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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


gegen das Militär behaupten können. Der Plan ist noch nicht genau durchgearbeitet; was ich Ihnen zur Instruction mittheile, sind Punkte, welche die allgemeine Billigung haben. Benutzen Sie jeden Abend während der kurzen Zeit bis auf St. Kilian, um die Leute in Ihrem Quartiere vorzubereiten, aber zunächst nur die Zuverlässigen, die wir als zu uns in jedem Falle gehörig kennen! Erst kurz vor dem Losschlagen dürfen dieselben bestimmt Andern gegenüber mit dem Plane herausgehen, nachdem sie dieselben ausgehorcht und zur Beihülfe geneigt gefunden haben, und sie dürfen ihnen goldene Berge versprechen; ob sie hinterher etwas davon besehen, kann uns sehr gleichgültig sein. Vorsicht, größte Vorsicht, Bandmüllerchen! Ich werde Ihnen nachher über diesen Punkt noch Einiges sagen. Unsere Leute müssen sämmtlich auf jeden Fall irgendwie bewaffnet sein; es könnte Widerstand in der Stadt geben, wiewohl ich glaube, daß wir das Arbeitervolk rasch auf unsere Seite bringen. Ferner müssen möglichst Hacken mitgebracht werden, um das Pflaster aufzureißen. Während wir an den Barrikaden zu arbeiten anfangen, werden Piquets abgeschickt, um im Namen der Revolution die Waffenläden auszuborgen und Blei zum Kugelgießen zu beschaffen. Im Pulverhause auf dem Grützenberge draußen lagern gerade jetzt ausreichende Vorräthe, um uns auf lange zu versorgen, wenn wir sparsam sind. Es ist ein Glück, daß wir keine Kanonen haben, die uns das Pulver wegfressen würden. Wir brauchen nur ein paar Ladungen für die alten Stadtböller und außerdem Sprengpulver. Vor der Chausseebrücke wird der Triumphbogen gebaut, und Sie können dieser Tage schon – ich lasse Ihnen Mittheilungen über die Zeit zugehen – freiwillige Arbeiter dazu stellen. Auf dem Rauhenfelde bis links an den Steinbruch ist Versammlungsort; dahin müssen die Leute beordert werden; der Platz faßt bequem ein paar tausend Menschen. Punkt neun Uhr, wenn geläutet wird, bringen wir den Abgeordneten im Wagen von Bramkerken her; vor der Brücke werden die Pferde ausgespannt, und es stellen sich Leute an die Deichsel und ziehen den Wagen herüber; die Böller krachen dreimal und Alles schreit: 'Es lebe das souveräne Volk; es lebe die Revolution!'“

Bandmüller war anfangs mit sprachlosem Staunen, später unter vergnügtem Händereiben und mit funkelnden Augen neben Urban hergegangen. „Teufel auch!“ sagte er, als dieser eine Pause machte, „das ist aber merkwürdig schnell gekommen, ganz unerwartet schnell“ – und man sah, wie er rasch ein paar eilige Gedanken im Kopfe wälzte, ehe sein Begleiter den Faden wieder aufnahm.

„Die Gelegenheit ist zu günstig und die politische Spannung gerade auf einen Höhepunkt gekommen. Eine Hauptarbeit wird für Sie am Samstag vorher zu thun sein; ich kann auch diese nur in allgemeinen Umrissen andeuten. Zuvörderst müssen Sie am Nachmittag einen Zuverlässigen auf die Dörfer im Thal schicken; ebenso über die Horseberge, – wir haben ja Erkundigungen eingezogen, daß wir etwa der Hälfte der Bauern sicher sind, und es muß gesorgt werden, daß diese am Sonntag früh zwischen acht und neun Uhr spätestens in der Stadt sind und mitbringen, was irgend zum Schießen, Hauen und Stechen gut ist. Vor Samstag braucht dort nichts bekannt zu werden, weil wir die Leute nicht unter Controle haben. Weiter schicken Sie Samstag Abend soviel Mann mit guten Pferden auf das Rauhenfeld, wie Sie irgend auftreiben können; suchen Sie auch ein paar Mann aus, die wir auf die Bahn werfen und den Rhein hinauf und hinunter spediren können. Sie müssen durch die rheinischen Städte die Runde machen, um anzusagen, daß man sich zum Schlagen bereit halten möge und daß wir hier den Anfang gemacht haben. Nehmen Sie schwächliches Volk dazu, welches schlau und flink ist! Was ordentliche Muskeln besitzt, können wir hier besser gebrauchen. Endlich müssen wir darauf Rücksicht nehmen, daß wir das Militär dicht auf dem Halse haben, und uns so lange wie möglich vor ihm sichern. Die Eisenbahnzüge halten wir vom Sonntag früh an hier fest; der letzte Samstagszug muß die nöthigen Leute befördern, um halbwegs zwischen hier und dem Rheine die Schienen aufzureißen. Die Chaussee wird auf Ihrer Seite an den drei engen Stellen, wo der Berg an das Wasser vortritt, verbarrikadirt; wir hauen ein paar Dutzend Pappeln während der Nacht nieder und sprengen das lockere Gestein mit Pulver auseinander, um Material zu gewinnen. Wie gesagt, wir sind noch nicht völlig klar bis in’s Einzelne, und Sie werden das Nähere noch erfahren. Ich wollte Ihnen die ganze Idee nur im Allgemeinen vorlegen und Sie auf das Gewissen fragen, ob Sie bereit sind, bei der Ausführung in Ihrer Eigenschaft als Bezirksoberer mitzuwirken.“

„Das braucht auch noch einer Betheuerung!“ lachte der Gefragte.

