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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Und wenn es ist, zürnen Sie nicht der Frage, wo für mich Alles, Alles auf dem Spiele steht: ist es das Vergangene, was diesen Entschluß dictirt?“

„Ja!“ sagte sie ruhig.

„Also wäre es dennoch wahr – wäre es möglich – Sie liebten ihn?“

Sie senkte den Kopf und bedeckte einen Moment ihre Augen. „Nun denn – Sie haben mir Ihr ganzes Leben schenken wollen,“ sagte sie dann und blickte ihn ernst an, „ich will so große Gabe vergelten. Was ich keiner Seele gebeichtet, nicht einmal meiner lieben Mutter, lange, o wie lange nicht mir selbst – Sie sollen es erfahren, damit Sie verstehen, weshalb ich einsam bleiben will und muß. In jener Zeit, noch ehe Sie kamen, ahnte ich – mußte ich erkennen, was – – Wie mir dabei zu Muthe war, wüßte ich kaum zu sagen. Ich habe den Vater früh verloren; meine Mutter hat ihn sehr geliebt und füllte meine Seele mit seinem Bilde. So wie den Oberst dachte ich mir als Schulmädchen die Gestalt meines Vaters: hoch über allen Menschen, herrlich, unfehlbar. So erfand ich den Mann allezeit – Keiner reichte je an ihn heran. Diesen nun, der sich in allen Lagen des Lebens so sicher, so unerschütterlich gezeigt, vor mir in tiefster Erschütterung zu sehen, das überwältigte mich. Liebe kam mir dabei nicht in den Sinn – ich hatte mir Liebe und Geliebtwerden so ganz anders gedacht – auch waren Ida’s Augen und die der theuren Frau ja immer neben den seinen. Nur bange ward mir, und ich fand keine Ruhe mehr. An den Abend, der uns Allen verhängnißvoll geworden, denke ich noch heute ohne Furcht und Reue – ich mußte ihm gehorchen, wehrlos wie ein Kind, das gehoben und getragen wird, ohne von eigenem Willen zu wissen. Dann aber, als ich Sie erblickte, den Ausdruck in Ihren Augen sah, nachher Worte von ihm hörte, deren Sinn ich nur zu gut verstand – o Barner! noch heute weiß ich nicht und will auch nicht fragen, was zwischen Euch Männern vorgegangen, aber daß Leben und Tod auf dem Spiele stand, wußte ich so sicher wie daß ich ewig unselig werden müßte, wenn all’ Das eine Folge haben sollte. Gedenken Sie noch der Worte, die Sie hier, an dieser Stelle, zu mir sprachen? Ich begriff Sie, begriff, daß ich mit ihm ringen müsse um sein Leben. Er hat sich überwinden lassen – dafür verlobte ich dem Gedächtnisse dieser Stunde mein eigenes Leben.“

Hermann beugte sich gegen sie vor und sagte bebend: „War das der Preis? Sie mußten ihm versprechen, ewig frei zu bleiben?“

„Nein!“ erwiderte sie und hob den Kopf mit edler Bewegung. „Das würde er weder gefordert noch angenommen haben. Nur ich selbst –“ sie stockte, bis in leisem, erschütterndem Tone die sanfte Stimme weiter klang: „Warum soll ich es leugnen, Ihnen leugnen – seit er meinen Augen entrückt ist, weiß ich, was ich zuvor nicht gewußt. Ja, ich liebe ihn. Von ihm, dem Hohen, Herrlichen, geliebt worden zu sein, ist mir der Gipfel alles Lebens, und ich darf mich diesem Höchsten ohne Schuld ergeben – wir sehen uns niemals wieder.“

„Und so wollen Sie einsam durch das Leben gehen, durch das lange, lange Leben?“ rief Hermann schmerzlich. „Nicht beglücken, noch glücklich sein? Paula, Paula! Dürfen Sie, die Reichbegabte, die Gute, es verantworten, alle Schätze, die Gott Ihnen gab, vergraben ruhen zu lassen, Keinem zu Nutz und Frommen? Auch ihm nicht! Wissen Sie denn, daß er alle diese Stürme überwunden hat, daß sein Leben gegenwärtig reich ausgefüllt ist? Und Sie wollen sich freiwilliger Armuth weihen?“

Ein heller Strahl brach aus ihrem Auge. „Ja!“ sagte sie warm, „ich weiß, daß er sich durch das Stück Nacht, welches ihn bannte, zum Lichte durchgerungen – im Lichte will auch ich gehen, damit er in Stolz und Freude meiner gedenken mag, wie ich sein gedenke. Nichts in mir soll brach liegen, und wenn ich mich zuweilen einsam fühle, so wird es sein, wie man im Tempel einsam ist. Ihr Männer wißt wohl schwerlich, daß es für die Frau nur Eines giebt, durch das sie arm, bettelarm werden müßte; das ist: wenn sie die Treue bräche gegen ihr eigenes Herz. Dieses Gut gewahrt, läßt sich Vieles entbehren. Sind mir wirklich Schätze eigen, so will ich sie in tausend Münzen austheilen an Alle, die mir begegnen; nur den einen Schatz kann ich Keinem geben; Treue muß ich wahren, sonst gehe ich mir selbst verloren. Soll ein großes Geschick nicht zu einem kleinen herabsinken, so muß es sich lebenslang ausklingen dürfen. Daneben bleibt für kein Zweites Raum.“

