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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


eines Hoffräuleins der Markgrafin, jener Albertine von Marwitz, später verheiratheten Gräfin Burghaus, die von ihrer Gebieterin so sehr geliebt wurde und die derselben zum Lohne für diese ihre Liebe das Herz ihres Gemahls raubte. Rings um das Zimmer läuft eine Galerie sehr schöner weiblicher Portraits von den berühmtesten Meistern jener Zeit. Es sind die Bildnisse von fürstlichen Zeitgenossinnen der Markgräfin; auch die ihrer schönen Schwestern sind darunter. Eigenthümlich ist es, daß so wenige Portraits der Markgräfin selbst existiren – d. h. aus ihrer späteren Zeit. Aus ihrer Kindheit und Jugend hat man deren mehrere im Charlottenburger und Berliner Schlosse. Man kennt von ihr als Markgräfin im Grunde nur ein Bild, das in mehreren Copien existirt – eines in der ersten rothen Vorkammer des Schlosses in Berlin. Das ist jedenfalls aber nicht das Original. Dieses befindet sich in einem der Räume des früheren Sommerschlosses bei Bayreuth auf dem sogenannten „Brandenburger“ in dem Leers’schen Kinderstifte. Die „Gartenlaube“ ist das einzige Journal, welches dieses Bild reproducirt hat (Jahrgang 1856, Nr. 28). Die Markgräfin ist in Lebensgröße und lesend abgebildet; sie trägt eine Art Eremitenkleid, eine schwarze Robe mit langem Kragen, die mit hochrothen Schleifen geschmückt ist. Auf ihren Knieen ruht ein Bologneserhund; in der rechten Hand, die des Pinsels eines Carlo Dolce würdig wäre, hält sie ein Buch; der Ellbogen des linken Armes ist auf den mit Büchern bedeckten Schreibtisch gestützt. In der Hand ruht das schöne denkende Haupt, von dessen äußerem Umfange man kaum glauben möchte, daß ein so reicher Schatz von Gedanken darin wohnen konnte. Das große tiefblaue Auge blickt ernst, klar und heiter. Diese zarte Haut, unter der das Astgewebe der Adern sich hinschlängelt, frischte im Volke die Sage von der schönen Augsburgerin auf, durch deren Hals man den Strom des rothen Weines fließen sah. Es liegt Ruhe in diesem Antlitz voll lieblicher Schönheit, nicht jene kalte, todte Ruhe, die aus Verzagen abgeschlossen hat mit dem Fühlen, mit dem Kämpfen des Lebens, nein, eine Ruhe, die sich im Gefühle einer höhern Wesenheit aus schweren Kämpfen emporgerungen hat, eine Ruhe voll Leben und Seele, höher fühlend als die übrige Welt, aber für sie fühlend, ihren Schmerz, ihre Freuden mit empfindend. Wer ahnte in dieser Ruhe Kampf, heißen, wogenden Kampf, von dem dieses Herz entbrannt war, als Liebe und Entsagung gebietend gegen einander auftraten! Der Markgraf, ihr Gemahl, war ihr geistig nicht gewachsen. Er war ein hübscher, wenn auch nicht sehr vornehm aussehender Mann, ein Stück Natursohn. Aber gerade dieser Gegensatz erklärt ihre Liebe zu ihm, die ihr so manche Stunde verbittern sollte. Nebenan jenes kleine braune Gemach mit den erhabenen Blumen auf braunem Lack ist der Ort, wohin die beleidigte Gattin flüchtete, wenn die Wunden zu bluten anfingen. Hier fand sie Trost in den Werken der Dichter und Weisen, die sie umgaben, Trost in der Aufzeichnung ihrer Lebensschicksale, den berühmten Memoiren. „Hier ist es,“ schreibt sie aus diesem Raume, „wo ich diese Memoiren schreibe und viele Stunden mit meinen Betrachtungen hinbringe.“

Von den Zimmern der Markgräfin aus erblickt man zur Rechten im Gebüsche zwei Bauwerke, ein steinernes Theater mit offener Scene und eine einsam stehende hohe und schmale Wand mit antiker Säulenverzierung. Es ist ein Denkmal, das die Markgräfin ihrem Lieblingshunde hatte errichten lassen. In dem Briefwechsel mit ihrem Bruder, dem Könige, befinden sich als jeux d'esprit, als Erzeugnisse übermüthiger Laune, Briefe, welchc die Lieblingsthiere der Markgräfin aus Bayreuth an die Windhundexcellenzen in Sanssouci schrieben. Unter diesem römisch antiken Gemäuer ruht einer derselben. An der Vorderseite des Theaters sind an einer Stelle die Worte in den Stein gehauen: „Albertine de Marwitz mieux gravée dans mon coeur que sur cette pierre.“ Jedenfalls ist dieses Geständnis der Erguß eines liebeentbrannten Pagenherzens oder die berechnete Schmeichelei eines Höflings. Aber daß so etwas unter den Augen der Markgräfin geschehen konnte, geschehen durfte, das beweist, bis zu welchem Grade die ebenso schöne wie kecke Märkerin Macht über die Sinne des Markgrafen gewonnen hatte. Aus der Chronik des Hofes ist ein Factum bekannt geworden, welches ihr Wesen am deutlichsten portraitiren möchte. Der Onkel des Markgrafen Friedrich, später dessen Nachfolger, Prinz Friedrich Christian, war aus Altona, wo er in dänischen Diensten stand, nach Bayreuth gekommen. Zur Mittagstafel nach der Eremitage eingeladen, ertrug er manche Extravaganzen der Marwitz mit verbissenem Grimme. Zuletzt ging sie in ihrem kecken Uebermuthe so weit, ihm über die Tafel zuzurufen: „Prinz, sing’ man mir mal Eens!“ Im Zorn sprang der Angeredete von der Tafel auf. „Was unterstehst Du Dich?“ rief er ihr mit einem derben Schimpfworte zu. „Ich bin jeder Zeit Prinz von Brandenburg. Ich will aber Bayreuth nicht wieder sehen.“ Mit diesen Worten verließ er den Saal und kam nicht eher wieder nach Bayreuth, als bis er nach dem Tode seines Vorgängers als regierender Fürst die Huldigung des Landes empfing.

