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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Urban zuckte die Achseln. „In ein paar Stunden will ich Ihnen Bescheid sagen. Aber wollen Sie nicht Ihr Lager wieder aufsuchen? Erkältungen sind gegenwärtig gefährlich.“

„Nein, ich kann nicht schlafen. Ich habe einen Traum gehabt, Doctor, einen Traum, grauenerregend, sage ich Ihnen. Es ging ein Gespenst in der Stadt um – die Cholera. Und sie packte mich, Doctor – ich schaudere noch – –“

„Alpdrücken!“ sagte Urban. „Sie haben sich in der letzten Zeit zu sehr aufgeregt, verehrter Herr; Ihr Blut ist in Unordnung gekommen. Nehmen Sie ein Brausepulver, wenn Sie eines im Hause haben!“

„Alpdrücken, natürlich!“ wiederholte zögernd der Commerzienrath. „Uebrigens erinnern Sie sich noch, Doctor, wie ich Sie vor einiger Zeit wegen der Cholera befragte? Sie lachten mich damals aus. Aber ich hatte eine Ahnung, daß sie kommen würde. Eine Geißel Gottes für unsere Sünden nenne ich sie, und als solche erwartete ich sie. Wir haben viel Sünde in unsrer Stadt, viel Auflehnung wider Gott und die Obrigkeit.“ Er starrte eine Weile schweigend in die Leere. „Haben Sie wohl einige Hoffnung, mich zu retten, wenn der Himmel wollte, daß –“

Er sprach nicht aus. Urban erhob sich und ging auf den Zehen hinter die Matte zur Kranken. Toni athmete tief und ruhig, und als er mit leisen Fingern ihr über die Stirn strich, fühlte er, daß sie warm und feucht war. Dann stand er da wie Einer, der rasch etwas überlegt, und kehrte endlich zu dem Alten zurück, dessen Hände ruhelos das rothe Taschentuch knitterten.

„Ich darf wohl Ihre Frage mit einem ‚Ja‘ beantworten,“ sagte er halblaut, ein gewinnendes Lächeln auf den Lippen. „Aber verstehen Sie recht: ich, und nur ich kann dieses ‚Ja‘ sprechen, seit die Narren jenem Karl Hornemann ein Verbot in den Weg gelegt.“

„Ich habe davon gehört –“

„Und ich weiß davon,“ fiel der Arzt ein wenig brüsk ein. „Aber noch etwas: ich werde Ihnen Fräulein Toni retten; ich werde sie dem Tode aus dem Rachen reißen – und – ich möchte sie dann für mich behalten.“ Er sagte das so nachlässig wie ein Fürst, der auf eine Ananas seines Gewächshauses Beschlag legt, und doch, wie groß und stolz sein Auge auf dem überraschten Commerzienrath ruhte! Seine zuckenden Nüstern und der verhaltene Athem straften die erheuchelte Sicherheit Lügen.

„Ich dachte, daß Sie verlobt wären?“

„Ich war nahe daran, es selbst zu glauben,“ versetzte der junge Mann düster. „Aber ich habe mich zu einem bessern Glauben bekehrt, Herr Commerzienrath, denn ich habe vorhin eine Offenbarung gehabt; ich habe eine Blumenknospe sich öffnen sehen und der Duft hauchte mir süß und berauschend das Geständniß zu: ‚Ich liebe Dich.‘ Wissen Sie, was diese Knospe war? Das Herz Ihrer – und wenn Sie wollen: meiner Toni.“

„Sie haben mit ihr gesprochen?“

„In der That.“

„Also sie wird gesund werden? Ich alte, verwitterte Säule werde meinen schlanken, lustigen, jungen Epheu nicht verlieren, Doctor, und Sie sind es, der das Kunststück fertig bringt, ihn mir zu erhalten?“ Wie leise der alte Herr auch flüsterte, man hörte es, wie seine Stimme zitterte. „Aber die Politik, Doctor! Ja, wenn Sie sich entschließen könnten, Gott die Ehre zu geben –“

„Lassen wir die Ehre Gottes aus dem Spiele!“

Der Commerzienrath blinzelte mit den Augen und schlug mit innerer Erregung die Flügel des Schlafrockes über einander. „Ich kann nicht fördern, was die Schrift verbietet. Sagen Sie sich von jenem gottlosen Liberalismus los, der eine Religion ist für diejenigen, welche nichts zu verlieren haben! Ich rathe Ihnen wie ein Vater –“

Urban stand unmuthig auf und ging leisen Schrittes gegen das Fenster hin. Die Augen des Alten folgten ihm mit einiger Aengstlichkeit.

„Wir sprechen noch darüber,“ sagte der junge Mann kurz, aber nicht unfreundlich, als er umgekehrt war. „Vorläufig bitte ich inständig: versuchen Sie noch einmal zu schlafen! Meine kleine Braut wird unruhig und sie bedarf der Ruhe dringend; ich will mein Glück vertheidigen gegen Alles, selbst gegen Sie.“

Er stellte sich breit zwischen Tisch und Wand, und der alte Herr kniff lächelnd die kleinen schwarzen Augen ein und reichte ihm die Hand. Dann schlurfte er hinaus.

