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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


umquartieren und behorchen. Alle seine Freunde sollen freien Zutritt haben; es wäre doch merkwürdig, wenn dieser taube Heilige nicht ein einziges Mal aus der Rolle fallen sollte.“

Er ging auf Zehren zu. „Nun, Sie Herr ohne Ohren,“ sagte er höhnisch, „ich werde Ihnen zu einem Richterspruche verhelfen. Inzwischen haben Sie Gelegenheit, bis morgen Nachmittag die Beschaffenheit unserer Zellen zu studiren –„

Donner horchte plötzlich auf und wandte sich der Thür zu. Männertritte und lebhaftes Gespräch kam die Treppe herauf, und in der Nähe der Thür sagte eine bekannt klingende Stimme: „Ich denke doch, daß Sie lesen können und daß Ihnen diese Vollmacht genügen wird.“

„Herr Commissar selber drinnen,“ hörte man den alten Schließer brummen, „muß Sie erst melden; ist mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen.“

„Nun wohl, so rufen Sie ihn meinetwegen heraus!“ lautete die ungeduldige Entgegnung.

Donner ging nach der Thür und stieß sie auf. Vor ihm stand Karl Hornemann, ein auseinander gefaltetes Blatt in der Hand, mit finsterem Gesicht. Die Beiden grüßten sich flüchtig und maßen sich mit den Augen, bis der Pascha dem Commissar das Blatt hinhielt und nachdrücklich sprach: „Ich wünsche meinen Freund Zehren zu sprechen; gegen diese Legitimation, denke ich, werden Sie nichts einzuwenden haben.“

Dieser überlas das Blatt und erwiderte sichtlich verdutzt: „Der Herr Oberbürgermeister haben befohlen und das genügt. Aber woher wußten Sie von der Verhaftung des Herrn Zehren?“

Der Pascha betrachtete ihn mit einem verächtlichen Blick von oben bis unten. „Haben Sie etwa geglaubt, Herr[WS 1] Donner, daß man in unserer Stadt Ausrufer von Nöthen hat, um Ihre nächtlichen Heldenthaten zu erfahren, oder Barden, welche sie auf der Straße singen und die Illustration dazu auf Leinwand gemalt mit sich führen?“

„Herr!“ fuhr Donner auf, „wenn Sie mich hier zu beleidigen wagen, so wissen Sie wohl auch, daß ich die Macht habe, Sie länger hier zu halten als Ihnen lieb ist.“

„Dann warten Sie gefälligst erst so lange, bis eine wirkliche Beleidigung vorliegt! Sie haben vorläufig an der einen Blamage da genug –“ und die gewaltige Hand des Pascha hob sich und deutete auf Zehren, der mit einiger Ueberraschung im Gesicht ein paar Schritte näher getreten war.

Donner wandte sich wüthend zu dem alten Marquard, der noch immer auf dem Gange stand und zuhörte. „Was wollen Sie noch hier?“ schrie er ihn an. „Gehen Sie hinunter auf Ihren Posten! Ich habe Ihnen nachher etwas zu sagen.“ Während der Alte mit einem „Zu Befehl, Herr Commissar“ die Treppe hinunterstampfte, fuhr Karl Hornemann in seinem früheren Tone fort:

„Ich denke, Sie werden nichts dagegen einzuwenden haben, daß ich diesen ehrlichen Mann da mit mir nehme.“

„Da dürften Sie sich im Irrthum befinden,“ entgegnete höhnisch der Commissar. „Der Herr da scheint besser als Sie zu wissen, daß nicht ich, sondern das Gesetz zu bestimmen hat, wann er dieses Haus verlassen darf. Vielleicht können Sie ihn morgen Abend abholen, wenn es Ihnen Vergnügen macht, vielleicht auch noch nicht. Für jetzt mögen Sie sich gefälligst mit ihm unterhalten; an meine Gegenwart dabei brauchen Sie sich nicht zu stoßen.“

Karl Hornemann war sichtlich tief gereizt, und seine Sprache wurde drohender. „Sie haben wohl die Gewogenheit, dieses Papier etwas genauer zu studiren. Es giebt mir das Recht, mit Herrn Zehren allein zu sprechen.“

„Das ist ungesetzlich,“ warf Donner hin.

„Dies zu verantworten ist nicht meine Sache.“

Der Commissar drehte sich heftig um und trat auf den Corridor hinaus. Plötzlich aber machte er wieder Kehrt und schritt dem Pascha dicht unter die Augen.

