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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Doctor,“ sagte er, nachdem er sich an der scheinbaren Neugier Urban’s eine Weile geweidet, „an Ihnen ist ein Polizeigenie verloren. Jetzt haben wir ihn, und nunmehr, so hoffe ich, soll ihn nichts mehr retten.“

„Ich verstehe Sie nicht. Von wem ist die Rede?“

Statt aller Antwort warf Donner vier Briefe auf den Schreibtisch, sämmtlich Zehren’s Adresse tragend.

„Ah – ich verstehe,“ sagte Urban. „Ein Fischzug auf der Post wahrscheinlich?“

„Lesen Sie! Ich erlaube es Ihnen. Jeder für sich genügt, um ihn mir an’s Messer zu liefern.“

Die Poststempel nannten rheinische Städte als Absendungsorte, aber nur zwei der Briefe waren aus den entsprechenden Orten datirt; mit Chiffren unterzeichnet, enthielten sie statistische Angaben hinter einigen Namen von Ortschaften: Zahlen mit dem Beisatze „Personen“ oder „Comitémittel“, außerdem etwas Text in Geheimschrift. Die zwei anderen Briefe waren durchaus in Geheimschrift abgefaßt.

„Das sind mir böhmische Dörfer,“ sagte der Doctor, nachdem er die Schriftstücke überblickt hatte.

Donner klopfte ihm gnädig lächelnd auf die Schulter. „Etwas Scharfsinn – dann geht es schon. Lesen Sie diese Ueber- und Unterschriften rückwärts!“

„London Circularschreiben, Italienisches Actions-Comité – Paris, Revolutionäre Liga, Abtheilung Deutschland,“ buchstabirte Urban. Er versuchte in der nämlichen Weise auch das Uebrige zu lesen, aber es gelang nicht.

„Verstehen Sie sonst noch etwas?“ fragte er unschuldig.

„Noch nicht,“ erwiderte der Commissar mit Betonung. „Aber ich hoffe gleichwohl dahinter zu kommen. Um ihn verhaften zu dürfen, habe ich vorläufig Material genug. Leider ist er gegenwärtig noch nicht von der Reise zurück, aber ich denke, daß er bei dem Feste nicht fehlen wird, wenn ich ihn nicht schon ein paar Tage vorher unschädlich gemacht habe.“

„Uebereilen Sie sich nicht, Donner! Ich würde in Ihrer Stelle warten, bis er sich eigenhändig um seine politische Unschuld geschrieben hat. Sie müssen diesmal ganz sicher gehen.“

Urban zog, während er dies sprach, wie im Spiel ein Zündhölzchen aus einem vor ihm stehenden Behälter und entzündete die Flamme. Plötzlich raffte er die Briefe zusammen und brachte sie in die Nähe des Brandes. „Wie wäre es?“ lachte er.

„Sind Sie des Teufels?“ schrie der Commissar, sprang mit einem Satze vorwärts und entriß ihm die Papiere, die er eiligst in der Brusttasche barg. „Sie können einmal die schlechten Scherze nicht lassen. Leben Sie wohl!“

Als der Beamte die Thür zugeschlagen, athmete der Doctor tief auf, indem er lose Blättchen beschriebenen Papiers ordnete, welche er im Verlauf des Gesprächs bei Seite geschoben hatte. „Gott sei Dank! Das wäre etwas für diese Spürnase gewesen!“ Dann dachte er einen Augenblick nach und murmelte: „Es ist ein Judasstreich, aber ich muß ihn von ihr trennen, es koste was es wolle! Die Festungen geben Keinen heraus, den sie einmal sicher haben.“ – –

Ein paar Tage nach seinem Wiedereintritt in die Fabrik hatte Bandmüller eine eigenthümliche Besprechung mit dem Commerzienrath Seyboldt.

Der Fabrikant hatte in der Frühe wieder eine seiner bekannten Andachten gehalten, verbunden mit der Ermahnungsrede, in der er den Gehorsam gegen die gottverordnete Obrigkeit mit einer Schärfe und Leidenschaftlichkeit gepredigt hatte, wie seine Leute solche an ihm seit dem vorübergehenden Krankheitsanfalle nicht wieder bemerkt. Als er fertig war, winkte er dem Fabrikleiter, ihm zu folgen. Er führte denselben schweigend in den thaufrischen Garten hinunter.

„Bandmüller,“ sagte er, „der Satan erhebt sein Haupt am hellen Tage, und seine Genossen verlassen die Höhlen und Klüfte und suchen die Sonne auf. Der gottverachtenden Revolution wird Macht gegeben, Triumphe zu feiern. Es soll mich nicht wundern, wenn das Gerücht Recht hat und wir am Vorabend offener Empörung stehen. Wie ist augenblicklich die Stimmung unter meinen Leuten beschaffen? Halten Sie es für nöthig, daß wir zuvor noch eine Scheidung der Schafe von den Böcken vornehmen? Und wieviel Arbeiter würde mich dies kosten?“

Der Fabrikleiter schielte den sichtlich Erregten von der Seite an. Dann zog er die Augenbrauen hoch und schien ein wenig nach Worten zu suchen, während das, was von seinem Gesicht zu sehen war, sich röthete.