Urban sah ihm mit unruhigen Blicken nach. „Ich muß ihm als ihr Retter gelten,“ sagte er in Gedanken. „Und die Arzenei Karl Hornemann's – nun, ich hoffe, daß es zu keiner Probe kommen wird.“ – –

Als er früh in den morgenkühlen Hof trat, stieß er auf Bandmüller, der aus dem Garten kam und große Augen machte, als er seiner ansichtig ward.

„Ich glaubte, Sie wären in Ungnade gefallen. Herr Doctor.“

„Aberglaube, lieber Bandmüller! Sie haben im Gegentheil den muthmaßlichen Erben von Seyboldt und Compagnie vor sich, und ich rathe Ihnen, auf die Kniee zu sinken und mir den Huldigungseid zu schwören,“ war die lächelnde Antwort. „Es hat immer etwas für sich, der ‚erste‘ Unterthan zu sein.“

Der Kopf des Fabrikleiters fuhr empor und seine graugelben Augen funkelten einen Moment häßlich wie Katzenaugen.

„Alle Wetter! – Wie meinen Sie das?“

„Ich habe in dieser Nacht den Lebensretter Toni Seyboldt’s gespielt, und ich habe nur ein letztes Wort zu sprechen, um ihr Bräutigam zu sein.“

„Hm – meinte Bandmüller trocken, „wer das Glück hat, führt die Braut heim. Ich habe Ihnen auch eine Neuigkeit zu melden: die romantische kleine Hexe von Zigeunerin, deren Mutter so menschenfreundliche Absichten mit mir hatte, muß sich vor diesem Stadtende wieder irgendwo angesiedelt haben. Ich bin die letzten Tage öfter die Chaussee hinauf gegangen, und wenn ich in die Gegend der Schmiede kam, hatte ich nie lange zu warten, um sie in Sicht zu bekommen. Nun kommt aber das Beste: ich habe einen leisen Verdacht, daß sie, oder wohl eigentlich ihre männlichen Verwandten mir einen Denkzettel zugedacht haben; wofür, das können Sie sich leicht sagen.“

„Was brachte Sie auf diese Idee?“

„Gestern Abend untersuche ich die Stelle, wo sie damals lagerten, als wir zuerst ihre Bekanntschaft machten. Ich finde nichts, wie ich mich aber umsehe, sitzt sie auf dem Abhange über dem Unterholze. Es war noch nicht dunkel, und ich konnte recht gut den rothen Rock und das Kopftuch erkennen. Ich steuere nun auf das Unterholz zu; mit einem Male steht sie auf und steigt abwärts, aber langsam. Sie hatte mich jedenfalls gesehen, und es fiel mir schon auf, daß sie nicht wie eine angeschossene Gemse heruntersprang; das ist ja sonst ihre Art. Trotzdem betrete ich den Weg, der im Gebüsch hinläuft. Fünfzig Schritt vor mir leuchtet ihr Kopftuch über den Haselnußstauden, und weiterhin werde ich deutlich gewahr, daß sie sich nach mir umsieht und durchaus keine Anstalten zur Flucht macht. Mir war unter diesen Umständen nicht recht geheuer, und ich machte Kehrt.“

„Was fürchten Sie denn von den Zigeunern?“ sagte spöttisch und ungläubig Urban.

„Was weiß ich?“ war die ärgerliche Erwiderung.

„Ich möchte diesen Leuten einigen Dank abtragen,“ meinte der Doctor im Abgehen. „Ich verdanke ihnen mein Leben, und das ist schon immerhin etwas.“

„Erbe von Seyboldt und Compagnie!“ murmelte der Fabrikleiter hinter ihm drein, indem er bedächtig die Spitzen seines Bart-Urwaldes zauste. „Es wird Zeit, daß ich eine Mine springen lasse.




17.


Eine reizende Menschenblüthe, auf welche der Frühreif gefallen, war im Augenblicke gerettet worden, da das letzte Naß in ihr erstarren wollte. Die Krisis war vorüber, und Toni Seyboldt schlief den heißen Sommertag über. Wie oft auch ihr Vater in das Krankenzimmer schlich und sich auf das abgemagerte Gesichtchen niederbog, in dem ein Hauch von Röthe aufging wie das Morgenroth der Genesung, – immer lagen die seidenen, schwarzen Wimpern fest auf die Wangen geschmiegt, und die Brust hob und senkte sich freudlos und leidlos im regelmäßigen Wellenschlage elementaren Lebens. Urban kam gegen Mittag noch einmal an das Krankenbett und gab der Tante, welche den Tag über das oberste Regiment im Krankenzimmer führte, eingehende Vorsichtsmaßregeln. Er war launig und frisch wie lange nicht und reizte die Neugier der Würdigen durch versteckte Anspielungen, welche sie nicht verstand. Der Commerzienrath hatte also ihr gegenüber geschwiegen.

Letzterer war übrigens nicht recht bei Laune heute, trotz des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_311.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)