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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


des Reichstagsgesandten in Regensburg, damit er durch ein öffentliches Gnadenzeichen seine Ehre bei dem Publicum rette, und als der König dies abschlug, verließ der junge Beamte den hannoverschen Dienst. Den glänzenden Aussichten, die sich in Dänemark ihm eröffneten, entsagte er, ja er machte sich von allen eingegangenen Verpflichtungen frei und folgte den Anerbietungen des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, der ihn zum Großvoigt, Präsidenten der Klosterrathstube und zum Mitgliede des geheimen Rathscolleginms ernannte. Hardenberg riß sich damit von einer Politik los, deren Charakter auf einer Verbindung Englands und Hannovers beruhte, und gesellte sich einem Fürstenhause zu, welches die gemeindeutschen Interessen stets im Auge gehabt und sich von jeher zu Preußen gehalten hatte. In den Verhandlungen wegen des Fürstenbundes war er ein eifriger Vertreter der Anschauungen Friedrich's, soweit es die engen Verhältnisse des verschuldeten Landes zuließen. Wegen einer Schulreform im Sinne Campe's geriet die Regierung in Händel mit den Ständen. Doch diese mißlichen Verhältnisse allein hätten ihm seine Stellung nicht verleidet, wären nicht wieder häusliche Störungen dazu gekommen. Das Benehmen seiner Frau erregte abermals Anstoß; außerdem machte sie einen Aufwand, der sein Vermögen überstieg und ihn in Schulden stürzte.

Sein Haus war auf das Glänzendste eingerichtet; er und seine Gemahlin fuhren in besonderen Wagen mit prächtiger Bedienung aus, Jedem ein Läufer voran. Erregte das Benehmen der Frau wachsenden Anstoß, so war dasjenige des Gatten keineswegs vorwurfsfrei. Die Ehe mußte im Jahre 1787 getrennt werden. Die Gemeinschaft des Vermögens, auf der das Hauswesen beruhte, wurde aufgelöst. Dadurch verlor der an Glanz gewöhnte Minister den beträchtlichsten Theil seines Einkommens, aus welchem die Kosten seines bisherigen Haushaltes bestritten worden waren; auch mußte er die Schulden allein übernehmen. Der Herzog von Braunschweig half aus, doch in spärlicher Weise. In dem folgenden Jahre vermählte sich Hardenberg mit echt diplomatischer Leichtfertigkeit wiederum und zwar mit einer Jugendgeliebten, Sophie von Leuthe, die sich von ihrem Gatten ebenfalls scheiden ließ. Auch sie hatte sich ähnliche Vorwürfe in ihrer ersten Ehe zugezogen wie seine frühere Gemahlin. Seine Leidenschaft wurde mit entgegenkommender Neigung erwidert. Ritter von Lang beschreibt Sophie als eine schöne romantische Dame, die aus Schwärmerei für Hardenberg ihren ersten Mann verlassen habe. Sie wurde indeß bei Hofe nicht nach Wunsch und Anspruch behandelt. Die Herzogin vermied es, sie bei sich zu sehen. Zuweilen mußte Hardenberg bemerken, daß er absichtlich allein geladen worden war, während andre Gäste mit ihren Damen erschienen.

So war durch die neue Ehe seine Stellung in Braunschweig unhaltbar geworden. Vergebens wandte er sich an den Herzog von York und König Georg von England, um wieder in den hannoverschen Staatsdienst eintreten zu können; er erhielt von dem Könige keine Antwort. Bei einem Aufenthalte in Berlin im Jahre 1790 wurde der braunschweigische Minister, der dieser Stellung längst überdrüssig war, dem Markgrafen von Anspach-Bayreuth durch Herzberg empfohlen als der geeignetste Mann, die Umwälzung durchzuführen, welche der Markgraf mit dem verrotteten frühern Systeme und gegen dessen Vertreter in seiner eigenen Regierung begonnen hatte. In der That wurde Hardenberg zunächst brandenburgischer Minister in Anspach, und auf diesem Umwege, nachdem Anspach-Bayreuth definitiv an Preußen gefallen war, preußischer Minister, als welcher er seine weltgeschichtliche Rolle spielen sollte.

Von seinen häuslichen Schicksalen giebt uns Ranke keine Kunde mehr; wir müssen uns an die Memoiren des Ritters von Lang halten. Hardenberg blieb seiner zweiten Frau nicht treu; es entspann sich ein Liebesverhältniß zwischen ihm und einer frühern Schauspielerin, Charlotte Schönemann; sie hatte dem Minister in Frankfurt gegenüber gewohnt, wo er aus den Fenstern seines Hôtels zuerst mit ihr Beziehungen anknüpfte. Frau von Hardenberg vergaß sich aus Rache noch ärger als ihr Gemahl; sie ging von Anspach fort und suchte die Verborgenheit in der Nähe von Leipzig auf. Im Jahre 1801 wurde auch diese zweite Ehe des Ministers aufgelöst. Frau Schönemann war anfangs Freundin und Ehrendame, wurde nach der Schlacht bei Jena Hardenberg’s Gemahlin und später auch Fürstin Hardenberg. Man sieht, daß der große Staatsmann in Sachen der Ehe leider ein sehr weites Gewissen hatte.

