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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Aus dem Herzensleben unseres Lieblingsdichters.
Von Fr. Helbig.
III.

Jetzt, wo bei Carolinen auch noch die Sprache des Herzens offenkundig redete, drängt der Gedanke, daß die Schwester weit mehr zu Schiller’s Wesen passe, daß sie sein, des Geliebten, Glück weit eher begründen könne als sie, immer mehr sich bei Lottchen vor. Sie zieht ihr Herz immer scheuer zurück und giebt sich den Schein der inneren Gleichgültigkeit. Unter diesem Eindrucke erfolgt ein zweiter Besuch Schiller’s in Rudolstadt in der Mitte des Juni. Er war mit dem sichern Vorsatz gekommen, Lottchen sich zu erklären. Es war ein schöner warmer Sommertag. Die weißen Lilien im Garten verbreiteten weithin ihre berauschenden Düfte. Die Rosen glühten, und wie Liebesgeflüster zog die Luft durch das herzförmige Blättergezweig der Pappeln, welche vor dem Gartenhäuschen standen. Glühend lag es dem Dichter auf den Lippen und drängte zum Ausdruck, aber der große Kenner des weiblichen Herzens, der Schöpfer heißliebender Frauengestalten hatte nicht den Muth des eigenen Geständnisses. Auch dieser Besuch verlief wieder resultatlos. Die Zurückhaltung Lottchens deutete Schiller als Kälte, als Abneigung. Der Dämon des Zweifels an ihre Liebe stieg in ihm auf und setzte an die Stellen der freien Leidenschaft ein grübelndes Empfinden. Er redete ihm ein, daß sein Geständniß „die schöne Harmonie der Freundschaft zerstören könne, daß er mit ihm auch das verlieren könne, was er schon besaß, an Beiden besaß“, und doch mußte er sich wieder sagen; „sie kann ohne dich vielleicht glücklich sein, aber durch dich nie unglücklich werden; sie kann sich wohl einem Andern schenken, aber Keiner kann sie reiner und zärtlicher lieben als du; Keinem kann ihre Glückseligkeit heiliger sein, als sie es dir ist und sein wird“. Dann meinte er wohl wieder, es bestehe eine geheime Abmachung zwischen den Schwestern, „die eigenen Herzenswünsche dem Zwange der Freundschaft zu opfern, die gemeinsame Freundschaft nie zur Liebe zu kehren, sondern sie sich ohne Liebe vollenden zu lassen“.

In gleicher Weise hob sich in der Seele Lottchens das Gefühl, daß sie „ihm nichts, gar nichts mehr wäre, und die Schwester mehr, weit mehr – Alles“, und doch sagte auch sie sich wieder, daß „sich kein fremdes Wesen außer ihr befände, das ihn durch wahre innige Liebe beglücken, so beglücken könne wie sie“.

So wogte der Kampf selbstquälerisch hin und her, und nirgends zeigte sich der Pfad zum Siege.

Im Juli reisten die Schwestern Lengefeld nach Lauchstädt, einem in der Nähe von Merseburg liegenden Bade, das durch die sommerliche Anwesenheit der weimar-goethischen Schauspieltruppe einen gewissen classischen Nimbus erhalten hat. Auf dem Wege dahin wurde Jena berührt. In dem rosenduftenden Garten der Frau Kirchenräthin Grießbach trafen sich Abends wieder die Drei. „Nie,“ schrieb später Schiller; „hatte ich Ihnen so viel sagen wollen, wie an diesem Abende, und – nie habe ich Ihnen so wenig gesagt. Was ich so bei mir behalten mußte, drückte mich nieder, und ich wurde Ihres Anblickes nicht froh.“ Freilich traf dabei die Hauptschuld die redselige Frau Kirchenräthin. Sie sorgte dafür, daß die Liebenden, von deren Liebe sie nichts ahnte, weder zu sich, noch überhaupt zum Worte kommen konnten. Eine noch größere Hoffnung schien Lottchen auf die Zusammenkunft gesetzt zu haben. Dies folgt aus der Größe ihrer Enttäuschung. „Sie können nicht glauben,“ schreibt sie, „wie mir der Abend war. Wenn ich Ihnen je Unrecht gethan hätte und mich an Ihnen versündigt, so wäre dieser Abend eine Vergeltung des strafenden Himmels, und ich hätte gewiß für alle Sünden gebüßt.“ Die ungewollte Kälte Schiller’s rief in ihr die ganze Gewalt der Liebe wieder in’s Wachen. Nie war die Situation peinlicher, nie unbehaglicher gewesen. Sie erzeugte eine beiderseitige Verstimmung, die sich auf die ganze Umgebung ablagerte. Alles ist ihnen armselig, schaal und erbärmlich. Alles ist nur fade alltägliche Waare, und die armen Frauen in Jena besonders galten Schiller als ein „erbärmliches Geschlecht“. Jene Spannung, war noch dadurch erhöht worden, daß die Mutter mit Lottchen Heirathspläne vorhatte und sie zu einer standesgemäßen Heirath zu vermögen suchte. Alles drängte so peinlich zur Entscheidung.

