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den einflußreichen Staatsmann gegenüber! Berthold Niebuhr nannte ihn den „elendesten Menschen“, einen schwachen Thoren von flachster Unwissenheit, Selbstzufriedenheit und ungeschickter Hand. Bischof Eylert dagegen nennt ihn einen seltenen Mann von klarem Verstande und gewandter Klugheit, einen „geborenen Diplomaten“, schlau, glatt und gewandt, dabei gutmüthig, wohlwollend und treuherzig, frei von den Vorurtheilen der Geburt und des Standes. Ebenso begeistert für ihn ist Ritter Lang, der die Leutseligkeit, Liebenswürdigkeit und Zugänglichkeit Hardenberg’s nicht genug rühmen kann gegenüber dem Benehmen der steifen, schulmeisterischen, hinter einem halben Dutzend Vorzimmern verschlossenen und von Bettelvolk belagerten Minister der deutschen Kleinstaaten.

Zur Klärung des Urtheils über den jedenfalls ebenso bedeutenden wie liebenswürdigen Staatsmann werden die vom Altmeister deutscher Geschichtschreibung, Leopold von Ranke, herausgegebenen Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg (vier Bände, Leipzig, Duncker und Humblot 1877) wesentlich beitragen. Der Nachlaß des Fürsten mit seinen Memoiren war bei dem Tode desselben 1822 versiegelt auf fünfzig Jahre in dem Archiv deponirt worden. Nach Verlauf dieser Zeit löste Fürst Bismarck, dem der Archivdirector die Papiere überreichte, das Siegel und gab sie dem ehrwürdigen Historiker, der über ihren Werth entscheiden sollte. In diesem Nachlaß befand sich ein Memoire von Hardenberg’s eigener Hand über die Jahre 1804 bis 1807, die in der Geschichte Preußens eine so unheilvolle Rolle spielen, außerdem eine ausführliche Ausarbeitung über des Staatskanzlers Leben in französischer Sprache, die eine lange Reihe von Bänden füllt und den Zeitraum von 1794 bis 1812 am eingehendsten behandelt. Verfasser derselben war ein Freund Hardenberg’s, Friedrich Schöll. Ranke giebt nun Hardenberg’s eigene Memoiren heraus, ergänzt sie aber, auf Grundlage der Schöll’schen Denkwürdigkeiten, durch einen einleitenden Band und einen Schlußband, der leider auch nur bis zum Jahre 1813 reicht, sodaß die so umfassende Biographie doch nur ein Bruchstück bleibt. Der Sinn, der nach künstlerischem Abschluß und harmonischen Verhältnissen der einzelnen Theile eines Werkes drängt, ist deutscher Geschichtschreibung immer verschlossen; ihre Veröffentlichungen haben meistens einen archivarischen Charakter. Leopold von Ranke giebt uns in seiner gewohnten feinen und geistreichen Weise in den Bänden, wo er selbst das Wort ergreift, ein Bild der politischen Geschichte gegen Ende des achtzehnten und im ersten Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts, in welchem er besonders die sich stets verschiebende Gruppirung der Hauptstaaten mit Meisterhand zeichnet. Diejenigen, welche das Biographische, das Anekdotische aus erster Hand erwarten, werden sich freilich enttäuscht fühlen; die Theilnahme Ranke’s ist den allgemeinen Angelegenheiten zugewendet, die er für das eigentlich Lebendige in der Geschichte erklärt. Gleichwohl zeichnet sich auch das mehr persönliche Lebensbild des berühmten Staatsmanns in seinen Hauptumrissen deutlicher als früher ab.

Karl August Freiherr von Hardenberg wurde zu Essenrode am 31. Mai 1750 geboren, aus einem alten Geschlechte, das schon längere Zeit im Dienste des welfischen Hauses stand; seine Mutter war eine geborene von Bülow. Durch einen Hofmeister vorgebildet, bezog Hardenberg schon im Jahre 1766 die Universität Göttingen und begab sich im Jahre 1768 nach Leipzig, wo er Gellert’s Schüler wurde, der von ihm große Erwartungen hegte, doch auch Besorgnisse wegen der Versuchungen, denen er durch sein Temperament ausgesetzt war.

Nachdem er 1770 seine Studien in Göttingen mit dem Examen abgeschlossen, trat er in den hannoverischen Staatsdienst und unternahm nach fehlgeschlagenen Versuchen, in London eine Rathsstelle zu erhalten, 1772 eine Rundreise durch Deutschland, um sich mit den Verhältnissen an den Höfen und im Reiche vertraut zu machen.

