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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

manchen Conflict beschwor. In der gerade für einen derartigen Posten glücklich begabten Natur des Fürsten reichen sich Wohlwollen des Herzens und energische Zähigkeit des Willens die Hand. Der Fürst weiß, wofür er in das deutsche, vielmehr preußische Haus in der Rue de Lille gesetzt worden ist. Die ihm an die Hand gegebenen politischen Gedanken, die Vertretung der Rechte seiner Landsleute finden in ihm einen unermüdlichen Arbeiter, einen thatkräftigen Anwalt. Und bei dieser fast hartnäckigen Verfolgung der Interessen seines Landes hat sich der Fürst in der Pariser Gesellschaft eine Stellung errungen, wie fast keiner seiner Collegen.

„L’Ambassadeur d’Allemagne!“ ruft der Thürsteher in die Säle.

Ein an Gestalt nicht sehr großer, sogar beinahe schmächtiger Mann, in einer etwas nach vorn gebeugten Haltung, tritt in die Säle. Es ist der Fürst Hohenlohe. – Der Herr des Hauses schüttelt ihm nach englischer Sitte die Hand; die Herzogin schwebt mit ihrer bezaubernden Anmuth auf ihn zu. Er grüßt mit einem feinen Lächeln, das über das bleiche Gesicht fliegt, und die dunklen, glänzenden Augen gehen forschend im Kreise umher. Nach dem ersten Eindrucke erscheint Fürst Hohenlohe eine passive Natur – die Activität ist um ihn herum, in dem Kreise, der sich in einem Nu um ihn gebildet hat. Aber er läßt sich nicht bannen; er steuert auf die Ziele des Abends zu, auf die Leute, die ihm heute zu sprechen vielleicht gerade nöthig sind. Ist es Léon Say, einer seiner diplomatischen Collegen; ist es der Präfect von Paris; ist es der Kriegsminister, oder Emile de Girardin; ist es am Ende gar der päpstliche Nuntius? Der Vertreter Seiner Heiligkeit scheint übrigens noch nicht anwesend zu sein. Da erschallt die Stimme des Thürstehers:

Le nonce (Der Nuntius)!“

Die großen Flügelthüren öffnen sich, und herein schwebt mit einem Honiglächeln in den Mienen Monseigneur Meglia. Er ist kein Theateritaliener mit gelbem Teint und schwarzen, hohlen Augen. Man sieht in ihm eine lange, hagere, trockene Figur, mit einer Brille vor den etwas matten Augen. Er könnte sehr wohl Canzleirath in einer kleinen deutschen Gerichtsstadt sein, heirathsfähige Töchter haben und jeden Abend zum Bier und Taroc gehen.

Um keinen anderen Mann in der Gesellschaft drängen sich die Damen so sehr, wie um ihn, den Botschafter des Pontifex, den Mann in der schwarzen, violett geränderten Soutane, mit den violetten Strümpfen und den Sternen auf der Brust. Junge und Alte, Schöne und Häßliche machen ihm den Hof. Dem Nuntius nähert sich ein älterer Herr; man sagte mir, daß es ein „Senateur“ sei; er zog Monseigneur Meglia bei Seite und sagte ihm, auf Hohenlohe bezüglich:

„Lassen Sie sich von ihm, Monseigneur, nicht auf das Eis führen! Sie wissen, er ist ein feiner Kopf und hat eine große Ueberredungsgabe.“

„Wer ist dieser Mann?“ hörte man um sich oftmals fragen, und dabei richteten sich die Blicke auf einen Herrn, der in einfachem schwarzem Fracke mit weißer Binde ohne jedes Abzeichen, mitten in einer Wolke von Tüll, Seide und Fächern saß. „Es ist der preußische Minister, Herr Delbrück.“ Aber im Nu waren ein Dutzend Lorgnetten auf diese Moltke-Physiognomie in Civil gerichtet, um das Wunder des Abends sich genauer anzusehen. Delbrück war kurz vorher in Paris eingetroffen; die Journale hatten seine Ankunft angezeigt, ihn mit ihrer Aufmerksamkeit geradezu verfolgt; jeden Morgen und Abend meldeten sie ihren Lesern, wo Delbrück gewesen, gegessen, was er gesehen, gesprochen hatte, und das Diner, das diesem Empfangsabend vorhergegangen, war gleichsam ihm zu Ehren veranstaltet. Unsern Minister hatte ich schon oft gesehen, die Königin von Spanien, Isabella von Bourbon aber noch nicht. Sie betrat eben an dem Arme des Herzogs Decazes die Salons. Ich sah eine sehr corpulente, sehr mühsam gehende Frau, die in ein wunderbares Gemisch von Himmelblau und Violett gekleidet war. Diese Fülle von Leibesgestalt absorbirte zwei Blicke auf einmal; der dritte wurde durch die Züge des Gesichts gefesselt. Dieselben besitzen noch eine gewisse Frische; die Augen sind dunkel und funkeln noch mit allem Feuer der Jugend. Spaniens stolze Königin würde man in ihr allerdings nicht vermuthen. Wäre sie mir in einem stillen Thale ohne Diamanten und Spitzen begegnet, würde ich sie nach ihrem Gebahren, nach ihrem Grüßen und Sprechen und ihrem Interesse für die einzelnen Persönlichkeiten für eine recht wohlwollende, freundliche Frau gehalten haben, die sich gern amüsirt und auch Freude an der Freude Anderer hat. Sie erschien in der Gesellschaft stets allein, nur von der sehr schönen jungen Frau eines ihrer Verwandten, der Prinzessin Louise von Bourbon geb. Hamel, einer Amerikanerin, begleitet. Dann war ihr Hofstaat um sie, der allerdings aussah, als ob die einzelnen Persönlichkeiten dem Zeichner Doré zu den grotesken Figuren aus Aschenbrödel als Modelle gesessen hätten.

