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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

haschten nach Schattenküssen und blauen Blumengerüchen, entsagten und flennten und waren doch vielleicht glücklicher, als jene harten Gladiatoren, die so stolz dem Kampftode entgegen gehen.“ Wer den spätern Lebenslauf Lassalle’s kennt, der wird an diesen Worten nicht blos das Meisterauge, sondern auch den tiefen Seherblick des Dichters bewundern müssen. Auch ein Schalkslächeln über das neuerwachsene Stürmergeschlecht ist in dem ernsthaften Urtheile nicht zu verkennen. Jedenfalls aber zeigt uns dasselbe, was Lassalle schon war, ehe er in die Literatur trat und ehe die Oeffentlichkeit wußte, daß er überhaupt vorhanden sei. Schon bald jedoch sollte man von ihm hören, aber es war keine wissenschaftliche That, sondern eine Privataffaire lärmerregender Art, durch welche sein Name zuerst in die Welt geworfen wurde.

Am 11. August 1848 stand vor dem Geschworengerichte in Düsseldorf ein schlank gewachsener Jüngling von stolzem und einnehmenden Aeußern. Es war Lassalle. Die Anklage bezichtigte ihn der moralischen Mitschuld an einer als „Diebstahl“ bezeichneten Handlung, welche schon zwei Jahre vorher ein außerordentliches Aufsehen erregt hatte. Gleich ihm hatten noch zwei andere junge Lennte in dem Scheidungsprocesse des Grafen Hatzfeldt und seiner Gattin eifrigst für die Gräfin Partei genommen. Diese beiden Genossen waren von Lassalle verleitet worden, der Geliebten des Grafen aus ihrem Pulte ein Kästchen zu entwenden, in welchem man wichtige Documente vermuthete. Lassalle bekannte sich zu der That, aber in seiner glänzenden Vertheidigungsrede betonte er, daß nicht ein gemeiner und selbstischer Beweggrund, sondern die Pflicht zur „Vertheidigung der Menschenrechte“ ihn dazu gezwungen habe. In Bezug auf die Lage der Gräfin sagte er unter Anderm: „Die Familie schwieg. Aber es heißt: wo die Menschen schweigen, da werden die Steine reden. Wo alle Menschenrechte beledigt werden, wo selbst die Stimme des Blutes schweigt und der hülflose Mensch verlassen wird von seinen geborenen Beschützern, da erhebt sich mit Recht der erste und letzte Verwandte des Menschen, der Mensch.“

Trotzdem verurtheilte ihn das Gericht, aber die höhere Instanz vernichtete später dieses Urtheil. Schon fünf Jahre vorher hatte Lassalle als neunzehnjähriger Student die damals etwa doppelt so alte, aber schöne und imponirende Gräfin (geborene Fürstin) Hatzfeldt in Berlin kennen gelernt und, gerührt von ihrem Unglück, sich in ihren Proceß gestürzt. Möglich, daß die bedeutende Schönheit und die elegante Erscheinung des blutjungen Mannes einen sehr günstigen Eindruck auf die Gräfin gemacht hatten. Wie über das Verhältniß Goethe’s zu Frau von Stein, so wird auch über die Art der Beziehungen Lassalle’s zur Gräfin Hatzfeldt, so ungleich auch sonst beide Paare waren, ein auf Thatsachen begründetes, nicht aus Schlüssen und Vermuthungen hergeleitetes Urtheil sich kaum aufstellen lassen. Gewiß ist nur, daß Lassalle mit der Gräfin damals von Berlin nach Düsseldorf übersiedelte, daß das unstreitig für ihn verhängnißvoll gewordene Freundschaftsverhältniß bis zu seinem Tode dauerte und er zunächst zehn seiner besten Jugendjahre, mit vollständiger Hintansetzung seiner Lebenszwecke, dem Kampfe für die Vermögensinteressen und die gesellschaftliche Stellung der Freundin gewidmet hatte. Es waren hier kolossale Arbeiten, ganz ungeheure Schwierigkeiten zu überwinden. Vor sechsunddreißig Gerichten hat Lassalle die Sache der Gräfin mit allem Geschicke eines juristischen Fachmannes geführt. Aber der staunenswürdigen Ausdauer fehlte auch der Erfolg nicht. Der halsstarrige Graf wurde endlich mürbe; es kam zu einem Vergleiche, und von dem philosophischen Gelehrten war für die Gräfin ein fürstliches Vermögen gewonnen. Während des Processes hatte er mit der von allen Mitteln entblößten Frau die nicht bedeutende Summe getheilt, die er von Hause erhielt, zum Ersatze dafür sich aber eine jährliche Rente ausbedungen, wenn die Sache gewonnen sei. Von jetzt ab konnte er mit einer Jahreseinnahme von fünftausend Thalern ganz sorgenlos und ohne Rücksicht auf Broderwerb wiederum seinen Studien sich hingeben.

