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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Jetzt trat der Csikos zu mir und sagte leise „Ihr werdet mich nicht verrathen, Herr?“

„Ich bin kein Spion,“ erwiderte ich[WS 1] ruhig.

Der Csikos nickte mit dem Kopfe, als hätte er keine andere Antwort erwartet, pfiff seinen Hunden, welche die Herannahenden mit wüthendem Gebell begrüßten, und postirte sich außerhalb des Lagers, indem er sich scheinbar unbekümmert und theilnahmlos auf seinen Fokos stützte. Ich blieb auf meinem Platze, fest entschlossen, das Vertrauen des Mannes auch dann zu rechtfertigen, wenn die Gensd’armen mich bemerken und befragen sollten. Wußte ich doch nicht einmal den Grund, weshalb jener Mann verfolgt wurde; zwar die Pistole in dessen Gürtel sprach ziemlich deutlich, allein ich hatte die Gastfreundschaft des Csikos genossen, und das entschied.

„Kam der schwarze Lajos hier vorbei?“ fragte jetzt einer der Gensd’armen, sein Pferd anhaltend.

„Ja, Herr,“ sagte der Csikos zu meinem nicht geringen Erstaunen.

Auch der Gensd’arm schien die Bejahung seiner Frage nicht erwartet zu haben und betrachtete den Csikos mit unverkennbarem Mißtrauen.

„Welche Richtung hielt er ein?“ fragte er weiter.

„Nach dem Dorfe,“ erwiderte der Csikos abermals wahrheitsgetreu, was mich fast vermuthen ließ, daß der Mann seinen Edelmuth bereute und den verhaßten Nachfolger nachträglich verrathen werde.

Die Gensd’armen wechselten leise einige Worte untereinander und trieben dann ihre Pferde in der angegebenen Richtung vorwärts.

„Warum habt Ihr den Mann verrathen?“ fragte ich den zu mir tretenden Csikos.

„Ich that es nicht,“ erwiderte dieser.

„Sagtet Ihr nicht die Wahrheit?“

„Ja, Herr, und aus gutem Grunde,“ versetzte der Csikos, „hätte ich geleugnet, daß er hier war, so würden die Pickelhauben die ganze Heerde visitirt und das schweißbedeckte lahm gerittene Pferd gefunden haben. Damit wäre dem Lajos nicht gedient gewesen, mich aber hätten sie als seinen Helfershelfer mitgenommen.“

„Warum aber verriethet Ihr die Richtung, die Lajos eingeschlagen?“ fragte ich begierig.

Der Csikos zeigte, verschmitzt in sich hinein lachend, seine beneidenswerth weißen Zähne.

„Weil sie ihn jetzt im Dorfe zu allerletzt suchen werden,“ sagte er, „denn der Gensd’arm glaubt einem Csikos so wenig, wie dieser ihm.“

„Sie schlugen aber doch dieselbe Richtung ein?“ bemerkte ich.

„Wohl, Herr, so lange wir sie sehen konnten,“ meinte der Csikos, „aber ich wette mein bestes Pferd gegen ein Ferkel, daß sie tausend Schritte weiter schon die Pferde wendeten.“

Die Gründe des Csikos waren schlagend, und eben so viele Beweise für dessen Schlauheit wie für die Schwierigkeit des Sicherheitsdienstes in diesem Lande. Der Csikos hatte während dieses Gespräches seine „spanische Wand“ abgebrochen und führte mir nun ein Pferd zu, dessen Rücken aus besonderer Aufmerksamkeit für mich mit einer Decke versehen war. So ritten wir denn bald wohlgemuth dem Haidedorfe zu, etwa ein halbes Hundert Rosse vor uns hertreibend.

Allen voran trabte ein vielgeprüfter lebenserfahrener Schimmel, gleichmäßig und gesetzt wie es dem Alter ziemt; er stammte, wie mir der Csikos sagte, von edlen Eltern und hatte einst eine bessere Zeit gekannt, hatte in der Herrenstallung köstlichen Hafer und süß duftendes Heu gespeist und manch stolzen Reiter hinter flüchtigen Füchsen und Hasen oder an der Spitze prachtvoller Banderien (berittenes Gefolge bei Festlichkeiten, auch Ehrengeleite) getragen – jetzt genoß er dafür das Gnadenbrod auf der grauen Steppe als Leitroß. Ihm folgte das übrige Volk behufter Vierfüßler in bunter Reihe, doch bildeten die in der Schule des Lebens gereiften und zugerittenen Thiere den Kern des Haufens, welchen die liebe Jugend, die weder Sporn noch Zügel, weder schwere Last noch verweichlichendes Wohlleben kannte, nach allen Richtungen ausschlagend, wiehernd und schnaubend umkreiste. Trieben sie es aber gar zu toll, dann blickte der Schimmel mißbilligend auf sie zurück, als wollte er sagen: „Na, wartet! Auch an euch wird bald die Reihe kommen; auch euch wird Zügel und Peitsche den Uebermuth austreiben, bis ihr, lebensmüde wie ich, dem Grabe zuhumpelt.“ Es war ein ebenso fesselndes wie charakteristisches Bild des Thierlebens oder vielmehr des Lebens überhaupt; ist doch dem allgemeinen Gesetze des Blühens und Verwelkens, Werdens und Vergehens selbst das Heer der Sterne unterworfen, deren Licht für ewige Dauer geschaffen scheint.

