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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

ähnliches, mit einer Universal-Sprache nicht zu verwechselndes System zur Verständigung der Menschen aller Zungen untereinander seit längeren Jahren in segensreichstem praktischem Gebrauche befindlich ist, nämlich für die Verständigung der Schiffe untereinander und mit den Marinestationen der Ufer. Dieses System, welchen eine Verständigung über alle zur See vorkommenden Angelegenheiten zuläßt, ist freilich, da die Signale durch Flaggen für eine bedeutende Entfernung gegeben werden müssen, nicht so einfach, wie das eben erläuterte, aber die Art, wie die Capitaine Marryat, Reynold, Rogers etc. die bedeutenden hierbei hervortretenden Schwierigkeiten überwunden haben, ist so interessant, daß es den Leser gewiß nicht reuen wird, eine ungefähre Vorstellung von dem angewendeten Verfahren zu erhalten.

Zunächst giebt es zwei allgemeine Zeichen, eine Flagge, welche die Nationalität des Schiffes kund giebt, und ein Wimpel, dessen Aufziehen andeutet, daß man auf Grund des Signalbuches aller Nationen eine Frage, Bitte oder Mittheilung auszutauschen habe. Ein nochmaliges Aufziehen dieses Wimpels an andrer Stelle zeigt an, daß man das inzwischen gegebene Signal verstanden habe. Man hat nun ferner für jeden der achtzehn Consonanten des Alphabets eine besondere, durch Form, Farbe und Farbenzusammenstellung unterschiedene Flagge, die, mit einer, zwei oder höchstens drei andern Flaggen untereinander aufgezogen, die Möglichkeit gewährt, 78,462 verschiedene Signale zu geben. Nur die Flaggen für C und D werden auch einzeln angewendet, und heißen dann: Ja und Nein. Die Benutzung der Vocale ist vermieden worden, damit die Buchstabenzusammenstellungen, die nur als Zeichen dienen sollen, niemals ein wirkliches Wort ergeben können, und weil die achtzehn Consonanten zu je zweien, dreien oder vieren verbunden, vollkommen ausreichen.

Für jede dieser nahezu achtzigtausend Flaggen- oder Buchstabenzusammenstellungen ist eine besondere Bedeutung zwischen allen seefahrenden Nationen vereinbart und in ein Signalbuch alphabetisch eingetragen, von dem es amtliche Ausgaben in allen europäischen Hauptsprachen giebt. Diese Signale bezeichnen aber nicht nur einzelne Worte, wie z. B. die technischen Ausdrücke der Schifffahrt, sämmtliche Länder und Hafenorte der Welt, alle Schiffsnamen, die in der amtlichen Schiffsliste eingetragen sind, sondern zum Theil ganze Frage- und Antwortsätze, wie sie am häufigsten vorkommen. Dabei giebt es nun bestimmte Eintheilungen der Mittheilungen, die gleich von vorn herein den allgemeinen Inhalt derselben erkennen lassen. So sind die siebenzehn Signale mit zwei Flaggen, bei denen die gezackte B-Flagge, ein sogenannter Stander, oben steht, sämmtlich Achtungs- oder Aufforderungs-Signale, z. B. BC: „Zeigen Sie Ihre Nationalflagge“; BD: „Welches Schiff ist das?“ BK: „Geben Sie Acht!“ etc. Ferner sind alle Signale mit zwei Flaggen, bei denen ein dreieckiges Wimpel (C, D, F oder G) oben ist, Compaßsignale, und alle übrigen mit zwei Flaggen Nothsignale, z. B. HB „Wir haben augenblickliche Hülfe nötig“; HD: „Es kann keine Hülfe geleistet werden“; HF: „Wir komme Ihnen zu Hülfe“ etc. Ferner sind z. B. alle Signale mit vier Flaggen, bei denen die eingeschnittene Fahne B oben steht, geographische Signale etc.

Wenn nun schon diese Einrichtung die Deutung der einzelnen Signale erleichtert, so dient zur weiteren Entzifferung eben die alphabetische Anordnung der zwei-, drei- und vierstelligen Buchstaben-Signale im Signalbuche, welches, wie gesagt, in allen Sprachen gleichlautend ist. Zum Auffinden der Signale behufs der Absendung dient ein zweiter Theil desselben internationalen Werkes, in dem die einzelnen Worte, Eigennamen etc. derartig alphabetisch angeordnet sind, daß bei ihnen zugleich die durch besondere Signale bezeichneten Sätze, deren Schlagwörter sie sind, mitaufgeführt stehen. Ein Beispiel wird dies klarer machen. Angenommen, ein Schiff hätte einen Kranken an Bord und brauchte ärztliche Hülfe, so findet der Capitain im alphabetischen Register, sowohl unter Arzt, wie unter Krankheit, mehrere entsprechende Sätze, von denen er den für seinen Fall passenden wählen kann. Er hißt das Signal L B auf, welches der Empfänger alsbald im ersten Theile desselben Buches nachschlagen wird, um dort in seiner Sprache die Worte zu finden: „Ich habe einen Kranken an Bord, können Sie mir einen Arzt senden?“

Um aber mit Hülfe der achtzehn Flaggen auch Eigennamen, die im Signalbuche nicht verzeichnet stehen, signalisiren zu können, enthält dasselbe ferner eine Buchstaben- und eine Buchstabir-Tabelle, in denen die sechsundzwanzig Buchstaben des Alphabets, sammt dem Punktzeichen erstens durch ebenso viel dreistellige Signale, und ferner, zur größeren Schnelligkeit, die am häufigsten vorkommenden Gruppen von zwei und drei aufeinanderfolgenden Buchstaben (Aa bis Zy) durch vierstellige Signale ausgedrückt werden. Ebenso hat man circa zweihundert dreistellige Signale zur Verfügung, um alle Zahlen von 1/100 bis eine Million darstellen zu können.

