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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Wie schwer auch gegenwärtig noch aller heiße Drang und Hader einer Uebergangsperiode auf uns lastet, wir behaupten, daß Niemand unter uns dem bezeichneten Eindrucke sich entziehen kann. Mag derselbe nun bewußt und klar in den Gebildeten, mag er als halbdunkler und ahnungsvoller Instinct in den Massen sich regen, im Grunde der Seelen ruft das Bild dieses Kaisers Sympathien wach, die aus den unabweisbaren geschichtlichen Erinnerungen des nationalen Bewußtseins sich ergeben. Niemals ist eine Monarchenhuldigung freier gewesen von den Beweggründen kleiner Selbstsucht und machtschmeichlerischer Liebedienerei.

Der achtzigste Geburtstag des hohen Mannes muß uns zunächst erinnern, daß ihn der Beginn unseres Jahrhunderts schon als dreijähriges Kind gesehen. Als er 1797 das Licht erblickte, war für seine Nation bereits seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein neuer Morgen angebrochen, nach traurigen Zeiten des Druckes und der Erstorbenheit eine geistige Umwälzung und Wiedergeburt durch zwei reformatorische Erwecker herbeigeführt worden, von denen der eine auf dem Throne der Hohenzollern saß und das Schwert und Scepter eines Königs führte, der andere in einem armen Pfarrhause des Sachsenlandes geboren war und keine andere Gewalt besaß, als das Licht seiner Gedanken und die Macht seines geschriebenen Wortes. Was dem Wirken des großen Friedrich in Bezug auf die Befruchtung der nationalen Gesinnung und Bildung gefehlt hatte, das ist durch die Lebensarbeit des großen Lessing in folgenreichster Weise ergänzt worden. Eine gewaltige Saat aufrüttelnder Gedanken war in die Seelen gestreut, und bald sproßten die Keime einer verjüngten Schöpfungskraft und eines neubeschwingten Geistes auf und entfalteten sich endlich zu jenem Blüthenfrühling, der von dem kleinen Weimar aus seinen erwärmenden, erhebenden und befreienden Hauch durch alle deutschen Lande sandte. Auf dem Wege eines stillen, nicht in äußeren Erschütterungen sich ausprägenden Bildungsprocesses wurde damals der Nation jene innerliche Grundlage erarbeitet, ohne die sie niemals zu einer Ebenbürtigkeit unter den Culturvölkern, zu einem bewußten Wollen und Streben sich hätte aufschwingen können: der fortwirkende Einfluß großer Denker und Dichter, ein eigenes Gedankenleben, eine selbstständige nationale Dichtung und Literatur..

Wenn sich auch nicht annehmen und nachweisen läßt, daß diese wichtige Culturumwälzung im innersten Leben des deutschen Volkes den jungen Prinzen am Berliner Hofe direct berührte, so leuchtete der frisch erblühte Geist ihm unzweifelhaft doch entgegen aus den Augen der hochgebildeten königlichen Mutter, die den Ruf des Zeitalters gehört und verstanden hatte, wie er aus den Werken Lessing’s und Herder’s, Goethe’s und Schiller’s, aus dem neuen Regen der wissenschaftlichen Forschung, aus den angestrengten Bestrebungen für Verbesserung der Menschenerziehung und des Menschenlooses zu ihrem klaren Denken, ihrem reinen Sinne, ihrem hochherzigen und begeisterungsvollen Patriotismus sprach. Gewiß, es waren nur die besten Geister edler Bildung und Humanität, welche die ersten Schritte dieser Kindheit bewacht und geleitet und ihr die ersten Eindrücke gegeben hatten. Aber dem aus der ungebrochenen Kraft der Nation erwachsenen Geistesfortschritt war es noch nicht beschieden, auch der politischen Lage und den öffentlichen Zuständen Deutschlands eine der erlangten Bildungshöhe und bewiesenen Leistungsfähigkeit entsprechende Gestalt zu geben. Zwischen dem inneren Leben der Nation und dem davon nicht beeinflußten, regungslos in despotischen Formen verknöcherten und verkümmerten Staatswesen weitete vielmehr eine tiefe Kluft sich aus und erzeugte ungesunde Verhältnisse, welche auf die Dauer sich nicht halten konnten. „Wir sind eingeschlafen auf den Lorbeeren Friedrich’s des Großen, der eine neue Zeit schuf. Wir sind mit derselben nicht fortgeschritten; deshalb überflügelt sie uns.“ So schrieb die Königin Luise in den Schreckensjahren des hereingebrochenen Verhängnisses an ihren Vater. Es kamen über die entgeistigten Staaten Deutschlands die Tage des Zusammensturzes; es kam nach Jahren der Schmach, der fürchterlichen Prüfungen und Schmerzen die Rettung des Vaterlandes durch die aufopferungsvolle Heldenkraft eines Volkes, in dem machtvolle Vorkämpfer der Wahrheit und Schönheit die Flamme der Idealität entzündet hatten. Alle diese Leiden und alle diese großartigen Wechsel der Geschicke haben ihre düsteren Schatten und ihren erhebenden Glanz in die Knaben- und Jünglingszeit des jetzigen Kaisers geworfen, und dies Alles hat er mit schon wachem Bewußtsein erfahren, zum Theil noch unter dem Einfluß der hochgesinnten Mutter, die mit dem Adel ihres Anschauens, mit ihrem starken Pflichtgefühl und mit der Gluth ihrer Vaterlandsliebe auch die Gemüther ihrer Söhne zu erfüllen suchte. „Werdet Männer,“ so rief sie ihnen im Unglück zu, „befreit dann Euer Volk von der Erniedrigung, suchet den verdunkelten Ruhm Eurer Vorfahren von Frankreich zurückzuerobern etc.!“