Sein Reisetagebuch liegt noch vor; es zeugt für seine scharfe Beobachtungsgabe und giebt ein sprechendes Bild von den damaligen Zuständen des deutschen Reiches. So viele kleine Höfe, so viele verschiedene Physiognomien. Der junge Reisende fällt oft ein sehr entschiedenes Urtheil. Er schildert z. B. den Aufwand des Casseler Landgrafen, die gewaltigen Anlagen am Weißen Stein, ihre Dimensionen, ihre Kosten, nicht ohne Staunen, fügt aber die Bemerkung hinzu: zweckmäßiger würden gute Wege sein, als dieser Prachtbau, der nur dazu diene, den Stolz des Fürsten zu nähren. Der regierende Graf von Neuwied machte auf ihn den Eindruck eines Bürgermeisters aus einer kleinen Stadt; die Gräfin hatte zwei Hofdamen von vornehmer Herkunft und wurde, wenn sie ausfuhr, von sechs Husaren mit gezogenem Säbel escortirt. In Darmstadt fiel ihm das große Exercirhaus auf, welches Landgraf Ludwig hatte bauen lassen; er fand indeß, daß es für den König von Preußen schicklicher wäre, als für den Landgrafen von Darmstadt. „Bei dem Landgrafen gilt nichts als der blaue Rock; er soll ein vortrefflicher Trommelschläger sein. Man hört in Darmstadt nichts als Exerciren, Trommeln, Pfeifen und Werda-Rufen, sowohl Tag als Nacht. Man ißt schlecht bei Hofe, und alles sieht sehr mustricht aus.“

Welch ein Glanz dagegen in Mannheim! Da blühen die Künste, Gemäldegalerien, Musikaufführungen, ein glänzender Hof, die Damen in Juwelen, auf das Reichste gekleidet; der Kurfürst Karl Theodor hat eine Passion für die Frauen; es herrschte ein unanständiger Ton, und man erzählte sich die anstößigsten Geschichten. Desto ökonomischer geht es in Karlsruhe zu; das früher bestehende Serail von Tänzerinnen ist abgeschafft; man speist nur gute Hausmannskost. Die Markgräfin zeichnet und malt gut; sie illustrirt alle Thiere aus Buffon’s Naturgeschichte; sie mußten in natura herbeigeschleppt werden, um sie recht nach dem Leben zu machen. Auch den Herzog Karl Eugen von Württemberg und seine Solitüde schildert Hardenberg; er tadelt ihn, daß er so hart mit seinen Leuten umging. Für alles hat der junge Reisende offenen Sinn, für Ackerbau, Manufactur, für technische und artistische Talente, für neuerschienene Schriften; er schildert das Reichskammergericht in Wetzlar und den Reichstag in Regensburg mit scharfer Beobachtung.

Auf seiner Reise war Hardenberg auch nach Nassau gekommen, dem Stammsitze der Familie von Stein, und Luise, die Schwester des berühmten Diplomaten, machte auf ihn einen tiefen Eindruck; er selbst bekennt, er liebe sie unbeschreiblich, und hat nur Scrupel darüber, daß er kein Engagement habe. Doch es war ihm nicht bestimmt, der Familie des Diplomaten anzugehören, mit dem er später Hand in Hand die innere Umgestaltung Preußens in’s Wert setzen sollte. Nach seiner Rückkehr und nach einem abermaligen Ausfluge, der ihn bis über den Canal führte, gab er den Wünschen seiner Familie nach, welche seine Verlobung mit einer reichen Erbtochter der Gräfin Reventlow in Holstein wünschte. Sie lebte bei einem Stiefvater, Herrn von Thienen; ihre Mutter war in Folge geistiger Störung nicht zugegen. Hardenberg’s Vater begleitete den Sohn auf der Brautreise; alle Arrangements wurden getroffen; nur die Einwilligung der Vormünder in Kopenhagen machte anfangs Schwierigkeiten. Hardenberg schrieb in einem Briefe: „Die Pacta dotalia werden wohl überaus vortheilhaft für mich ausfallen, ohnerachtet wir gar nichts dazu gesagt; mir wird wohl ususfructus an ihrem ganzen Vermögen zugeschrieben werden, und sie wird sich nur 3000 Thlr. jährlich Taschengeld reserviren. Uebrigens bin ich so vergnügt, so zufrieden und so verliebt wie möglich; und was mich am innigsten bei der Sache freut, ist, daß ich sicher bin, daß ich recht sehr und aufrichtig geliebt werde. Meine kleine Braut ist liebenswürdig, gut erzogen; es fehlt ihr gar nicht an Verstande, und was alles dieses noch mehr erhebt, ist eine ungekünstelte Unschuld in ihrem ganzen Betragen, die mich ganz eingenommen hat und die ich nie vorher gekannt hatte.“ Hätte sich die kleine Braut als Frau diese Unschuld bewahrt, wer weiß, ob Hardenberg je der große preußische Staatsmann geworden wäre und ob er sich nicht mit einer untergeordneteren Rolle hätte begnügen müssen. Merkwürdiger Weise war es immer sein Familienunglück, was seine politische Carrière förderte.

Am 8. Juli 1775 fand die Vermählung statt; er war vorher schon Kammerrath geworden; jetzt wurde er zum Geheimen Kammerrath ernannt. Doch sein Ehrgeiz ging darauf, die Ministerstelle in London zu erhalten, schon um die preußische Politik Friedrich’s, zu der er und seine Familie hinneigte, fördern zu können, die von London aus gekreuzt wurde. Seine Reise nach England hatte aber den entgegengesetzten Erfolg; seine Frau, die schon in Hannover durch ihr Benehmen Anstoß erregt hatte, begünstigte den Prinzen von Wales, der in leidenschaftlicher Liebe für sie entbrannt war; die Zeitungen selbst nahmen von diesen Vorgängen Notiz. Hardenberg bat den König um den Posten

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