Seite:Die Gartenlaube (1877) 155.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Vor einem Froschaquarium.


Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, daß bei einigen Thiergattungen, hauptsächlich den Raubthieren, Fälle vorkommen, wo die Eltern (meistens aber das Männchen), sei es in einem plötzlichen Anfalle von Wuth und Gereiztheit, oder aus Hunger, ihre Jungen tödten und verzehren. Beispiele hierzu liefert uns die Naturgeschichte der Löwen, Tiger und Bären in genügender Menge. Ja, selbst unsere zahme Hauskatze läßt sich bisweilen auf solchen Grausamkeiten ertappen. Daß aber Thiere einer und derselben Gattung – und noch dazu die jüngern, unausgebildeten die ältern – überfallen und auffressen, nicht aus Mangel an den erforderlichen Nahrungsmitteln, sondern aus freien Stücken, solches habe ich noch in keinem naturgeschichtlichen Werke verzeichnet gefunden und hat auch, meines Wissens, noch Niemand beobachtet. Was werden nun meine freundlichen Leser und Leserinnen für Gesichter machen, wenn ich ihnen erzähle, daß ich den doch allgemein für harmlos gehaltenen Junker Grünrock, unsern gemeinen Teichfrosch, in seiner Uebergangsperiode als Quappe, bei derartigen blutigen Missethaten ertappt und genau beobachtet habe, daß nicht Mangel, sondern nur Blutgier ihn dazu verleitet? Ich lasse hier meine Beobachtungen folgen; vielleicht hat Jemand Aehnliches bemerkt und wird durch diesen Aufsatz veranlaßt, auch die Resultate seiner Untersuchungen bekannt zu machen, was mir nur angenehm sein kann, da dadurch unser Wissen und unsere Kenntniß in Betreff der Naturgeschichte dieser Thiere vermehrt wird.

Es war im Sommer des Jahres 1876. Ich lebte in der Nähe Moskaus bei einer deutschen Familie als Hauslehrer auf dem Lande. Von Natur ein großer Thierfreund, hatte ich es verstanden, auch bei meinen Zöglingen Interesse für das Leben und Treiben der Thiere zu erwecken. So baten mich denn an einem schönen Junitage die Knaben, ihnen ein kleines Aquarium herzurichten.

Gern war ich dazu bereit, und nachdem ein wenigstens für den ersten Anfang genügendes Glasgefäß gefunden worden war, machten wir uns aus den Weg zu einem nahe gelegener Teiche, um die ersten Insassen für unsere „Gründung“ einzufangen. An Ort und Stelle angelangt, ward bald eine Einbuchtung des Teiches entdeckt, an deren sonnendurchwärmten Wasser es förmlich von Froschquappen wimmelte. Ueber letztere Entdeckung war ich um so mehr erfreut, als sich mir auf diese Weise eine günstige Gelegenheit bot, meinen Schülern die verschiedenen Metamorphosen zu zeigen, die ein Frosch durchzumachen hat, ehe er als vollkommener Junker vom Sumpfe das nasse Element verlassen und auf dem Festlande der Fliegenjagd nachgehen kann.

Schnell hatten wir ein halbes Dutzend der länglichrunden, langgeschwänzten und in allen Farben schillernden Quappen erhascht und in’s Glas gebracht. Zufrieden mit dem ersten ergiebigen Fang, begaben wir uns nach Hause und suchten hier nun unsern Gefangenen ihren neuen Aufenthaltsort so angenehm wie möglich einzurichten. Es wurden auf den Boden des Glases zwei Zoll Sand geschüttet und dasselbe fast bis zum Rande mit Wasser gefüllt. Hineingesetzte Würmer, Fliegen und sonst allerlei kleine Wasserinsecten sollten ihnen den Tisch stets gedeckt erhalten und ein Brettchen das Festland vorstellen, falls es einem der zukünftigen Froschjünglinge beschieden sein sollte, sich bald einer Umwandlung zum Vollkommenen zu erfreuen.

Es vergingen mehrere Tage, ohne daß sich eine irgend merkliche Veränderung an den Quappen hätte wahrnehmen lassen die hineingesetzten Thiere waren bald verzehrt und mußten durch neue ersetzt werden, bis endlich eines Morgens bei mehreren Quappen die Hinterfüße zum Vorscheine gekommen waren. Bis jetzt hatten die Thierchen entweder friedlich im Sande des Glases nebeneinander gelegen oder sie waren, munter im Wasser hin und her schießend, mit der Jagd auf die Würmer und Insecten beschäftigt. Nun aber trat plötzlich eine solche Veränderung in ihrem Benehmen ein, daß ich mich veranlaßt sah, sie genauer zu beobachten. Mit dem Hervorkommen der Hinterbeine schien in die Quappen ein böser Dämon gefahren zu sein. Alle ihnen gebotenen und bis heute freudig angenommenen Leckerbissen, fette Regenwürmer, schöne grüne Fliegen etc. verschmähend, schossen sie wüthend hinter den zwei noch beinlosen Geschwistern her und jagten die armen Geschöpfe fortwährend im Glase in die Runde, ihnen nicht einen Augenblick Ruhe gönnend.