„Ich habe traurige Erfahrungen gemacht,“ antwortete er endlich zögernd und mit einer gewissen Salbung im Tone. „Wir werden nichts thun können, denn ich muß leider die Ueberzeugung aussprechen, daß sie allzumal angesäuert sind. Sie lassen sich die Meinung nicht ausreden, daß Ihr Vermögen, Herr Commerzienrath, zum größten Theil ihnen selbst gehöre, und ich fürchte –“

„Was fürchten Sie?“

„Daß die Zeit nahe ist, wo sie ihr vermeintliches Eigenthum fordern werden.“

„Die Revolution? Wird sie kommen? Wissen Sie etwas Positives darüber?“

„Sie wird kommen, bald und schrecklich. Ich besuche nicht umsonst den Wiedenhof; ich habe dort die Ohren offen gehalten.“

„Also wirklich?“ seufzte der Commerzienrath vor sich hin. „Und alle meine Arbeiter verdorben, rettungslos verloren? Es ist nicht möglich.“

„Es ist Thatsache,“ meinte Bandmüller achselzuckend.

„Können Sie mir nähere Angaben machen? Wissen Sie Rath zu schaffen?“

Der Commerzienrath blieb stehen und faßte den Andern beim Rockknopf. Der Fabrikleiter legte die Hände auf dem Rücken zusammen, nagte an der Unterlippe und überlegte einen Augenblick.

„Es giebt zwei Mittel, um Ihr ganzes Eigenthum zu sichern, für deren Erfolg ich bürge. Entweder Sie schwören selber zur Revolution – –“

„Sind Sie verrückt?“ rief der Fabrikant zornig.

„Oder ich thue es für Sie, natürlich nur äußerlich.“

„Was soll das nützen?“

„Ich erinnere mich einer Erzählung meines Großvaters aus der Zeit der Napoleonischen Eroberung,“ meinte Bandmüller zögernd. „Die Stadt, in welcher er wohnte, wurde geplündert, und ein Trupp Franzosen war im Begriff, sein Etablissement in Brand zu stecken. Aber mein Großvater wußte Rath. Er ging zum Obersten und bot demselben das Recht des Mitbesitzes an. Während der notarielle Act aufgesetzt wurde, erschien auf dem Grundstücke meines Großvaters ein Detachement, welches die Brandstifter auseinander jagte und die schärfste Wache hielt. Dieses Opfer hatte die Folge, daß dem klugen Manne während der ganzen Franzosenzeit kein Haar gekrümmt und weiter kein Pfennig genommen wurde.“

Der Commerzienrath lachte höhnisch auf. „Sie sind in der That sehr bescheiden in Ihren Forderungen, mein lieber Bandmüller.“

„Sie müssen mich nicht falsch verstehen,“ beeilte sich dieser zu erläutern. „Geben Sie mir einen kleinen Antheil am Geschäft, ernennen Sie mich zum Compagnon – dann dürfen uns die Schurken nichts anhaben. Ich spiele den Demokraten und eine Krähe hackt eben der andern die Augen nicht aus.“

Er forschte heimlich nach dem Eindruck, den diese Worte auf den alten Herrn machten, und bemerkte, daß er nachdenklich geworden war.

„Es ist gut. Sie können jetzt wieder zu den Leuten gehen,“ sagte der Commerzienrath plötzlich und sah ihn mit den kleinen scharfen Augen durchdringend an. „Ich werde Ihren Vorschlag in Erwägung ziehen.“ Eine kurze Handbewegung bestätigte dem Fabrikleiter, daß er entlassen war.

Das Gesicht Bandmüller’s glänzte. „Es scheint wirklich, daß man es auch mit Solidität zu etwas bringen kann, wenn man die nöthige Grütze im Kopfe hat,“ sprach er vor sich hin, als er sich in gehöriger Entfernung von dem Principal befand. „Aber nur kein gutmüthig-dummes Vertrauen! Ich werde heute noch meine Unterofficiere den Eid der Treue leisten lassen.“

Am Ausgang des Gartens trat ihm Toni entgegen, frisch wie eine thaugebadete Rosenknospe im Aufbrechen; sie nickte ihm freundlich zu, und er blieb plötzlich stehen und küßte ihr die Hand. Sie blickte ihm voller Erstaunen nach und strich sich über die Hand.

„Brr!“ sagte sie; „der schreckliche Bart!“

Gegen Abend schafften Leute ein Bierfaß in die Wohnung Bandmüller’s, der am Flußufer wohnte. Später sammelten sich in derselben nach und nach wohl fünfzehn Männer, lauter bekannte Gesichter aus der Seyboldt’schen Fabrik; auch Sebulon Trimpop

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_206.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)