Seite:Die Gartenlaube (1877) 196.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


namentlich für die in Frankfurt eben auf die Tagesordnung gesetzten Verfassungsfragen. Ueber den bekannten Dahlmann’schen Entwurf einer Reichsverfassung sprach er sich so klar und beifällig aus, daß der Gesandte ihn bat, sein Urtheil niederzuschreiben. Schon nach einigen Tagen war das Gutachten fertig, eine genaue und sorgfältig bis auf die einzelnsten Punkte durchgeführte Arbeit, in der es unter Anderem hieß: „Zuvörderst wiederhole ich, wie ich das Ganze des Verfassungswerkes als eine großartige Erscheinung unserer Zeit begrüße und dasselbe wegen seiner Klarheit, Gediegenheit und Kürze als meisterhaft anerkenne. Die Grundsätze, auf welchen das Ganze beruht, sind diejenigen, welche zur wahren Einheit Deutschlands führen werden; es sind dieselben, welche jeder Staat zu den seinigen machen muß, wenn diese Einheit erstrebt werden soll. Daß auch ich diese Grundsätze für Preußen unerläßlich fand, beweist meine Unterschrift unter dem Patente des Königs vom 18. März, und daß ich hier in England nicht anderen Sinnes geworden bin, ist mehr wie begreiflich.

Bunsen sandte das Gutachten an Dahlmann und setzte die Worte hinzu: „Ist der Prinz ein Absolutist oder ein Reactionär? Daß er durchaus offen, redlich und consequent sei, haben selbst die Ungünstigen nie geleugnet, wenn sie mit Kenntniß des Mannes sprachen oder schrieben. Der Prinz hat sich gleich in den ersten Tagen zu einer vollkommenen Klarheit über seine und des Königthums Stellung emporgerungen, mit der stillen und redlichen steten Verständlichkeit, die ihm eigen ist. Der Aufenthalt und Ideenaustausch in England hat ihm Vergangenheit und Zukunft noch klarer auseinandergesetzt.“

Von dem Aufenthalte in England, der unstreitig einen bedeutsamen Wendepunkt in seiner Gesinnungsentwickelung und seinen politischen Anschauungen bezeichnete, kehrte der Prinz am 8. Juli nach Berlin zurück und bekundete nun bei mehrfachen öffentlichen Gelegenheiten, daß er der constitutionellen Regierungsform stets gewissenhaft und treu seine Kräfte widmen werde. Mit diesem Bekenntnisse und mit der in London an den Tag gelegten Ueberzeugung von der Nothwendigkeit einer volksthümlich gestalteten Einheit Deutschlands stand es auch nicht in Widerspruch, wenn er als Heerführer an der Spitze einer Armee zur Niederwerfung des Aufstandes kämpfte, der sich 1849 in Baden und der Pfalz für die Vertheidigung der Reichsverfassung erhoben hatte. Mögen wir immerhin anders über den damals die Gemüther erregenden Streitpunkt denken, so müssen wir uns doch hier auf den Standpunkt des fürstlichen Soldaten stellen, in dem sich die Zuneigung für eine freiheitliche und nationale Gestaltung der Verhältnisse sehr wohl mit einer Verdammung von Bewegungen vertragen konnte, in denen er nichts als unerlaubte und gesetzlose Störung der nothwendigen Ordnung sah. In Preußen aber war inzwischen eine Unordnung anderer Art hereingebrochen, die offene Reaction. Es kamen die frömmlerischen Dunkelmänner mit ihren excentrischen Absichten an’s Ruder; es kam der Vertrag von Olmütz mit allen für Preußen und Deutschland so schmachvollen und niederbeugenden Folgen. Wie der Prinz von Preußen sich zu diesen unglückseligen Wendungen verhielt, darüber liegen Documente und Beweise nicht vor, und die vorhandenen Geschichtsdarstellungen und Biographien gehen schweigend über diese jedenfalls hochinteressante Periode im Leben des Prinzen hinweg. In hohen militärischen Stellungen lebte er seit 1849 regelmäßig am Rhein und kam selten und nur vorübergehend nach Berlin und Potsdam. In den Urtheilen des Volkes über ihn aber war gerade in dieser Zeit ein durchgreifender Umschlag eingetreten, und weite Kreise des Publicums hielten ihr Auge auf ihn gerichtet. Der gerade und offene Sinn des Prinzen, so erzählte man sich, sei allem Aussäen von Erbitterung, aller unredlichen Beschneidung verheißener Rechte, allen krummen und hinterlistigen Wegen, aller unpatriotischen Demüthigung des Staates entgegen. Er wolle Versöhnung der Gegensätze, und das habe ihn mißliebig bei der herrschenden Partei gemacht, die ihn fürchte. Es werde ihm der Aufenthalt am Hofe verleidet; zur Herbeiführung eines Zerwürfnisses mit dem Bruder und König sei er überhaupt belauscht und von bestellten Spionen verfolgt, selbst seine Papiere und Briefschaften seien vor den Einblicken der Spürer nicht sicher. Ueber alle diese Dinge, von denen notorisch Jahre hindurch mit großer Bestimmtheit gesprochen wurde, ist, wie gesagt, ein Schleier gebreitet, und sicher ist nur, daß sich das neugewonnene Vertrauen zu dem Charakter und den politischen Ansichten des Prinzen nicht als eine Täuschung erwies, als er unerwartet die Zügel des Staates ergreifen mußte.

