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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Wissenschaft zu ergänzen, kurz ein Bild zu vollenden, von welchem die Philosophen sagen würden, es existire nicht, weil es sich auf keinem Augengrunde abmalt. Unter der sicheren Führung unserer Gewährsmänner ersteigen wir den steilen Abhang eines der größern, in der Nähe der Mondmitte gelegenen Wallkrater, z. B. des Copernikus, wozu wir, nebenbei bemerkt, eine sechsmal geringere Muskelanstrengung nöthig haben würden, als auf der Erde, weil unser Gewicht dort ein soviel mal kleineres sein würde. Der Tag auf dem Monde dauert dreihundertvierundfünfzig Stunden und die Nacht ebenso lange. Ohne vorausgehende Dämmerung, nur durch den Schimmer des Thierkreislichtes verkündet, ohne Morgenröthe und Vergoldung der Berggipfel erhebt sich die Sonne langsam über den durch die stärkere Krümmung der Mondoberfläche beschränkteren Horizont, ein aus finsterer Umgebung auftauchendes, blendendes Licht vom ersten Augenblicke an ausstrahlend. Neunundzwanzigmal langsamer als bei uns, steigt die Strahlenscheibe über den Horizont empor; äußerst langsam verkürzen sich die weithin geworfenen Schatten der Bergspitzen und Krater. Und wie die Sonne an einem schwarzen Himmel strahlt, so erscheinen auch diese Schatten pechschwarz; mit dem blauen Reflexlichte unseres Himmelsgewölbes fehlt auch das zerstreute Licht, welches bei uns die Schatten mildert. Ueberall, wohin wir sehen, stehen Licht und Schatten in schroffem Gegensatze neben einander; es fehlen eben jene sanften Uebergangstöne der Atmosphäre[WS 1], mit denen sie Nacht und Morgen, Abend und Nacht, Licht und Schatten vermittelt, indem sie mit prachtvollen Brechungs- und Aufsaugungsfarben die irdische Landschaft verschönt. Es fehlt jener milde blaue Schleier, den sie bei uns über die Fernen und Tiefen und über den Abgrund des Weltalls selbst breitet, der lachende blaue Himmel mit den weißen Wolken. Jede Einzelheit der Ferne auf dem Monde selbst, wie im weiten Weltall, ist dort schon bei Tage deutlich erkennbar.

Wie Stunde auf Stunde verrinnt, erreichen die Sonnenstrahlen in langsamer Folge Gipfel auf Gipfel unsres Ringgebirges, bis endlich der Kreis geschlossen ist und der ungeheure Kraterrand von zwölf deutschen Meilen Durchmesser als silberglänzender Reif den dunklen Abgrund umfaßt. Allmählich erreicht das Licht auch die etwas niedrigeren Gipfel der Centralkegel, die, dem Vesuv in der Somma vergleichbar, sich inmitten des vulcanischen Walles erhoben haben. Die meisten Mondkrater zeigen, beiläufig bemerkt, diese also nicht blos den Erdkratern eigenthümliche Bildung, die sich aus der Abnahme der vulcanischen Thätigkeiten erklärt, und ein Blick aus der Vogelperspective auf den Vesuv und seine vulcanische Umgebung zeigt uns ein den Mondlandschaften sehr ähnliches Miniaturgemälde. Wenn wir nunmehr im Hinblick darauf, daß die Aussicht von einem niedrigeren Punkte verhältnißmäßig beschränkter sein würde, als auf der Erde, auf unsern hochgelegenen Mond-Aussichts-Punkt zurückkehren, und den Blick rückwärts nach der sonnenbeschienenen Seite des Kosmoramas wenden, so überschauen wir eine wilde Gegend der großartigsten vulcanischen Verwüstung. Krater an Krater bis hinunter zu einem Durchmesser von einer englischen Meile häufen sich in zahlloser Menge, so daß die Oberfläche, soweit wir sie überschauen können, aussieht, als wäre sie von ihnen ganz überschäumt. Dicht hinter uns drängt sich, ebenfalls schwarze Schatten werfend, Fels an Fels und Abgrund an Abgrund; wir sehen klaffende Risse von grausiger Tiefe und Schwärze, unterbrochen von Kratern, thurmartigen Zinnen und Haufen von Schlacken und bunten vulcanischen Trümmern. Keine Spur von vergangenem organischem Leben! Kein Haidekraut oder Moos mildert die scharfen Kanten und harten Flächen; kein Ueberzug kryptogamischer oder flechtenartiger Vegetation verleiht der harten, ausgebrannten Fläche eine Lebensfarbe. So weit wir die Landschaft übersehen, ist sie die Verwirklichung eines schrecklichen Traumes von Einöde und Leblosigkeit.