In dieser sinnreichen Methode ist also die Möglichkeit gegeben, daß sich zwei Capitaine beliebiger Nationalität, nicht nur über alle Vorkommnisse zur See verständigen können, ohne daß der Eine die Sprache des Andern zu verstehen braucht, sondern daß sie sich auch Neuigkeiten aller Art mittheilen können, wenn sie sonst Zeit und Lust dazu haben. Allein diese Zeichen haben den Uebelstand, bei Tage selbst für das Fernglas nur auf eine kleinere Entfernung erkennbar zu sein, und zur Nacht gar nicht.

Um aber nun auch in größerer Ferne mit einander verkehren zu können, benutzt man die sogenannten „Fernsignale“, bei denen der Gebrauch der Farbe ausgeschlossen ist. Dieselben setzen sich aus drei Formelementen zusammen, aus einem spitzen Dreieck (Wimpel), einem Viereck (Flagge) und einer runden Scheibe (Ball), so zwar, daß der letztere niemals fehlen darf und der angeredeten Person (da er unter den Signalen der ersten Classe nicht vorkommt) als das charakteristische Merkzeichen dient, daß man durch Fernsignale mit einander verkehren wolle. Auch gilt der einzeln aufgezogene Ball als Vorbereitungs-, Antworts- und Schlußzeichen. Unter den zahlreichen Signalen, die man geben kann, indem man diese drei Formelemente zu zweien oder dreien unter einander aufhißt, sind nun wieder die vier aus zwei Zeichen bestehenden die wichtigsten. So heißt Ball, Wimpel: „Ihr begebt Euch in Gefahr“; Ball, Flagge: „Feuer oder Leck, augenblicklich Hülfe nöthig“; Wimpel, Ball: „Proviantmangel, Hunger“, und Flagge, Ball: „Auf Grund, augenblicklich Hülfe nöthig“. Indem man alle drei Zeichen in verschiedener Weise über einander ordnet und unter Weglassung des einen derselben – nur der Ball darf, wie wir sagten, nie wegbleiben – eines der beiden anderen verdoppelt, erhält man wieder achtzehn Zeichen für die achtzehn Consonanten, die theils als Einzelsignale, theils dazu dienen, die früher beschriebenen zwei-, drei- und vierstelligen Signale des Signalbuchs herzustellen. Wenn die Buchstaben einzeln als Signalzeichen dienen sollen, wird dies dadurch angezeigt, daß gleich darauf der einzelne Ball als Schlußzeichen oder Punctum aufgezogen wird, während andernfalls mehrere Fernsignale zeitlich oder räumlich hinter einander (an verschiedenen Masten) aufgezogen werden, um die Buchstabengruppen des Signalbuchs zusammenzusetzen. Dieselben Fernsignale können auch vom Ufer oder von Booten derartig gegeben werden, daß zwei oder drei Seeleute sich erheben und statt des Balls einen runden Körper, z. B. ihren Hut, statt des Wimpels und der Flaggen schmale und quadratische Tücher von links nach rechts hinter einander flattern lassen.

Vor Allem dienen indessen diese Fernsignale zum Verkehr mit den Semaphoren oder Signalstationen der europäischen Küste, die gleichsam die Postämter und Briefkästen der Weltschifffahrt darstellen und die Aufgaben haben, einerseits die ihnen von vorbeipassirenden Schiffen durch Signale gemachten Mittheilungen telegraphisch an ihre Adresse zu befördern und andererseits die für bestimmte Schiffe erhaltenen Mittheilungen durch Signale an dieselben gelangen zu lassen. Der Semaphor giebt seine Fernsignale mit einem etwas schneller arbeitenden Zeigertelegraphen, der auf einem Maste mit drei einseitigen Querarmen besteht, die, je nachdem sie wagerecht, schräg nach oben oder schräg nach unten gerichtet werden, Ball, Flagge und Wimpel vertreten. Eine senkbare Scheibe an der Spitze des Mastes dient als Aufforderungs- und Schlußsignal. Alle Schiffe, die bei einem Semaphor vorbeifahren oder einem andern Schiffe begegnen, beobachten die für sie selbst sehr nützliche Höflichkeit, sich vorzustellen. Sie hissen zuerst die Nationalitäts- und Signalbuchflagge auf, geben dann das Signal, unter welchem sie in der amtlichen Schiffsliste eingetragen sind (welche Zeichen Schiffe verschiedener Nationen ohne Schaden gleichlautend führen können), zweitens und drittens das Signal für den Hafen, aus dem sie kommen und wohin sie bestimmt sind, schließlich die Zahl ihrer bisherigen Reisetage. Die Schiffe, welche sich so bei einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_163.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)