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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Tracht nach Art der Handelsschiffscapitaine. Rechts vom Beschauer liegt ein südamerikanischer Paquetdampfer, der „Valparaiso“, eines jener „schwimmenden Hôtels“, welche circa 1000 Seelen auf einmal hinüberbringen können nach dem gelobten Lande Amerika. Neben dem breiteren Schienengleise, auf dem die Krähne fortbewegt werden können, läuft ein schmäleres für diejenigen Eisenbahnzüge, welche direct aus dem Schiffsraume ihre Ladung erhalten. Weitere drei Gleise finden sich auf der anderen Seite des Schuppens. Sie stehen selbstverständlich mit allen hamburgischen Bahnhöfen in Verbindung. Daß auch Schuten und gewöhnliches Fuhrwerk am Quai laden können, mag nur der Vollständigkeit halber erwähnt sein.

Die Krähne selbst verdienen etwas nähere Betrachtung. Es sind theils Dampf-, theils Handkrähne. Von beiden sehen wir ein Exemplar im Vordergrunde des Bildes; die Art der Waare entscheidet, ob Dampf- oder Menschenkraft zur Anwendung kommen soll. Die gewöhnlichen Dampfkrähne heben zwanzig bis hundert Centner, es sind aber auch einzelne Enakssöhne vorhanden, welche zweihundertfünfzig Centner heben können, und ein Goliath nimmt eine Last bis zu 60,000 Pfund (30,000 Kilo) auf sich, falls es verlangt wird. Die Krähne sind eigener Construction. Wasserbaudirector Dalmann hatte sich auf einer Reise in Großbritannien vergebens nach solchen Dampfkrähnen, wie sie den Zwecken des Quaibetriebes seiner Meinung nach am besten dienen würden, umgesehen und entwarf Submissionsbedingungen, welche einen wahren Sturm unter seinen Fachgenossen erregten, die da meinten, daß Unmögliches verlangt werde. Es handelte sich um eine Uebertragung des Flaschenzug-Princips der hydraulischen Krähne auf Dampfkrähne. Dennoch lösten hervorragende deutsche, englische und belgische Maschinenfabriken die gestellte Aufgabe durch geistreiche neue Erfindungen, die denn auch zum Theil acceptirt und ausgeführt wurden. Namentlich verlangte Dalmann absolut bewegliche Krähne, denn nur diese ermöglichen die volle Ausnutzung der Quais in der Art, daß die Schiffe längs derselben eine geschlossene Reihe bilden und der Vordersteven des einen das Heck des nächst vor ihm liegenden fast berührt. Selbst eine Befestigung (Anklammern) des Krahnes an die Schienen ward nicht gestattet. Die Drehung sollte rasch und sicher, nach jeder Seite mindestens auf hundertachtzig Grad erfolgen.

Doch auch hier können wir uns ein näheres Eingehen auf die technischen Details ersparen; die durch Dalmann’s Inspiration gemachten Erfindungen auf diesem Gebiete sind längst in der Fachpresse gebührend gewürdigt worden. Eine Reihe solcher Dampfkrähne in voller Arbeit bietet auch dem Laien ein hochinteressantes Schauspiel. – Nebenbei erwähnt kostet ein Hundert–Centner-Krahn circa 24,000 Mark.

Gewöhnlich verweilen die Schiffe drei bis vier Tage am Quai. In dringenden Fällen ist es ausgeführt worden, daß ein Schiff binnen vierundzwanzig Stunden entlöscht und neu beladen worden ist; da geht dann freilich die Arbeit im figürlichen wie im buchstäblichen Sinne mit Dampf. Wesentlich zu Statten kommt hierbei dem hamburgischen Kaufmanne das Fehlen aller jener Zollbelästigungen und Declarationsformalitäten, die anderswo den Verkehr belästigen und hemmen. Hamburg ist bekanntlich dem Zollvereine gegenüber Freihafen, und die nominelle Declarationsabgabe, welche die Stadt selbst einzieht, wird auf Grund der von dem Kaufmanne der Behörde eingesandten Declarationen entrichtet; Controlirung, Revision und wie alle die Zollplackereien heißen mögen, sind auf den hamburgischen Quais unbekannt.

So darf denn nach allem Gesagten wohl behauptet werden, daß sich Hamburgs Quaianlagen dem Großartigsten, welches auf diesem Gebiete geleistet worden ist, den Quais in den englischen und amerikanischen Handelsstapelplätzen, ebenbürtig an die Seite stellen. Sie sind würdig der ersten Handelsstadt Deutschlands, des bedeutendsten Welthandelsplatzes des europäischen Festlandes.

Gustav Kopal.     



Eine erste Vorstellung im königlichen Schauspielhause zu Berlin.