Dazu dieses ununterbrochene Schweigen, in welchem sich meilenweite Schlünde öffnen könnten, ohne daß wir bei dem Fehlen des den Ton vermittelnden Elementes etwas davon vernehmen würden, Ueberall, wohin wir den Blick des Geistes wenden, ein entsetzliches, selbst in den größten Fernen durch keine Luftperspective gemildertes Licht neben pechschwarzen Schatten. Selbst der Himmel ist tiefschwarz, und neben der Sonne sind die meisten Planeten, die Fixsterne in den uns bekannten, nur wenig veränderten Stellungen sichtbar, aber ohne zu funkeln, wie bei uns. Unabänderlich in der Mitte des Scheitels oder, wenn wir uns mehr am Rande der unsrer Erde beständig zugewendeten Mondhalbkugel befinden, einen kleinen Kreis um den Himmelsscheitel beschreibend, erscheint die Erde, innerhalb eines Mondtages, der gleich neunundzwanzig Erdtagen ist, ebenso ihr Ansehen ändernd, wie für uns der Mond, jetzt als kolossale Sichel oder als Vollerde erscheinend, dann als Neuerde verschwindend, aber sich dabei neunundzwanzig Mal um sich selber drehend und dem Monde unaufhörlich ein neues Schauspiel darbietend. Ist die Sonne am Ende des langen Mondtages ebenso langsam und ebenso farblos, wie sie kam, hinter den Kraterwänden und Bergzügen versunken, so bietet die Erde ein prachtvolles Schauspiel. In viermal größerem Durchmesser als uns der Mond erscheinend, bietet sie ihm jede Stunde der endlosen Nacht als ungeheure Uhr ein andres Schauspiel, und die Mondlandschaft, wenn sie in ihrem Vollglanze darüber strahlt, mit einer Lichtfülle verklärend, daß wir den Wiederschein derselben oft von der Erde aus gewahren.

Während der Mond, wie ihn die Sonne auch beleuchten mag, dem Erdbewohner immer dasselbe vielbesungene schiefe Gesicht zeigt, bietet die Erde umgekehrt diesem ein immer wechselndes Aussehen. Bald ihm die Pole mit dem Silbermützchen des ewigen Eises, bald die Flanken in beständiger Wandlung zukehrend, wird das Bild von Stunde zu Stunde ein anderes; niemals gleicht eine Vollerde der vorigen noch der nachfolgenden, und noch weniger gleichen sich die beiden Viertel. Wahrscheinlich ist dieses Bild ein farbiges, sofern die Meere blaßblaugrün, die Continente verschiedenfarbig erscheinen möchten. Außerdem wechselt das Bild mit den Jahreszeiten; der polarische Eisgürtel erweitert sich oder zieht sich zusammen, und wenn nicht ein schwacher Farbenton, so doch verminderte Lichthelle unterscheidet eine Erdzone in ihrer Sommerpracht von ihrem Winterbilde. Häufig, wenn Wolken sich über ganze Erdkreise wälzen, verschwindet alle Zeichnung unter einem blendenden Nebelschimmer. Schwerlich wird dieser strahlende Schein im Stande sein, die grausige Kälte der langen Mondnacht erheblich zu mindern. Vielleicht mehr als hundert Celsiusgrade unter den Nullpunkt hinabsinkend, steigt die Temperatur an dem darauf folgenden Tage, während seines dreihundertfünfzigstündigen Sonnenscheins, vielleicht zu einem Grade, bei welchem Blei und Wismuth schmelzen würde, und dieser starke Wechsel hat vielleicht den hervorragendsten Antheil an den Sprüngen und etwaigen Veränderungen auf dem Monde, wie man sie beobachtet haben will, ohne indessen dieses Umstandes völlig sicher zu sein.

Unter allen Naturschauspielen, die einem auf den Mond verzauberten Beobachter die Oede seiner Umgebung vergessen lassen könnten, würde dasjenige einer totalen Sonnenfinsterniß, die auf der Erde als Mondfinsterniß gesehen wird, das großartigste sein. Wenn die Sonne hinter die Erde tritt, wird sie deren riesige schwarze Kugel, je nach dem Feuchtigkeitsgehalte der Luft, mit einem mehr oder weniger brillanten, goldgelben bis düsterpurpurrothen Heiligenscheine umgeben, wahrscheinlich in diesen Farben abwechselnd flammend, als ob sie mit Gold und Rubinen eingefaßt wäre. Diese Erscheinung, welche dann ausnahmsweise auch die Mondlandschaft einmal mit farbigem Lichte überfluthet, wird während der langen Dauer dieser Finsternisse bestimmte Phasen darbieten, sofern der Lichtkranz da am hellsten sein wird, wo die Sonne hinter der Erde eben verschwunden ist oder hervortreten will. Die Verfasser haben versucht, ihren Lesern dieses Schauspiel, dessen Eintritt man zuweilen von der Erde aus in dem stark röthlichen Schimmer des verfinsterten Mondes erkannt hat, in einer Farbentafel vorzuführen, und meinen, trotz der Schönheit derselben, daß das Gemälde weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben möchte. Es ist, wenn man will, eine von der Erde bis zum Monde geworfene Morgen- und Abendröthe, ein Alpenglühen, für welches die Mondberge unsrer Atmosphäre verpflichtet sind. Sehr viel unbedeutender würde der Anblick einer Sonnenfinsterniß der Erde vom Monde aus sein. Ueber die erleuchtete mächtige Silberscheibe der Vollerde eilt alsdann ein runder schwarzer, mit einem Halbschatten umgebener Nachtflecken rasch dahin. Da der lange Schattenpinsel, welcher diesen Flecken über die Erde führt, nach Kepler den eilig zu benützenden Steg darstellt, auf welchem Mondtouristen wieder auf ihre heimathliche Erde zurück gelangen können, so rufen wir dem Monde ein schnelles Lebewohl zu und empfehlen uns plötzlichst.

Carus Sterne.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Atmospäre
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_235.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)