„Kennen Sie zufällig einen Herrn Hendricks?“

Karl Hornemann blickte ihn zweifelnd an. „So hieß der Associé meines Vaters. Was soll dieser Name?“

Donner triumphirte. „Vielleicht auch einen gewissen Herrn Frickhöffer?“

„Ein Unglücklicher, der seinem Leben ein Ende gemacht hat und dessen zweiter Geschäftsnachfolger da vor Ihnen steht.“

„Schön! Wissen Sie nebenbei auch, was falsche Wechsel sind?“

In den Mienen des Pascha wuchs sichtlich die Betroffenheit. „Wollen Sie sich nicht gefälligst deutlicher aussprechen?“ sagte er; „ich weiß nicht, was diese Fragen bedeuten.“

Der Commissar rieb sich die Hände und sah mit jeder Frage boshafter aus. „Nur noch Eins, dann will ich Sie nicht länger stören. Wissen Sie wohl, woran Ihr Vater gestorben ist?“

„Muthmaßlich an einer Krankheit.“

„In der That – nur daß es allerlei Krankheiten giebt, die zuweilen ganz merkwürdige Ursachen haben. Sehen Sie, mein guter Herr Hornemann, ich hatte mir eigentlich vorgenommen, Ihnen allerlei interessante Aufschlüsse zu geben, welche ich einem Zufall verdanke; jetzt werden Sie begreifen, wenn ich es vorziehe, diese Aufschlüsse für mich zu behalten. Sehen Sie diese zwei Finger? – Donner machte die Geste des Schwörens – „mein Eid darauf, daß Sie durch mich nichts davon erfahren werden.“ Donner lachte laut auf und verließ dann mit seinen weiten, hastigen Schritten die Zelle.

„Er polterte die Treppe hinab, sichtlich befriedigt von der genommenen Rache. „Er wird an dieser Nuß herumbeißen, bis ihm die Kinnlade weh thut,“ dachte er. „Ich werde ihn doch etwas näher im Auge behalten, diesen Freund des Herrn Zehren. Gleiche Brüder, gleiche Kappen. Ein Mensch, welcher beständig einen langen Schlafrock trägt und eine Mütze mit Troddel, ist extravagant, und extravagante Leute sind immer gefährlich. Und was meinen Herrn Vorgesetzten betrifft, so soll er jetzt unter Umständen von höherer Stelle erfahren, daß es ordnungswidrig ist, einen Verhafteten ohne Zeugen Besuche empfangen zu lassen.“ Er rieb sich die Hände und ging knirschenden Schrittes durch den Scheuersand des Hausflurs in die Schließerstube. „Marquard,“ sagte er, „der Gefangene wird, sobald der im Schlafrock oben weggegangen ist, nach Nummer Vier geschafft. Ein Jeder kann ihn sprechen, aber ich werde Fleckeisen herschicken, daß er sich nebenan in die Nische setzt und horcht. Wonach Sie sich zu richten haben. – –

In Karl Hornemann mußten die Andeutungen des Commissars eine empfindliche Stelle berührt haben, denn er stand nach dessen Weggang ein paar Augenblicke in sich versunken, bevor er sich umwandte und Zehren in sichtlicher Zerstreutheit die Hand reichte.

„Ich habe es geahnt, daß sie ein Geheimniß mit sich herumträgt,“ murmelte er, und dabei dachte er an seine Mutter. „Vielleicht wäre manches und sie selbst dazu anders, wenn sie Selbstüberwindung genug besessen hätte, um sich mir anzuvertrauen.“

Er fuhr sich über die Augen, wie um das Spinngewebe von Gedanken davor zu zerreißen, und nickte dann Zehren freundlich zu, der ihm die Geschichte seiner Verhaftung erzählen mußte. Die alte Martha war es in der That gewesen, welche ihn aus dem Wiedenhofe in vergangener Nacht gerufen hatte, und es war ein Mißverständniß von seiner Seite gewesen, daß er den Eindringling für einen Dieb gehalten hatte.

„Du hast keine Vermuthung, weshalb Du verhaftet bist?“ fragte der Pascha.

„Nicht die geringste, abgerechnet meinen thätlichen Angriff auf Donner.“

Das Gesicht Karl Hornemann's verfinsterte sich wieder. „Ich glaube den Grund zu wissen: Du bist staatsgefährlich; Du bist ein Demokrat, das Opfer politischer Ketzerriecherei. Danke Gott, daß Du hier und nicht anderwärts in die Klauen dieser Menschenjäger gefallen bist, die ich verabscheue wie todte Mäuse.“ Er schrieb Zehren diese Worte wiederholend auf seine Tafel, da derselbe ihm nicht zu folgen vermocht hatte. Dieser setzte sich auf die Pritsche und las.

In den Mienen des[WS 2] Fabrikanten malte sich das höchste Erstaunen. „Ich? der loyalste Mensch von der Welt, dem das kleinste Gesetz so heilig ist, wie eines der zehn Gebote?“

„Wenn Du in diesem Lande loyal bleiben willst, dann nimm es mit dem Gesetz nicht so genau! Die Herren Gesetzesvertreter lieben das nicht.“ Er gab Zehren seufzend die Worte zu lesen; „es ist so schwer, einen Tauben zu bekehren,“ sagte er für sich.

„Ich bin bereit, für das Gesetz Märtyrer zu werden,“ meinte der junge Fabrikant, und seine blauen Augen glänzten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Her
  2. Vorlage: das
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_126.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)