Die glänzendste Zeit hatte die Eremitage wohl in jenen Augusttagen des Jahres 1743 gesehen, wo Friedrich der Zweite und Voltaire dort weilten. In dem Buche „Voltaire und die Markgräfin von Bayreuth“ von Georg Horn ist ein Mehreres über die politische und literarische Tragweite dieses Besuches des großen Königs in den fränkischen Fürstenthümern gesagt. Unten am Fuße des Hügels verbarg sich unter hochragenden Bäumen eine Einsiedelei – sie stellte die Ruinen eines den Musen geweihten Tempels dar. Innerhalb desselben war ein Gemach mit Majoliken, ein anderes mit den Bildnissen der berühmtesten Philosophen. Wie mag „Frère Voltaire“, wie er sich in Erinnerung an die Eremitage in den Briefen an die Markgräfin oft selbst zu nennen beliebte, wie mag er geschmunzelt haben, als er hier sein Bild neben den Portraits Newton’s, Leibnitz’s, Loke’s, Bayle’s entdeckte! Die Ruinen der Einsiedelei stehen noch, aber Majoliken und Bilder sind daraus verschwunden. Auch Theater wurde bei diesem Besuche gespielt und zwar in jenem offenen steinernen Bau. Unter hohen, rauschenden Bäumen ertönten die Verse aus „Mort de César“; unter den Acteurs waren der Dichter, die Markgräfin und Prinz August Wilhelm von Preußen.

Daß die Markgräfin nicht nur verstand geistreiche Briefe zu schreiben, Madrigaux zu machen, daß sie auch in Stein zu dichten verstand, davon zeugt ein nach ihrer Idee und unter ihrer Aufsicht errichtetes Gebäude unterhalb des Schlosses. Dasselbe bildet einen offenen Halbkreis, dessen Mitte ein Pavillon in Form einer Kuppelrotunde durchschneidet. Das Vorbild hierfür ist in jener berühmten Rotunde von Sanssouci zu suchen, deren Form und Ausschmückung der Markgräfin bei ihrem Entwurfe jedenfalls vorgeschwebt hat. Die beiden Flügel bilden offene Arcaden, hinter denen die Gemächer liegen. Die Außenseite des ganzen Gebäudes ist nach einer gewissen Ordnung mit weißen, blauen und rothen Kieseln von der Größe eines Taubeneies bedeckt, die in den Kalk eingedrückt sind. Man denke sich an einem sonnenglänzenden Sommerabend die wunderbare Farbenpracht, die aus diesen bunten Prismen über das ganze Gebäude fluthet. Die schillernden Farben der springenden, rauschenden und glitzernden Wasser, die den steinernen Leibern der Götter und Ungethüme aus dem weiten Bassin entsteigen, und inmitten dieser Umgebung hoher Rüstern und Ulmen, unter blühenden Orangenbäumen, deren die Eremitage siebenhundert hatte, die Gesellschaft des Hofes mit ihren schwerseidenen, rauschenden, schleppenden Gewändern, ihren graziösen Formen und ihrem Kreuzfeuer von Witz und Coquetterie – und man hat ein Bild von Eremitage aus dieser Zeit, der glänzendsten, welche das Schloß je gesehen hat.

Dreißig Jahre später – wie einsam dieser Lust- und Freudenort! Die Statuen und Urnen überzogen sich mit Moos; die kunstvollen Wege verwandelten sich in Wildnisse; die Grotten versanken; die künstlichen Ruinen wurden wirkliche – überall das Schweigen, die Ruhe des Verfalls. Dann wurden eines Tages im Frühling des Jahres 1793 Thüren und Fenster weit geöffnet, um das Sonnenlicht in die verlassenen Gemächer einzulassen, in welchen die Spinngewebe ihre märchenstille Arbeit bereits gethan hatten; die verblichenen Damastmöbeln wurden neu bezogen – und Eremitage wurde wieder in bewohnbaren Zustand versetzt. Der dirigirende Minister Freiherr von Hardenberg hatte sich das Schloß zum Sommersitz gewählt; er hielt daselbst mit seiner Tochter Lucie, der späteren Gräfin Pappenheim und darauf Fürstin Pückler, Hof. Aber mit dem alten politischen Staate war auch der Staat des Lustschlosses dahin. Lucie Hardenberg trug keine Brocatgewänder mehr; die neue Zeit hatte die alte schleppende Pracht mit ihren Fesseln abgestreift. In weißem Mousselin schwebte Lucie auf dem grünen Rasen dahin,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_250.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)