Denn kaum hatte er am 26. October 1858 als selbstständiger Regent vor beiden Häusern des Landtages feierlich den Eid auf die Verfassung geleistet, so bestand sein erster Regierungsact in der Entlassung des bisher allmächtig gewesenen Reactionsministeriums, mit dem sofort auch der ganze Schwarm der portefeuillelosen Ohrenbläser, der Olmütz-Männer und frömmlerischen Kreuzzügler wider die Volksfreiheit aus den Umgebungen des Thrones verschwand. Gegner dieses zehnjährigen Unheils, Männer des öffentlichen Vertrauens wurden zu obersten Rathgebern berufen, und an dieses neugebildete Ministerium hielt der Prinz-Regent gleich in der ersten Sitzung jene geschichtlich denkwürdige Ansprache, in der sich unter Anderem über den schlimmsten Ausgangspunkt aller damaligen Mißverhältnisse die folgende Stelle fand:

„In beiden Kirchen muß mit vollem Ernste den Bestrebungen entgegen getreten werden, die dahin abzielen, die Religion zum Deckmantel politischer Bestrebungen zu machen. In der evangelischen Kirche, wir können es nicht leugnen, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit ihrer Grundanschauung nicht verträglich ist und die sofort in ihrem Gefolge Heuchler hat. Alle Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurz alles Kirchenwesen als Mittel zu egoistischen Zwecken ist zu entlarven, wo es nur möglich ist. Die wahre Religiosität zeigt sich im ganzen Verhalten des Menschen. Dies ist immer in’s Auge zu fassen und von äußerem Gebahren und Schaustellungen zu unterscheiden.“

Im Munde eines durch Erziehung und Sinnesrichtung durchaus conservativen, einem immerhin sehr gläubig-kirchlichen Standpunkte ergebenen Monarchen, dem Niemand also eine frivole Stellung zu den religiösen Dingen zutrauen durfte, waren diese Worte ein verheißungsreiches Programm der Zukunft. Ohne Rückhalt und schneller als man es erwartete, war damit endlich ein lange ersehntes Gericht ergangen über den ausschweifenden Hochmuth des schwarzen Nachtgevögels, das Jahre hindurch Preußen in einen Zustand der innern und äußern Schwäche, des Verfalles und der Abhängigkeit versetzt hatte, der bei der nächsten europäischen Erschütterung unfehlbar einen neuen Zusammensturz hätte herbeiführen müssen. Nach einer langen Zeit qualvoller Mißhandlung und Niedertretung des öffentlichen Geistes kam nicht blos über die preußische Bevölkerung, sondern über die gesammte deutsche Nation ein Gefühl freudigen Aufathmens, als sie plötzlich von dem mächtigsten Throne Deutschlands jene Verkündung hörte, die Millionen aus der tiefsten Seele gesprochen war und in der man sofort das Heraufsteigen einer neuen Aera begrüßte. Es war ein Erlösungswunder geschehen, wo jeder Rettungsweg verschlossen schien, ein Bann war gebrochen, ein schwer lastender Alp von der Brust der Nation genommen und dadurch wiederum die Bahn frei gemacht für eine aufrichtige und patriotische Politik des Volkswohls und der Ehre. Die entsprechenden Folgen zeigten sich auch bald, und sie zeigten sich u. A. sehr charakteristisch in dem plötzlichen Herabsinken der gefürchteten „Kreuzzeitung“ von der Stellung eines Regierungsblattes zu einem bloßen Parteiorgan.

Mag auch nicht Alles nach der betreffenden Stelle hin so schnell sich erfüllt haben, wie es die Begeisterung des ersten Augenblicks sich dachte, hatte die neue Aera noch durch mannigfache Mißverständnisse, Conflicte und Kämpfe sich durchzuringen, so war doch der Anstoß zum Aufstreben gegeben und es mußte nun das Gesetz der Dinge von Stufe zu Stufe bis zu den Momenten sich vollziehen, wo 1870/71 König Wilhelm der Verwirklicher jener großen Hauptpunkte wurde, welche das Volksprogramm von 1848 vergebens erstrebt und verlangt hatte. Wenn er hier nur ausgeführt hat, was seit lange der Volksgeist wollte und was ohne den Beistand des Volksgeistes nicht auszuführen war, so muß man zur Würdigung seiner Entschlüsse und Thaten vor Allem doch fragen, wie der Charakter und wie der Verlauf der Ereignisse unter einem der vorhergehenden Regenten Preußens sich wohl gestaltet haben würde. Mit Recht sehen wir daher in der Lebensgeschichte des hochbetagten Kaisers den so gewaltig ernsten Gang unserer nationalen Geschicke sich wiederspiegeln. Von den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_196.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)