Der König, Isabellens Gemahl, kam nie in die Gesellschaft; er bewohnt jetzt noch ein eigenes kleines Hôtel. Die Königin sah er nie, nur die Infantinnen kamen jeden Tag zu ihm. Von fürstlichen Persönlichkeiten war an diesem Abende nur noch der zweite Sohn Louis Philipp’s, der Herzog von Nemours, anwesend mit seiner Tochter, der Prinzessin Blanche. Wenn man das Bild des so jovialen und schlauen Bearners, Heinrich’s des Vierten kennt, dann braucht man den Herzog von Nemours nicht erst zu portraitiren – er ist Heinrich der Vierte im Fracke, das heißt dem Aeußern nach. An keiner von allen hier anwesenden Persönlichkeiten markirten sich die Wandlungen, die Katastrophen, die Frankreich seit 1848 erfahren, in so gegenständlicher Weise, wie an ihm. Seine Jugend verbrachte er als Königssohn drüben im Tuilerien-Schlosse, das nun in Trümmern liegt; vor zweiundzwanzig Jahren waren er und die Seinen vom vaterländischen Boden verbannt worden, und nun ist er als Bürger Frankreichs in dem nivellirenden schwarzen Gesellschaftskleide wie jeder Andere hier, dessen Wiege vielleicht in einer ärmlichen Hütte gestanden hatte, der Gast des Ministers der Republik. Klingt das nicht fast wie der Anfang eines Märchens? Aber Märchen wollte ich nicht erzählen – nur einen Abend beim Herzoge Decazes schildern.

Georg Horn.



Ausflug nach dem Monde.

Kaum ein anderer Gegenstand der populären Astronomie hat die Phantasie der Erdenkinder so oft und nachhaltig beschäftigt, wie die allerdings naheliegende Frage, wie es sich wohl auf dem Monde, unserm nächsten Nachbar im Weltall, leben möchte, ob auf ihm eine von der unserigen ganz verschiedene Menschen-, Thier- und Pflanzenwelt heimisch sei, oder ob seine lichten Berge und schattigen Thäler vielleicht den von der Erde abgeschiedenen Seelen zum Aufenthaltsorte angewiesen seien, entweder allen insgemein, oder nur denen der ungetauften Kinder, wie das Mittelalter fabelte? Die meisten verständigen Menschen hielten sich eben von jeher zu der Annahme berechtigt, daß unsere Nachbarwelt der Erde im Großen und Ganzen sehr ähnlich sei und daß die Mondflecken, mit deren Deutung sich die Völkerphantasie so eingehend beschäftigt hat, von Terrain-Verschiedenheiten herrühren und nicht ein Spiegelbild der Erde vorstellen, wie einzelne Griechen und Indier gemeint haben.

Bei der Unmöglichkeit einer genaueren Untersuchung und dem Mangel an directen Nachrichten hat sich diese Lieblingsrichtung der menschlichen Phantasie, der in schönen Vollmonds-Frühlingsnächten kaum irgend ein beschauliches Gemüth entgeht, schon früh in sehnsüchtig schwärmerischen Dichtungen, in romantischen Reisen nach dem Monde Luft gemacht, wobei selbstverständlich Luna als ideale Welt unsere Welt der Wirklichkeit und des Jammers weit überstrahlen und tief in den Schatten stellen muß, was dann naturgemäß zur humoristischen Behandlung und zur Satire führte. Die phantastisch-satirischen „Mondreisen“ bilden daher eine besondere poetische Gattung der Weltliteratur, und wahrhaftig nicht die schlechteste. Welche Reihenfolge abenteuerlicher Weltraumsfahrten, von jener „Mondreise“ in den „wahren GeschichtenLucian’s an bis zu den jetzt so beliebten, aber nichts weniger als classischen Weltallsreisen von Julius Verne, die nur einem ziemich verdorbenen Geschmacke genügen können!

In der großen Zeit der Wiedergeburt aller Künste und Wissenschaften, die man kurzweg Renaissance nennt, wurden diese

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_231.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2019)