Während ich mich solcher Betrachtung als einem erprobten Mittel zur Wiedererlangung gestörter Gemüthsheiterkeit hingab, beschäftigte sich mein Csikos, dessen Seelenruhe dem äußern Anscheine nach nicht im geringsten gelitten hatte, mit den Gegenständen meiner Aufmerksamkeit ebenso eifrig, doch weit praktischer. Mit freundlichem Zurufe oder drohendem Peitschenknalle, je nach Erforderniß hippologischer Pädagogik, beschrieb er bald nach rechts, bald nach links weite Bogen, um seine ungeberdigen Pfleglinge in Ordnung zu halten, worauf er wieder einen raschen Blick nach dem himmlischen Rosselenker auf der Milchstraße warf, wohl um sich zu überzeugen, ob sich des alten Schimmels Führergeschick auch heute bewähre. Dieser aber war offenbar über jeden Zweifel erhaben und schien in seiner humpelnden Vorwärtsbewegung ebenso untrüglichen mathematischen Gesetzen zu folgen wie die Sterne in ihrer Himmelsbahn.

Anderthalb Stunde mochten wir so abwechselnd über Steppenflächen und Sandhügel unsern Weg verfolgt haben, als die Klänge eines Csardas uns die Nähe des Dorfes verkündeten. Mit freundlichen Dankesworten verließ ich nun den Csikos, der noch die Rosse zur Tränke trieb, und ging der Dorfschenke zu, überzeugt, dort meine Quartiermacher zu finden. Ich täuschte mich nicht. Selbst Landeskinder, tummelten sie sich mitten im lustigen Reigen mit den flinksten Burschen um die Wette, ich aber gönnte ihnen gern das Vergnügen und benutzte einstweilen den tiefdunkeln Schatten einer Eiche, um unbemerkt den Anblick der ländlichen Lustbarkeit zu genießen.

Auf festgestampftem Lehmboden unter dem grünen Dache geflochtener Eichenzweige bewegten sich etwa ein Dutzend Paare nach den bald melancholisch weichen, bald stürmisch brausenden Weisen des Csardas. Das Orchester bestand nur aus zwei Personen: einem alten graubärtigen, finster dreinschauenden Zigeuner, der das Cymbal auf einem umgestülpten Fasse handhabte, und einem blitzäugigen, struppigen Jungen, der den Fiedelbogen führte.

Zigeunermusik ist selten vollkommen gut, aber noch seltener ganz schlecht. Griff auch der zerlumpte Junge manchmal falsch, schlug auch der Alte bisweilen neben die Saiten – aus Beider Augen sprühte musikalischer Künstlergeist, dem Töne und Rhythmen nicht blos Mittel zum Erwerbe, sondern Selbstgenuß und Befriedigung gewährten, und oft erhob sich dieser Geist zu ganz wunderbar tönendem Klagen und Weinen, Jubeln und Jauchzen.

Auch Tänzer und Tänzerinnen zeigten meist schlanke, geschmeidige Gestalten, ja einige Mädchen waren sogar entschieden hübsch zu nennen. Feurig und gluthäugig aber waren sie alle, Bursche wie Dirnen, durchwogt von heißem Blute, mit Leib und Seele ergeben der Lust des Augenblickes. Während ich aber so die Paare musterte, entdeckte ich mitten unter ihnen eine Gestalt, deren Anwesenheit hier mir fast unbegreiflich schien. Oder täuschten mich die Augen? Aber nein, diese Züge waren zu markirt, zu ausdrucksvoll, um sie zu verwechseln; es war Lajos, der dort eine der hübschesten und üppigsten unter den anwesenden Frauengestalten umfaßt hielt und sie laut jauchzend mit seinen muskelkräftigen Armen hoch über die Köpfe der übrigen Paare schwenkte.

Ja, er war es, und dort stand ja auch der Csikos, abseits von den Fröhlichen, mit gekreuzten Armen, und schaute trüb und sinnend die Lust des schönen Paares. Vielleicht bewunderte er gleichzeitig mit mir die Stahlnerven des Mannes, der, kaum den Verfolgern entronnen und auch jetzt noch keine Minute vor denselben sicher, rückhaltlos sich der Freude hingeben konnte. Zum Csikos trat jetzt ein weißhaariger Mann, schüttelte ihm kräftig die Hand und führte ihn dann zu den Tischen, die ebenfalls unter grünem Dache neben dem Tanzboden angebracht waren. Die kurzgeschürzte Schenkin stellte unaufgefordert eine volle Flasche nebst Gläsern auf den Tisch, an welchem die Beiden Platz genommen, und jetzt kamen auch Lajos und seine Tänzerin herbei.

Letztere reichte dem Csikos die Hand, als aber auch Lajos dem Jugendfreunde die Rechte entgegenstreckte, that dieser, als

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: er
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_119.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2021)