Hermann sah vor sich nieder. „Ich verstehe Sie,“ sagte er erschüttert nach kurzer Pause, „und Sie haben Recht, weil Sie Paula sind. Bei jeder Andern würde ich solche Entsagung nur als momentane Wahrheit betrachten und die Hoffnung für mich selbst nicht aufgeben. Einem Herzen gleich dem Ihren bringt die Zeit aber keinen Wechsel mit. Ja, ich schaue tief in den Grund dieses entschlossenen Herzens, das um seiner selbst willen festhalten muß, was es so stark erfaßte. Und dennoch – dennoch –“ Er trat einen Schritt zurück und sah sie mit langem Blicke an. „Könnte ich mir nur ein deutliches Bild Ihrer Zukunft zeichnen, sähe ich irgend einen Sonnenstrahl, der auch von außen her auf dieses einsame Leben fallen wird! Daß Sie Ihre Tage fortan nicht müßig hinspinnen, weiß ich ja, was aber werden Sie beginnen, womit die Jahre füllen? Lehrerin von Kindern sein, die Sie gerade dann wieder verlassen müßten, wenn eine Frucht Ihrer Mühen und Sorgen zu ernten wäre? Oder im Hause Verwandter, Befreundeter sich, was man so nennt, nützlich machen? Von Neuem heimathlos, sobald es ein ungünstiger Zufall will? Solche Zukunft, Paula, vermag mein Gedanke nicht zu überwinden – bei dieser Vorstellung taucht mir trotz Allem doch die Möglichkeit auf, daß einmal die Stunde kommen könnte, wo Sie bedauern, keine bleibende Stätte für’s Leben zu haben. Einer Heimath bedürfen wir Alle – die Frau mehr als der Mann.“

„Eine Heimath fehlt mir ja nicht,“ erwiderte sie sanft. „Wir waren stets nur kurze Zeit beisammen, lieber Freund; da ergab sich mir kaum jemals Anlaß, von den abwesenden Gliedern meiner Familie mit Ihnen zu sprechen. Sie wissen nicht, daß mir am Rhein eine Halbschwester lebt, die Tochter meines Vaters, weit älter als ich, eine warme Seele, eine vornehme Natur. Ihr schönes Mädchenbild leuchtet aus den Tagen meiner Kindheit herüber, deren Abgott sie war, bis sie uns verließ. Als mein liebes Mütterchen die Augen schloß, wollte Anna mich sogleich zu sich holen, auch mein Schwager, ein gar freundliches Herz, bot mir das wärmste Willkommen. Ich aber erbat mir, noch ein kurzes Weilchen hier in der Stille trauern zu dürfen, bis die Erinnerung reifer geworden und sich nicht mehr so eigensinnig an äußere Zeichen klammert. Bald ziehe ich dorthin, wo ich gern empfangen und nicht überflüssig bin. Im kinderreichen Hause, im Leben und Weben eines großen Anwesens giebt es für mich freundliche Aufgaben genug, zunächst und künftig.“

Sie hielt einen Augenblick inne, legte die zarten Hände im Schooße übereinander und sann. „Dort besuchen Sie mich vielleicht einmal – nach Jahren,“ sagte sie lächelnd und blickte mit den großen Augen hell zu Hermann auf. „Schon heute kann ich Ihnen sagen, wie Sie es finden werden. Vom grünumrankten Erkerstübchen, wo ich vordem zu Gast gewesen und das mir wieder bestimmt ist, blickt man weit hinaus auf den Rhein, auf Berg und Thal. Dort sitze ich in der Fensternische, an dem alten trautgewöhnten Nähtisch, denn jedes Stück, das mir erinnerungswerth, soll mir folgen. Ueber dem Sopha hängt der lieben Mutter Bild, mit dem Kranz von Erika umgeben, welche auf jenen Höhen so üppig wuchert wie hier und mich an unsere Waldberge, an Sie mahnen soll, der mir so manche Haideblüthe gepflückt. Ein Blondköpfchen sitzt dann wohl neben mir auf niederem Schemel, buchstabirt aus seinem Bilderbuche die Lection, und wenn es sich müde studirt hat, kommt es zum Arbeitskörbchen, um das Stück Naschwerk zu finden, das den Fleiß belohnt – dabei zerknittert es mir das Briefblatt, welches dort gelegen, inmitten aller Siebensachen, und die Gedanken wandern bei dem Knistern aus freundlicher Nähe in freundliche Ferne. Das Blättchen hat Nachricht gebracht von einem lieben Freunde – denn, nicht wahr, Sie lassen zuweilen von sich hören, und Gutes?“ Sie erhob sich, legte ihre Hand auf Hermann’s Arm und sagte warm: „Versprechen Sie mir, daß Sie Ihr Herz nicht eigensinnig sein lassen wollen! Der Mann ist sich in jedem Sinne dem Leben schuldig; ich wünsche, hoffe von ganzer Seele, daß Ihnen schöne Häuslichkeit aufblühen möge früher oder später. Bedarf ich je des Beistandes eines Freundes, dann rufe ich Sie, denn ich habe Sie lieb, und – vergessen werden wir uns nicht.“

Er beugte sich sprachlos über ihre Hand und drückte seine feuchten Augen dagegen. „Gott segne Sie!“ Kein weiteres

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