„Dann hören Sie aber noch die Hauptsache!“ fuhr der Doctor nach kurzem Besinnen fort. „Merken Sie wohl auf: wer in den Plan eingeweiht wird, muß sich verpflichten, vor keinem Menschen einzugestehen, daß er darum weiß; besonders daß die Weiber nichts erfahren! Jedermann muß seine Vorbereitungen heimlich halten. Für die kurz vor der Ausführung Neuangeworbenen aber gilt das nämliche Gesetz der Verleugnung. Nicht einmal den Oberen gegenüber ist es erlaubt zu zeigen, daß man von dem Plane unterrichtet ist. Es muß den Leuten ausdrücklich gesagt werden, daß sie nicht stutzen sollen, wenn wir uns selber so stellen, als wären wir der Sache fremd. Bemerken Sie das wohl!“

„Eine höchst pfiffige Idee!“ schaltete Bandmüller ein.

„Wir sind zu den möglichsten Vorsichtsmaßregeln gezwungen, um uns den Rücken zu decken. Lassen Sie sich von den Leuten schwören, daß sie von da ab, wo ihnen die Mittheilung geworden ist, nüchtern bleiben wollen, denn der Spiritus schwatzt. Versprechen Sie darauf los, wie ich Ihnen schon sagte! Das Wichtigste bleibt, daß Alles zunächst ordentlich in Fluß kommt. Daß die richtigen Ziele hochgehalten werden, dafür wollen wir schon sorgen.“

Das rothe, buschige Gesicht des Fabrikleiters verzog sich zu einem heimlichen Grinsen, das die Dunkelheit barg. „Natürlich,“ meinte er, „es muß Ordnung bleiben. Es handelt sich ja blos um das Vaterland.“

Die Beiden waren zuletzt die Kaiserstraße entlang gegangen, an dem Seyboldt’schen Etablissement vorüber, und befanden sich zwischen den letzten Häusern. Am Himmel funkelten die Sterne; unter ihnen zog sich das Thal hin mit den hohen Berglehnen zur Seite, welche schwarzen Riesenmauern glichen, an denen hier und da ein Licht glomm. In ihrem Verlaufe rückten dieselben nahe zusammen, so nahe, daß ein Bergthor entstand, durch welches man den Fluß sich zwängen sah, mit der Chaussee als Begleiterin. Es war still hier draußen. Vom Wasser her wehte feuchter Duft, und ein kühles Nachtlüftchen bewegte sanft die Blätter der steilen Riesenpappeln.

„Wollen wir nicht umkehren?“ fragte Bandmüller.

„Es würde Ihnen wohl zu weit werden, wenn Sie mich bis an’s Ende meines Spaziergangs begleiten wollten,“ versetzte Urban. „Vielleicht kehren Sie allein um. Es ist eine Liebhaberei von mir, nächtliche Promenaden zu machen.“

Er sprach das in einem Tone, dem man ziemlich deutlich anhörte, wie angenehm ihm der Weggang seines Begleiters sein würde. Vielleicht war gerade dies der Grund, welcher Bandmüller veranlaßte, zu bleiben.

„Ich bin mit nächtlichen Märschen viel mehr vertraut, als Sie glauben mögen,“ sagte er gleichmüthig, indem er weiter schritt; „und ich habe dergleichen in Gegenden gemacht, wo es keine Chausseen gab und keine anderen Wege als Büffelfährten.“

„Nicht möglich!“ sprach Urban. „Sie waren in Amerika?“

„Vor einiger Zeit. Aber das Leben drüben gefiel mir nicht.“

„Ich hörte diese Nacht von einem gewissen Hendricks erzählen, der von hier hinübergegangen ist und ein abenteuerliches Leben geführt haben muß.“

Bandmüller schwieg.

„Da fällt mir etwas ein,“ unterbrach der Doctor plötzlich den eintönigen Schall der Schritte. „Kennen Sie zufällig einen Menschen, der im Stande wäre, meine Handschrift genau zu copiren? Es liegt mir für einen bestimmten Fall außerordentlich viel daran. Ich könnte allerdings nur einen zuverlässigen Menschen gebrauchen, dem man ein Geheimniß anvertrauen oder nöthigenfalls den Mund versiegeln kann.“

„Ich wüßte Niemand,“ sagte der Andere nach kurzer Ueberlegung.

Vor ihnen ragte ein Gebäude auf, aus dessen Schornstein helle Garben von Funken emporloderten. Ein Feuerschein fiel aus dem Hause über die Chaussee und strahlte ein paar Wagen und Pflüge an, und der klingende Schlag eines Hammers ließ keinen Zweifel aufkommen, daß sie sich der Schmiede näherten, welche dem Doctor vom Mittag her in lebhafter Erinnerung stand.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_190.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)