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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


dem linken Nasenloche, zuletzt mit beiden, der süße Duft eingesogen, und dann langsam, langsam mit verklärtem Gesichte und halbgeschlossenem Auge der wärmende Trank hinuntergegossen; darnach aber ein Stöhnen und Räuspern, als wäre die schwerste Arbeit verrichtet worden, und ein ganz unmotivirtes Interesse für alles Andere, nur nicht für den Capitain und seine Flasche. Mehr als einen giebt’s ja doch auf keinen Fall.

Mahlzeit bei hohem Seegange.

Die scheidende Sonne des vergangenen Tages hatte noch mit ihren letzten Strahlen die weiße Fläche der in Leinwand gehüllten Masten warm beleuchtet – der kalt und grau heraufdämmernde Morgen traf uns mit kahlen Masten und Raaen, und unter Sturmsegeln im Schneesturme beiliegend. Fünf Tage hielt dieses Wetter an; schon nach den ersten vierundzwanzig Stunden waren sämmtliche Kleidungsstücke durchnäßt, trotz Seestiefel, Oelrock und Südwester, und von da an gab es nur triefende Kleider, wenn man aus der gleichfalls durchnäßten Coje heraus mußte zur Wache.

Der Capitain observirend (Höhe der Sonne messend).

Je eine Hälfte der Mannschaft hat die Wache und muß während derselben unter allen Umständen an Deck bleiben und Raaen und Segel bedienen, je nachdem eine Aenderung in der Richtung des Windes oder in seiner Stärke dies erheischt; die andere Hälfte, die „Freiwache“, darf sich von ihrer gehabten Anstrengung ausruhen, oder muß nothwendige Arbeiten verrichten und auch, wenn die Kräfte der Wache nicht mehr ausreichen, dieser helfen. Von vier Stunden zu vier Stunden, Tag und Nacht, wechselt der Wachdienst gleichförmig ab, oft viele Monate lang hintereinander, ohne die willkommene Unterbrechung eines Aufenthaltes im Hafen, und noch öfter muß der Matrose dabei wochenlang die Wohlthat trockener Kleider entbehren. Ein schweres Leben, das Seemannsleben, und bei Gott ein genügsames! Ohne Murren werden dort Anstrengungen und Strapazen als Alltägliches ertragen, wie sie das Landleben ähnlich nur als Außerordentliches mit sich bringt, und die in demselben gebotenen Genüsse sind meist negativer Natur, oder derartig, daß sie der Landbewohner gewiß kaum als solche anerkennt: im Hafen darf der Matrose die ganze Nacht durch schlafen, statt wie in See vier oder acht Stunden derselben schwer auf Deck oder in der Takelage arbeiten zu müssen; eine doppelte Ration Trinkwasser läßt oft die gedrückteste Stimmung in eine fröhliche und übermüthige umschlagen. Bei alledem geht der Humor selten aus, und oft genug geben unter drohenden Umständen die eigenthümlichen Scenen Anlaß zur hellsten und harmlosesten Heiterkeit.

Es ist Mittag, das Wetter ist noch dasselbe und sieht noch gar nicht nach Aufklären aus; schwer stampft das Schiff in die anstürmende See; tief holt es erst nach der einen, dann nach der andern Seite hin über.

Da kommt der Koch aus der Küche hervor, um den Eimer mit dicken Erbsen zur Mahlzeit in den Roof, in die Behausung der Mannschaft zu tragen, wo zwölf hungrige Mägen sehnsüchtig warten. Sie sind heute etwas sehr dick gerathen, die Erbsen, und machen ihrem Namen gar zu viel Ehre, aber bei dem wüthenden Hin- und Hertoben des Schiffes ging das Umrühren schlecht; Neptun jedoch weiß Rath für seine hungrigen Lieblinge – schwab! setzt der weiße Kamm einer heranrollenden Welle über die Schanzkleidung und spült aufschäumend in den nun dünnen Erbsbrei; er war auch wahrhaftig zu dick und zu heiß gewesen, und das Bischen Salz mehr ist nur gesund. Drinnen im Roofe wird mit williger Kelle die dünne, kalte und versalzene Mahlzeit vertheilt, und – „wenn’s auch nicht gut schmeckt, es füllt doch den Magen,“ denkt Jeder. Aber „wenn ich's nur erst drin hätt’!“ denkt auch Jeder. Mit dem Rücken gegen die Cojenwand gestemmt, auf der Backskiste sitzend und die Hacken fest in das Deck getreten, sitzt die heißhungrige Gesellschaft da; eine Hand balancirt den vollen Napf; die andere schwingt den Löffel; das Messer für das zähe Salzfleisch halten die krampfhaft zusammengepreßten Kniee. Mit langsam hin und her wiegendem Oberkörper sucht Jeder den ziemlich regelmäßigen Bewegungen des Schiffes zu folgen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren; jetzt machen die an Backbord

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_152.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)