Als preußischer Minister trat er jetzt bald in die Mitte der polnischen Ereignisse, in der er mit kurzen Unterbrechungen bis zu seinem Tode bleiben sollte. Die Geschichte seines Lebens ist von jetzt ab auf’s Engste verknüpft mit der Geschichte Preußens. Er folgte dem Könige auf dem französischen Feldzuge, 1792, und verhandelte in Frankfurt mit Lord Malmesbury über die englischen Subsidien, sowie später im Jahre 1794 mit den Vertretern des französischen Wohlfahrtsausschusses; er war es auch, der im Jahre 1795 den übelberufenen Separatfrieden Preußens mit Frankreich zu Basel abschloß.

Bestimmend für seine damalige Politik wurden zwei Gedanken: er war überzeugt, daß zu dem politischen Gleichgewicht von Europa ein mächtiges Frankreich gehöre, und ferner davon, daß ein Verhältniß mit Frankreich dahin führen würde, die Autorität des Königs in Deutschland durch Vermittlung eines Reichsfriedens zu verstärken. Im Jahre 1797 nach Friedrich Wilhelm’s des Dritten Thronbesteigung nach Berlin berufen, betrachtete er sich dort selbst als Provinzialminister, und erst im Jahre 1803, als Napoleon Hannover besetzt hatte, erhielt er das Portefeuille des Aeußern, anfangs als Stellvertreter des Grafen Haugwitz. Ueber diese wichtige Epoche seiner Geschäftsführung giebt er selbst in seinen Memoiren Aufschluß; es war die Epoche des „Durchwindens“ zwischen Frankreich und Rußland. Hardenberg erklärte sich zwar auf das Entschiedenste gegen den jesuitischen Grundsatz der Politik, daß der Zweck die Mittel heilige, und doch war die preußische Politik damals zu Halbheiten und Schleichwegen verurtheilt, welche doch nicht zum Ziele führten, sondern den Untergang der Monarchie zur Folge hatten. Dieser selbst fiel nicht mehr in die Zeit der Hardenberg’schen Geschäftsführung; im Jahre 1806 vor Ausbruch des Krieges hatte er sich auf sein Gut Tempelhof zurückgezogen, von wo er anfangs noch die geheimen Verhandlungen mit Rußland leitete. Die alte Sage, der Erwerb Hannovers durch Preußen sei der Grund seines Rücktrittes gewesen, ist jetzt vollständig widerlegt; Hardenberg stimmte für denselben und hatte als alter Hannoveraner noch ein besonderes Interesse daran.

Das bisherige Wirken Hardenberg’s gehört den Annalen der Diplomatie an; es ist angekränkelt von den Erinnerungen an eine der traurigsten Epochen deutscher Geschichte, wenn er selbst auch von Ranke zu den Staatsmännern gerechnet wird, „in denen das Bewußtsein europäischer Nothwendigkeiten stets lebendig war“. Ruhmreicher und dauernder ist das Angedenken an sein Streben zur innern Wiedergeburt Preußens, in welcher er mit Stein Hand in Hand ging. Wie bedeutend sein Antheil an dem Grundgedanken dieser Reform war, das ist durch seine Denkschrift „Ueber die Reorganisation des preußischen Staats im September 1807“ jetzt offen dargelegt.

Hardenberg geht in dieser Denkschrift nicht ganz soweit wie Freiherr von Stein, indem er z. B. zwar die Aufhebung der Erbunterthänigkeit der Bauern und alle Freiheit für sie zur Erlangung des Eigenthums fordert, aber doch die Aufhebung der Frohnverfassung nicht für nöthig hält. Dagegen proclamirt er nicht nur das Princip der allgemeinen Wehrpflicht, er verlangt sogar, daß die Unterofficiere von den gemeinen Soldaten nach der Mehrheit gewählt würden, ebenso die Officiere ersten Grades von den Unterofficieren. Ueber den Adel, den Fortfall vieler seiner Vorrechte, besonders des Rechts zum ausschließlichen Erwerb der Rittergüter, spricht er sich in durchaus liberalem Sinne aus. Alle innere „Polster der Faulheit“ im Verwaltungswesen sollen fortfallen und dasselbe, besonders auch das Finanzwesen, auf neuen Grundlagen geordnet werden. Zwölf Jahre hindurch, von 1810 bis 1822, hatte Hardenberg als Premierminister und Staatskanzler volle Muße, diese inneren Ordnungen in Preußen durchzuführen, und er hat in der That dem preußischen Beamtenthum jene Grundlage gegeben, auf der es seine jetzt allgemein anerkannten Vorzüge entwickeln konnte.

Jene Denkschrift hatte er in Gemeinschaft mit Altenstein und Niebuhr ausgearbeitet, die er ebenso wie Schön und Stägemann dem König als ausgezeichnete Beamte empfahl, doch für die preußische Reform-Aera wird man mehr als früher und in gleicher Linie mit dem Namen Stein’s denjenigen Hardenberg’s nennen müssen. Auch bei der Verordnung vom 22. Mai 1815, welche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_135.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)