleideter College Alles erst concret, greif- und sichtbar zu gestalten hat, was ein tiefes Eindringen in’s Innere von Menschen und Zuständen nothwendig macht.

Die Zirkel, in denen sich der Detective bewegt, sind gerade nicht die feinsten in der Gesellschaft, nein, die Leute, von denen er lebt, sind der Auswurf der Menschheit: Criminalverbrecher, Mörder, Einbrecher, Betrüger, Brandstifter und wie diese saubere Sippe sonst noch heißen mag. Sein Geschäft ist also keineswegs reinlich und angehm. Dennoch übt es große Anziehungskraft auf sehr Viele aus; daher rührt es, daß nicht Wenige daran Geschmack finden, die selbst in behaglichen Lebensstellungen sind, und daß sie in Ländern, wo man es ihnen gestattet, der Polizei als Dilettanten-Detectives unentgeltliche Dienste leisten. Auch ist es gar nicht selten, daß officielle Detectives in ihren Stand geradezu schwärmerisch verliebt sind.

Was hat der Geheimpolizist zu thun? Er ist dazu da, Verbrecher zu entdecken, respective des Verbrechens Verdächtige und Leute von notorischer Schlechtigkeit zu überwachen, kurz, Alles zu veranlassen, was einen Bösewicht dem „Arme der Gerechtigkeit“ überliefert. Gerade in England wirken verschiedene besondere Umstände zusammen, um diese Aufgaben zu erschweren. Die ausgedehnte persönliche Freiheit hat zur Folge, daß Missethäter sich dort zahlreicher als anderswo der verdienten Bestrafung entziehen können. Hier braucht, wer im Hôtel ein Zimmer oder in einem Privathause eine Wohnung miethet, sich weder in’s Fremdenbuch einzutragen, noch einen „Fremdenzettel“ zu schreiben. Man kümmert sich nicht darum, wie Jemand heißt, was er ist, woher er kommt und wohin er geht. Es giebt keine Hausbesorger, keine Wanderbücher, weder Pässe noch Marschrouten. Ebenso wenig ist die Rede von autorisirten und gewissenhaften Versatzämtern, wie sie in Paris, Wien etc. bestehen, man kennt nur „Pawnbrokers“, bei denen der Erstbeste gestohlenes oder rechtmäßiges Gut unter falschem Namen und falscher Adresse versetzen kann. Das Privatleben der Ausländer ist wie das der Inländer keinerlei Controle unterworfen. Die Hauptsache jedoch ist, daß Großbritannien ein Inselreich ist, das täglich zahllose Schiffe nach allen Meeren entsendet; das Entkommen ist also viel leichter als auf dem Continent. Zuweilen glaubt die Polizei, der Verfolgte sei in Australien, während er die Metropole noch gar nicht verlassen; ebenso sind Manche längst in irgend einer Stadt des Westens geborgen, wenn die Weisen von Scotland-Yard (Gerichtshof) ihren Spürnasen Auftrag geben, jeden Winkel Londons zu durchstöbern. Trotz all dieser Schnwierigkeiten jedoch ist die Zahl der Entwischenden seit zwei Jahrzehnten verhältnißmäßig merkwürdig gering. So lange existirt nämlich das Institut der Detectives, diese neue Organisation des europäischen Polizeiwesens.

Die Leitung der Londoner „Metropolitan Detective Police“ (auch für die City maßgebend) ruht in den Händen des Chefs des Constablerwesens, jetzt Colonel Henderson; ihm unterstehen ein Ober-Inspector, drei Inspectoren, fünfzehn Sergeants und eine wandelbare Zahl von Detectives. Diese sind, wie gesagt, Sicherheitswächter in bürgerlichen Gewande und werden aus der Zahl der Constabler gewählt. In der Regel fällt die Wahl auf solche, die sich durch Scharfsinn und richtigen Blick bemerkbar machen und die vor Allem Lust zur Sache zeigen. Da sie es gewöhnlich mit verschmitzten Leuten zu thun haben, müssen sie selbst einen erklecklichen Grad von Schlauheit besitzen, List mit List vergelten, und dazu darf ihnen kein Mittel unmöglich dünken. Sie müssen sich im Nothfalle schminken, falsche Bärte und Perrücken anlegen - ganz wie die Schauspieler, und wie diese können sie heute als Bettler, morgen als Stutzer, jetzt als Kellner, dann als

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_050.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)