Die unglücklichen Gehetzten suchten sich in den Sand einzuwühlen; sie machten alle möglichen und unmöglichen Wendungen und Schwimmkunststücke - Alles vergebens; die vier Verfolger waren ihnen stets auf den Fersen und zwangen sie immer von Neuem, ihr Heil in der Flucht zu suchen. Meinen Zöglingen machten die tollen Sprünge und Tänze, welche die Quappen im Wasser vollführten, natürlich viel Spaß und ließen sie hell auflachen. Ich ahnte aber nichts Gutes und hatte mich nicht getäuscht. Als am andern Morgen mein erster Gang zum Froschglase war, sahen meine Augen das Schreckliche, das unterdessen geschehen: eine der Quappen, welche sich schon der Hinterfüße zu erfreuen hatten, knabberte an einem Gegenstande, der auf der Oberfläche des Wassers schwamm, während die drei anderen träge auf dem Grunde lagen und die eine beinlose ängstlich hin und her schwamm. Wo war denn aber die andere geblieben? Sie war eben der oben schwimmende Gegenstand: ein Skelet, aufgezehrt von den eigenen stärkeren Brüdern, denen es gelungen war, sie nach langer, wüthender Hetze zu fangen und zu tödten.

Diesen Tag über schienen die Mörder sich von ihrer Anstrengung bei der Ausübung der bluthigen That zu erholen; alle lagen schließlich im Sande, und nur die Athembewegung verrieth noch, daß Leben in ihnen. Am nächstfolgenden Tage brachten die Knaben zwei große grüne und vollkommen ausgewachsene Laichfrösche nach Hause, und wir setzten sie zu den Quappen in’s Glas. Ich war äußerst neugierig zu sehen, was nun geschehen würde.

Eine Zeit lang saßen die beiden Quaker mit höchst ernster Miene auf dem Brettchen und schienen sich erst in dem neuen Aufenthaltsorte orientiren zu wollen. Darauf hüpfte der eine in’s Wasser und begann langsam und bedächtig umher zu schwimmen, was der andere nach einigen Augenblicken nachzuahmen für gut hielt, denn auch er versetzte sich mit kühnem Sprunge in’s nasse Element.

Jetzt wurde es auch aus dem Grunde des Glases lebendig. Wie mit Luft gefüllte Ballons, stiegen nach und nach die Quappen, nur mit dem Schwänzchen ganz unmerklich rudernd, vom Boden zur Oberfläche auf. Die einzige, noch nachgebliebene beinlose Quappe hatte dieses kaum bemerkt, als sie sich sofort in den Sand einzuwühlen begann. Doch statt, wie sie es wahrscheinlich gehofft, durch dieses Experiment den Augen der Mörder verborgen zu bleiben, lenkte sie vielmehr die Aufmerksamkeit derselben durch den aufsteigenden Sand auf sich und - sofort begann wieder die Hetze, jetzt noch viel bunter durcheinander, da die beiden Frösche, welche sich noch nicht ganz mit der neuen Oertlichkeit vertraut gemacht hatten, ängstlich hin und her sprangen, bald auf’s Brettchen, bald in’s Wasser, und schließlich auch noch zu tauchen begannen.

Einige Minuten hatte dieses tolle Durcheinander schon gedauert, da - eine plötzliche, stoßartige Bewegung zweier der Verfolger vom Boden des Glases nach oben - und beide hingen festgesogen am Halse des unglücklichen Opfers, der letzten beinlosen Quappe. Noch ein paar machtlose, schwache Zuckungen, und das überfallene, grausam gemordete Thier schwamm, den weißen Bauch nach oben, auf der Oberfläche des Wassers. Schnell waren auch die beiden andern Verfolger zur Hand, und alle Vier zehrten nun mit Wohlbehagen den eigenen Bruder in wenigen Stunden so weit auf, daß wieder nur das Skelet nachblieb. Die beiden großen Frösche saßen wieder auf dem Brettchen und schienen die ganze Geschichte nicht recht begreifen zu können; sie zwinkerten einander mit ihren großen, goldig geränderten Augen zu und athmeten so tief, daß der weiße Bauch mächtig auf- und niederwallte.

Ich mußte jetzt meine Beobachtungen auf mehrere Stunden unterbrechen, weil meine Pflicht mich abrief. Als ich dann wieder nach dem Stande der Dinge im Froschglase sah, war bereits von Neuem die ganze Gesellschaft in der höchsten Aufregung. Die Frechheit der Quappen suchte ihres Gleichen: sie jagten jetzt die großen, ausgewachsenen Frösche im Wasser umher, nur wurde

diesmal die Jagd häufig von größeren Pausen unterbrochen, wenn

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_155.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)