Das hört sich ganz leicht an und ist doch unendlich schwer. Der junge Dichter, der sein erstes Drama geschrieben hat und von großen Erfolgen, von Ruhm und glänzenden Tantièmen träumt, hat so wenig wie das Publicum eine Ahnung von den Hindernissen, Zufälligkeiten, Kabalen und Unannehmlichkeiten, womit eine erste Vorstellung verbunden ist. Jährlich werden bei der königlichen General-Intendanz in Berlin mehr als dreihundert Stücke eingereicht, von denen kaum zehn zur Annahme sich eignen und höchstens zwei einen Erfolg haben. Die Prüfung dieses kaum zu überwältigenden Materials ist eine wahre Sisyphus-Arbeit, welche hauptsächlich auf den Schultern des Intendanturraths, Doctor Titus Ullrich, ruht, der als ausgezeichneter Dichter und ebenso humaner wie geistvoller Kritiker der „National-Zeitung“ sich bereits früher einen hoch geachteten Namen erworben hat, weshalb Herr von Hülsen ihn mit diesem bedeutenden Amte betraute. Derselbe ist verpflichtet, alle eingegangenen Stücke zu lesen und darüber ein kurzes, motivirtes Urtheil zu fällen, außerdem die ganze Correspondenz mit den Schriftstellern, Schauspielern und Bühnenleitern zu führen, wozu eine nicht gewöhnliche Kenntniß der deutschen, französischen, englischen und italienischen Sprache erforderlich ist.

Jedes eingereichte Manuscript wird von ihm erst einer sorgfältigen Prüfung unterworfen und entweder zur weiteren Lesung empfohlen oder zurückgelegt. Nach dieser Sichtung der Spreu von dem Weizen gelangen die nur einigermaßen tauglichen Stücke in die Hände seines literarischen Beiraths, der aus einigen sachverständigen, unparteiischen Schriftstellern und Gelehrten besteht und das frühere sogenannte Lesecomité ersetzen soll. Was aus diesem kritischen Fegefeuer hervorgeht, gelangt zunächst an den Director Hein, einen durch tüchtige Bühnenpraxis, ästhetische Bildung und technische Leistungen rühmlichst bekannten Regisseur. Die letzte Entscheidung jedoch hängt einzig und allein von dem General-Intendanten Herrn von Hülsen ab, der selbst die ihm so empfohlenen Stücke liest und nochmals prüft. Trotz aller Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit kommen noch immer zuweilen Mißgriffe und Täuschungen bei dieser Auswahl vor, da bekanntlich nichts schwerer ist, als den Erfolg eines Dramas vor der Aufführung zu bestimmen. Selbst der geübteste Kritiker und erfahrenste Bühnenleiter kann sich in dieser Beziehung irren, wie zahlreiche Beispiele zeigen. So wurde unter Anderm das bekannte Lustspiel „Rosenmüller und Finke“ von Töpfer von dem damaligen Lesecomité zurückgewiesen, trotzdem aber auf besonderen Wunsch des damaligen General-Intendanten, Herrn von Küstner, gegeben und von dem Publicum mit rauschendem Beifalle begrüßt. Dasselbe Schicksal hatten Freytag’s „Journalisten“; von der königlichen Bühne wegen der damaligen Zeitverhältnisse abgelehnt, gelangten sie auf dem Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater mit so glänzendem Erfolge zur Aufführung, daß die Intendanz sich bewogen fand, später das Freytag’sche Lustspiel ebenfalls zu bringen. Aber auch die entgegengesetzte Erfahrung wird nicht selten gemacht, daß nämlich Stücke, von denen man sich vorher eine große Wirkung verspricht, von dem Publicum kalt aufgenommen werden und nach den drei üblichen Gnadenvorstellungen vom Repertoire sang- und klanglos verschwinden.

Gerade die königliche Bühne ist bei der Wahl der Stücke durch ihre eigenthümliche Stellung vielfach gefesselt und zu Rücksichten verpflichtet, welche die Privattheater nicht zu nehmen haben. Zunächst hat das königliche Institut die ehrenvolle Aufgabe, die wahre Kunst zu pflegen, das Talent aufzumuntern und vor Allem das classische, vaterländische Drama zu fördern, was auch von seiner Seite nach Kräften geschieht. Ein Hauptverdienst hat sich Herr von Hülsen dadurch erworben, daß er nicht wie andere Bühnenleiter die französische dramatische Literatur auf Kosten der deutschen begünstigt. Selbstverständlich werden alle die bestehende Regierung, die Religion und Sittlichkeit verletzenden Dramen ausgeschlossen, Possen und Uebersetzungen nur ausnahmsweise zugelassen, wodurch allerdings bei der Dürre der dramatischen Production das Repertoire eine gewisse, durch die Verhältnisse gebotene Beschränkung erleidet.

Nachdem das Stück glücklich all die Prüfungen überstanden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_064.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2019)