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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


kam, aber ohne seinen Collegen, den langen Abraham. Es ging laut und lustig zu in dem kleinen Raume; die hell erleuchteten Fenster flammten im Wiederschein des Wassers drunten; rauhe Kehlen sangen bis über die Mitternacht hinaus, und als eine taumelnde Gestalt nach der andern auf die Straße trat, um den letzten Rest von Besinnung nach Hause zu tragen, blieb nur Einer noch übrig, um sich die Hände zu reiben und verschmitzt zu lächeln – der Fabrikleiter Bandmüller.




13.


Der Sonnabend vor St. Kilian war herangekommen und die Aufregung in der Stadt eine fieberhafte.

Die eine Hälfte der Arbeiter feierte und füllte die Wirthshäuser und Straßen in und vor der Stadt; die andere war beschäftigt, aber nicht in Fabriken oder Werkstätten, sondern daheim, bei der alten Balkenbrücke am menschenbesäeten Rauhenfelde, endlich auf der Kiefernlichtung mit dem pinienartig gewachsenen, weithin sichtbaren Riesenstamme in der Mitte. Diese lag auf dem Berge über’m Flusse drüben, und die Union ließ sie durch Plankenverschläge einzäunen. In der Stadt hatte die Volkspartei mit Bekränzung und Beflaggung der Häuser, mit Vorbereitungen auf eine Illumination, mit Vervollständigung der Rüstungen zu thun. Die Absicht, Tag’s darauf loszuschlagen, wurde von Unvorsichtigen bereits mit einiger Dreistigkeit zur Schau getragen, und die Anfragen dieserhalb bei den Häuptern der Partei, soweit dieselben das Festcomité bildeten, mehrten sich zu deren größter Beunruhigung. Es kam selbst eine vertrauliche Anfrage aus dem braunen Cabinet im Rathhause, in dem das Oberhaupt der Stadt Audienz ertheilte, und Karl Hornemann ließ sich einen Weg dorthin nicht verdrießen, um beschwichtigende Erklärungen abzugeben. Der Triumphbogen war ziemlich fertig; durch die sechs grünbewundenen Säulenpaare drängten die Neugierigen; auf den großen Feuerleitern hantierten noch ein paar Leute mit Guirlanden und Flaggen, welch letztere, wie die meisten Fahnen, welche in der Stadt auf die Straße niederhingen, die verpönten schwarz-roth-goldenen Farben zeigten, zum Aerger Donner’s, der sich mehrmals auf dem Rauhenfelde blicken ließ. Auch die Brücke wurde in wirkungsvoller Weise decorirt.

Ein kecker, rauflustiger Geist beseelte die Masse. Derbe Witzworte, welche weithin belacht wurden, Drohungen gegen mißliebige Personen, namentlich gegen anwesende Polizeibeamte, laut erschallende revolutionäre Gassenhauer belebten das bunte Bild. In der Kleidung der Menge waltete die blaue Blouse entschieden vor; Frauen zeigten sich verhältnißmäßig wenige.

Zuweilen ließ sich einer der Führer sehen; man machte ihnen respectvoll Platz, während ein endloses „Hurrah!“ die Luft erzittern ließ. In solchen Momenten bekam man eine Ahnung von der Summe der Kraft, welche sich hier zusammendrängte. Dieser Menschenhaufe in ameisenartiger Erregung und größter Einmüthigkeit in der äußeren Haltung machte einen beklemmenden Eindruck.

Bei den Vorbereitungen der Union auf dem Berge ging es weniger lebhaft zu. Man zimmerte, rammte Pfähle ein, überspannte Zelte, richtete Kletterbäume auf mit Nadelgrün, Bändern und einem Allerlei von Geschenken auf der Spitze, kurz, bereitete auf's Vollständigste alle Requisiten vor, welche erforderlich sind, um einem Volksfeste die rechte Würze zu geben. Im Hintergrunde war man sogar im Begriffe, die Bestandtheile eines Caroussels zu vereinigen; die abgegriffenen Pferdeköpfe mit den kläglich blickenden Lackaugen ragten mumienhaft unter buntfarbigen Draperien hervor. Hier und da standen Pechtonnen, bestimmt, das Feuerwerk zu verstärken, mit welchem man die Illumination der Volkspartei zu übertrumpfen beschlossen hatte. Flatternde Fahnen, Wimpel, Bänder trugen durchaus das preußische Schwarz-Weiß. Der gewaltige Plankenzaun ging seiner Vollendung entgegen; in einer fertigen Ecke lagerten Fässer und Kisten mit Lebensmitteln in mächtigem Haufen.

Das Clublocal der Union glich einem Taubenschlage; einen sonderlich siegesgewissen Eindruck machten die Gesichter der Aus- und Eingehenden keineswegs, wohl aber lagerten auf mancher Stirn schwere Sorgenwolken. Es war nicht der Einzug des Abgeordneten, der die Stirnen kraus zog und die harten, trüben, giftigen Worte hervorlockte, – es war das Medusenhaupt der Revolution, das seine Schlangen schüttelte.