Die Früchte dieser Muße ließen nicht lange auf sich warten. Sein erstes größeres Werk „Die Philosophie Herakleitos des Dunkeln“, ein Product langjähriger Forschungen, stellte den bisher der weiteren Oeffentlichkeit nur als exaltirter und abenteuerlicher Leichtfuß geltenden, nur durch seine brillanten Gelegenheitsreden vor Gericht bekannt gewordenen jungen Mann mit einem Schlage unter die ersten Gelehrten Deutschlands. Auch sein später erschienenes Hauptwerk „Das System der erworbenen Rechte“ erwarb ihm Hochachtung und Ruhm durch die erstaunliche Sicherheit und Beschlagenheit, mit der er sich hier auf dem Boden der juristischen Wissenschaft bewegte, die er niemals bei einer Facultät studirt hatte. Wer seinen revolutionären Anschauungen in Bezug auf das Erbrecht widerstrebte, der mußte doch zugeben, daß sie mit ungewöhnlichem Scharfsinne mit hinreißender Beredsamkeit, von einem schwerbewaffneten Geiste verfochten wurden. Aber es waren doch nur die engen und abgeschlossenen Kreise der wissenschaftlichen Welt, in denen dieser Beifall ertönte, und das war es nicht, was den dürstenden Ruhmesdrang eines Lassalle befriedigen konnte. Es war ein unablässiger „Sturm in dieser Natur“, und Macht hieß das Ziel, dem sie entgegenrang. Zur Erringung desselben aber fand sich der geeignete Kampfplatz nur auf dem politischen Felde.

Um Lassalle eingehend als Politiker, als demokratischen und socialen Agitator zu würdigen, dazu ist in diesem gedrängten Charakterbilde nicht der genügende Raum; es erfordert das eine besondere und ausführlichere Darlegung, die wir uns vorbehalten. Schon 1848 hatte er sich am Rhein an den demokratisch-revolutionären Bewegungen entschieden betheiligt und einen damals von ihm erlassenen Aufruf zu bewaffneten Widerstande gegen die Auflösung der preußischen Nationalversammlung mit Gefängnißstrafe gebüßt, wie überhaupt seit jener Zeit ein Martyrium von Criminalprocessen und Gefängnißleiden sich durch sein ganzes ferneres Leben zog. Nicht wie Marx, Engels und andere Parteigenossen von der revolutionären „Rheinischen Zeitung“ trieb er jedoch eine macht- und fruchtlose Opposition gegen die im Herbste 1848 wiederkehrende Reactionswirthschaft so weit auf die Spitze, daß er landesflüchtig werden und allem Wirken in Deutschland entsagen mußte.

Davon hatte ihn wohl schon in jenen Tagen sein vaterländischer Sinn und jene realistische Erkenntniß der „thatsächlichen Machtverhältnisse“ abgehalten, die in seinen späteren politischen Theorien und Handlungen eine so vorwiegende Bedeutung gewann. Man lebte aber damals in der Zeit der Ausweisungen und Aufenthaltsverweigerungen, und die „thatsächlichen Machtverhältnisse“ verschlossen ihm Berlin, wo er aus manchen Gründen zu wohnen wünschte. Als Fuhrmann verkleidet, drang er in die Hauptstadt ein, und Humboldt erwirkte ihm in der That beim Könige die Aufenthaltserlaubniß. Nun war er auf dem Boden, der seinem Bewegungsdurste einen genügenden Tummelplatz, seinen Ansprüchen an ein vornehmes Dasein die ausreichende Befriedigung verhieß. Sein Leben in Berlin war fortan zwischen Studien und Zerstreuungen getheilt, sein Haus ein Sammelplatz geistvoller Bildung, aber auch eine Stätte geistreicher Frivolität und excentrischer Leichtlebigkeit. Der Versuch, mit dem gedankentiefen, aber poesielosen und untheatralischen Drama „Franz von Sickingen“ seinen Namen schnell durch ganz Deutschland zu tragen, war nicht von Erfolg gekrönt. Das Stück wurde nicht aufgeführt. Dafür lenkte der Verfasser wieder einmal durch eine öffentliche Scandalaffaire die Blicke auf seine Person. Ein Herr, dessen Herausforderung zum Duell er aus guten Gründen abgewiesen hatte, überfiel ihn unter Mithülfe eines Andern am hellen Tage in der belebten Gegend des Brandenburger Thores. Lassalle aber bläute die Beiden so weidlich durch, daß sie von ihrem Angriffe abließen. Zu künftiger Abwehr solcher Ueberfälle schenkte ihm ein deutscher Historiker den Stock Robespierre’s, den er fortan stets bei sich trug. Man sieht, es stand seiner Furchtlosigkeit eine erhebliche Körperkraft zur Seite, trotz der frühzeitigen Untergrabung seiner Gesundheit, die kaum jemals seinen Muth zu beugen vermochte.

Der künstlichen Lahmlegung des demokratischen Geistes in den Reactionsjahren folgten naturgemäß bald neue Bewegungen des Völkerlebens. Es kam der italienische Krieg des Jahres 1859; es kam der Thronwechsel, die neue Aera und der große Verfassungsconflict in Preußen. Diese Wendungen führten Lassalle wieder in das politische Fahrwasser, und es läßt sich nicht leugnen, daß hier seine Schritte als Volksredner und Publicist durch neue und eigenartige Gesichtspunkte bezeichnet waren, daß er hier Spuren reifer Gedanken, fruchtbarer Lehren und Anregungen in der Geschichte des Liberalismus zurückgelassen hat. Der nächste Erfolg verwirklichte aber die Träume seines Ehrgeizes noch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_070.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)