Da besuchte Schiller auf einer Reise nach Leipzig zu Freund Körner die Schwestern in Lauchstädt. Am Morgen des dritten August, als er eben im Begriffe stand wieder abzureisen, erfolgte eine entscheidende Erklärung, aber nicht von seiner, noch weniger von Lottchens Seite. Vielmehr war es Caroline, welche ihm die tiefe Liebe der Schwester und seine nicht vergebliche Werbung um ihr Herz offenbarte. Sie zerriß mit einem Male die hochgehende Spannung. Die Großherzigkeit dieser Handlung wird dadurch nur noch mehr bestätigt, daß Caroline in ihrem „Leben Schiller’s“ sie verschweigt. Sie wies damit die Leidenschaft Schiller’s in ihre naturgemäße Bahn und zugleich – ihre eigene. Lottchen mochte ihr ihre tiefe Neigung zu Schiller wohl vertraut haben. Sie konnte ihrem scharfblickenden und vorahnenden Geiste ohnedies nicht entgangen sein. Längst gewöhnt an das Wünscheversagen, ergriff sie diese neue Gelegenheit, es zu bethätigen. Lottchen spielte bei dieser Eröffnungsscene, wenn sie überhaupt bei derselben persönlich. zugegen war, nur eine schweigende Rolle. In tiefer Erregung bestieg Schiller den Leipziger Postwagen. Noch am Abend schrieb er von Leipzig aus an Lottchen, um sich von ihr die Gewißheit dessen zu holen, was ihm der Mund der Schwester anvertraut hatte. „Ist es wahr? Darf ich hoffen, daß Caroline in Ihrer Seele gelesen hat und aus Ihrem Herzen mir beantwortet hat, was ich nicht getraute zu gestehen? … Vergessen Sie jetzt Alles, was Ihrem Herzen Zwang auflegen könnte, und lassen Sie nur Ihre Empfindungen reden! Bestätigen Sie, was Caroline mich hoffen ließ! Sagen Sie mir, daß Sie mein sein wollen und daß meine Glückseligkeit Ihnen kein Opfer kostet! O versichern Sie mir dieses und nur mit einem einzigen Worte!“

„Schon zweimal habe ich angefangen, Ihnen zu schreiben, aber ich fand immer, daß ich zuviel fühle, um es ausdrücken zu können. Caroline hat in meiner Seele gelesen und aus meinem Herzen geantwortet. Der Gedanke, zu Ihrem Glücke beitragen zu können, steht hell und glänzend vor meiner Seele. Kann es treue, innige Liebe und Freundschaft, so ist der warme Wunsch meines Heizens erfüllt, Sie glücklich zu sehen.“

Das war die einfach schlichte Antwort Lottchens. Und ein paar Tage später schreibt sie: „Noch oft ist es mir wie ein Traum, daß ich nun weiß, daß Sie mich lieben, daß Sie es nun klar fühlen können, wie meine Seele in der Ihrigen nur lebt. Ich möchte, Sie wären hier und ich könnte es Ihnen sagen, nicht durch Worte, sondern in meinen Augen könnten Sie’s lesen.“

Auf der Rückreise von Lauchstädt nach Jena trafen sie wieder im Grießbach’schen Hause zusammen. Hier erfolgte der mündliche Austausch des Geständnisses; das konventionelle „Sie“ verwandelte, sich fortan in das trauliche „Du“. Aus dem unglückseligen Abende von ehedem wurde diesmal ein um so glückseligerer.

Der entfesselte Strom.

Nun ergießt sich frei und ruhig der lange verhaltene Strom einer warmen, wahren und reinen Liebe. An die Stelle des unruhvollen Zweifels ist in Lottchens Seele die Ruhe der Gewißheit getreten. „Nun denk’ ich Deiner mit einer Empfindung voll warmer inniger Liebe und doch mit Ruhe verknüpft, und ich fühle mich glücklich in der Idee, Dir zu gehören, zu den Freuden Deines Lebens beitragen zu können.“

Mit dem heitern Bewußtsein des erlangten Besitzes blickt sie zurück auf die einzelnen Stationen der Entwickelung dieser Liebe, versenkt sich behaglich in deren Werdeproceß. Da erscheint ihr jetzt Manches gar fremd und unbegreiflich, aber das Eine, steht klar und fest vor dem erkennenden Auge: daß sie niemals glücklich geworden wäre ohne ihn. „Ihre Hand hätte sie vielleicht einem Andern geben können nach dem Wunsche der Mutter, nicht aber ihr Herz voll warmer treuer Liebe.“ Und die Liebe gewinnt in ihr immer mehr Stärke, immer mehr Klarheit und Bewußtsein. Vorher war es nur eine wärmere Freundschaft, die sie vielleicht zu Einigen zog, aber nicht das Gefühl, das sie nun belebt –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_115.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)