In allem dem wilden unruhigen Treiben bewegte sich still und feierlich wie ein sinniges Kinderspiel die Sorge um den heiligen Kilian. Der Sacristan stäubte in der Kirche den Purpur-Baldachin aus, unter welchem der hochwürdige Dechant mit dem Allerheiligsten ziehen sollte, und putzte Geräthschaften blank, und die Mütter nähten und bügelten die weißen Kleidchen und suchten die Lockenwickel für die Kleinen, welche mit pochenden Kinderherzen der Herrlichkeit des Kilian’s-Tages gedachten und die Lieder zu Ehren des Schutzpatrons probirten.

Selig sind die Kinder! Aber die Freiheit ist ein Lorbeerreis für Sieger, und der Kampf braucht Männer.

Die Sonne stand bereits tief am westlichen Himmel, über einem blau-schwarzen Streifen Gewölk, welcher den Horizont wie mit einer Mauer besetzte. Durch die schon abgekühlten Straßen schritt Urban, die Lippen zusammengepreßt und die Augen von trotziger Entschlossenheit leuchtend. Seine Stunde war nicht ferne mehr; das Terrain war von nun ab ziemlich frei für ihn, denn die übrigen Großmächte des Wiedenhofes saßen in drei Karossen und fuhren die Chaussee hinauf, um dem Erwarteten entgegenzufahren und erst am nächsten Morgen zugleich mit demselben zurückzukehren. Unter diesen Großmächten befand sich diejenige, welche er am meisten fürchtete: Karl Hornemann.

Er hatte die Boten aus dem Rauhenfelde abgefertigt, und war im Begriffe, Bandmüller aufzusuchen, den er auf die Chaussee, in die Nähe der Schmiede, bestellt hatte.

„Nun?“ fragte er, als er ihn an der bezeichneten Stelle mit ingrimmigem Gesichte antraf, „was giebt’s? Sie sehen ja aus, als wollten Sie Jemandem den Hals umdrehen.“

„Privatangelegenheiten,“ war die durch die Zähne gegebene Erwiderung. Der Zornige besann sich indessen eines Besseren und fügte mit bitterem Lachen hinzu: „Ich habe vorhin eine kleine Auseinandersetzung mit dem Commerzienrath gehabt. Ich hatte neulich die unterthänigste Frechheit, ihm eine Bitte vorzutragen, nicht ohne daß ich ihm eine Gegenleistung anbot – damals vertröstete er mich in hoffnungerweckender Weise – und heute schlägt er mir Alles rundweg ab; ich mag nicht sagen, wie! Wenn ich diese Rechnung mit dem heimtückischen Schleicher ausgleichen werde, dann gnade ihm Gott!“ Er stieß mit dem Fuße einen Stein fort, daß er weit über die Chaussee hinflog.

„Seien Sie nicht so heftig!“ sagte Urban. „Uebrigens bin ich auch der Ansicht, daß das einzig Gute an ihm seine Tochter ist,“ scherzte er.

„Sie ist vorhin hier vorbeigefahren,“ meinte Bandmüller; „der Alte hat sie der Vorsicht halber auf’s Land geschickt, damit morgen ihre Nerven nicht in Gefahr kommen.“

„Wohin denn?“

„In die Erlenfuhrt. Hornemann’s Schwester wohnt seit einiger Zeit dort.“

Urban ließ die Augen unruhig über den Fluß schweifen bis auf den Berg hinauf, wo die schwarz-weißen Fahnen der Union flatterten.

„Bandmüller,“ sagte er, „Sie können mir einen Gefallen thun. Sorgen Sie, daß die Leute heute mit dem letzten Zuge richtig fortkommen! Hier haben Sie Geld. Ich verspüre eine merkwürdige Lust, einen Spaziergang in die Erlenfuhrt zu machen. Wollen Sie?“

Er reichte dem Fabrikleiter ein paar Goldstücke, welche dieser mit einem mißtrauischen Blick auf den Geber in Empfang nahm.

„Wollen Sie Fräulein Toni besuchen?“

„Nicht sowohl Fräulein Toni wie vielleicht Jemand Anderes.“

„Aha! Nun, was die Eisenbahnsache betrifft, so dürfen Sie sich auf mich verlassen. Ein Hurrah! für morgen!“

Urban ging schnellen Schrittes die Chaussee hinunter, an der Schmiede vorüber und weiter.

Es war nicht das erste Mal, daß er in jüngster Zeit diesen Weg gemacht hatte.

Eines Abends war der kleine Herr Pieper bei ihm eingetreten und hatte ihm ein rosenfarbenes Billet mit einer Empfehlung von Fräulein Seyboldt überreicht. Ohne Anrede und Unterschrift sagte ihm dieses Billet, daß Milli Hornemann, wie sie selbst in einem Briefe angezeigt, gar nicht mehr in der Stadt, sondern bei ihrer Verwandten in der Erlenfuhrt wohne. Schreiberin dieses sei daher vorläufig außer Stande, ihr gegebenes Versprechen zu erfüllen. Seitdem hatte der Doctor trotz der riesigen Anstrengungen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_207.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)