Wenn also später der sechszehnjährige Prinz auf den Schlachtfeldern von 1813 bis 1815 seine ersten militärischen Ehren verdiente, wenn er damals zweimal an der Seite des Vaters und Bruders in das besiegte Paris einzog, so haben ihn sicher dabei jene idealen Gesinnungen beseelt, welche die verklärte Mutter schon frühe zur Richtschnur seines Denkens und Handelns gemacht hatte. Will man aber Genaueres wissen von dem Einflusse seiner Erziehung und seiner Jugenderlebnisse auf die Richtung seines Charakters und seiner Grundsätze, so besitzen wir in dieser Hinsicht ein interessantes Zeugniß in einer von ihm selbst herrührenden Aeußerung, deren Aufrichtigkeit nicht bemängelt werden kann. Erst unmittelbar vor dem Feldzuge von 1815 fand in der Schloßcapelle zu Charlottenburg die Confirmation des Prinzen statt. Er stand damals bereits im neunzehnten Jahre, aber nach dem Urtheile eines seiner Erzieher soll er schon als dreizehnjähriger Knabe durch einen für sein Alter ernsten und gesetzten Charakter sich hervorgethan haben. Auch die Mutter schrieb bereits 1810 von ihm: „Unser Sohn Wilhelm wird, wenn mich nicht Alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig.“ Nimmt man hinzu, daß der Prinz seitdem des Lebens Ernst genugsam erfahren hatte, daß er mit Leib und Seele Soldat und also schwerlich ein Freund von unnützen Worten war, so wird man es nicht für jugendlichen Declamationserguß halten dürfen, wenn er bei seiner Confirmation in einem von ihm selbst verfaßten Gelöbnisse an geheiligter Stätte und vor einer auserwählten Versammlung unter Anderm Folgendes sagte: „Ich will nie vergessen, daß der Fürst vor Gott nur Mensch ist und mit dem Geringsten im Volke die Abkunft, die Schwachheit der menschlichen Natur und alle Bedürfnisse derselben gemein hat, daß die Gesetze, welche für Andere gelten, auch ihm vorgeschrieben sind, und daß er, wie die Andern, einst über sein Verhalten wird gerichtet werden. Mein Fürstenstand soll mich nicht verhindern, demüthig zu sein vor meinem Gott. Ich will an meiner Geistes- und Herzensbildung unablässig arbeiten, damit ich als Mensch und Fürst einen immer höhern Werth erlange. Meine Kräfte gehören der Welt, dem Vaterlande. Nie will ich in Dingen meine Ehre suchen, in denen nur der Wahnsinn sie finden kann. Ich will ein aufrichtiges und herzliches Wohlwollen gegen alle Menschen – denn sie sind alle meine Brüder – in mir erhalten und beleben. Ich achte es viel höher, geliebt zu sein, als gefürchtet zu werden, oder blos ein fürstliches Ansehen zu haben. Verderbte Menschen und Schmeichler will ich entschlossen von mir weisen. Die Besten, Geradesten und Aufrichtigsten sollen mir die Liebsten sein. Die will ich für meine besten Freunde halten, die mir die Wahrheit sagen, wo sie mir mißfallen könnte.“

Sieht man sich die hier angeführten Stellen mit einiger Aufmerksamkeit an, so überraschen sie zunächst wohlthuend durch den unverkennbaren Ausdruck einer lichten, milden und humanen Religiosität, wie sie in der Zeit vor den Befreiungskriegen und während derselben noch das kirchliche Leben und den Religionsunterricht beherrschte, bald aber immer mehr und mehr durch jenen finstern Geist einseitig-zelotischen Bekenntniß- und Buchstabendienstes verdrängt wurde, der Jahrzehnte hindurch in der preußisch-deutschen Politik eine so verhängnißvolle Rolle spielte. Für solche Ueberschwänglichkeiten war in den Neigungen des Confirmanden von 1815 keine Anlage vorhanden. Sein Gelöbniß zeigt uns vielmehr in deutlich sich ausprägender Weise schon alle die Grundzüge eines einfach bescheidenen und doch hochgerichteten, eines herzlich wohlwollenden und doch unbeugsam selbstständigen Charakters, welche spät erst eine so hohe Bedeutung für die Weltgeschicke erlangen und für unsre Nation so reichen Segen herbeiführen sollten. Denselben Eindruck erregte auch die Persönlichkeit des jugendlichen Prinzen. Als er auf seiner Brautreise in Weimar sich befand, schrieb Gagern von dort an den berühmten Stein: „Prinz Wilhelm ist die edelste Gestalt, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_194.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)