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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Wort kam über seine Lippen; noch ein letzter Blick und dann – geschieden!

Als sich die Thür hinter ihm schloß und die theuerste Gestalt seinem Auge barg, wohl für immer, da barg er selbst sie in jene Stätte, von welcher ihm seine Mutter gesprochen: die Begräbnißstätte, wo unsere Todten und überwundene Schmerzen ruhen.

Paula saß mit leicht in einander gefalteten Händen und sann lange, lange. Dann beugte sie sich still über ihr Arbeitstischchen, nahm aus dessen innerstem Gefach ein flaches Kästchen und öffnete es.

Neben einer langen Locke der Mutter lag darin die schwarze Kugel.

Sie neigte sich, nahm die verhängnißvolle Kugel heraus und drückte voll Innigkeit ihre Lippen darauf.


In der Künstlerwerkstatt.

Wo im Pinienhain durch kühle Schatten
Silbern gleiten des Ilissos Wellen,
Ragt im Abendschimmer säulenprächtig
Eine Künstlerwerkstatt durch die Wipfel.
– In die Halle tritt mein Fuß. Aus Nischen
Schau’n der Kunst erhabene Gestalten
Groß und hoheitsvoll auf mich hernieder.
Alles schweigt. Wie Nähe einer Gottheit
Hör’ ich’s durch die menschenleeren Räume
Heimlich wehen – da – am Marmorsockel
Rauscht es weich wie wallende Gewänder,
Und als ob vom tragenden Gerüste
Sacht des Künstlers herrlichstes Gebilde,
Lebenathmend, sei herabgestiegen,
Wandelt – holdes Maß in Gang und Gliedern! –
Durch den Porticus ein Mädchenpaar hin,
Ernst und mild in jungfräulicher Schönheit,
Hehr wie eine Königin die Eine,
Doch vom Kuß des Lebens unberührt noch,
Schelmisch und libellenhaft die Andre.

Leicht, im flüsternden Gespräch, durchschreiten,
Arm in Arm geschmiegt, sie die Arcaden,
Und beim kleinen Gott mit Pfeil und Bogen
Hemmen sie den Schritt. „O, sag’ Evadne,“
Spricht die Schelmische mit list’gem Lächeln,
„Sag’ mir, ewig Ernste, wie thut Liebe,
Wenn sie leise – singen’s nicht die Dichter? –
Fällt in’s Mädchenherz, wie Thau des Maien?“
Und in sanfter Wehmuth spricht die Andre:
„Bist Du in der Lenznacht je, Melissa,
Auf der Uferhöh’ am Meer gestanden?
Dir zu Häupten leuchten rings die Sterne
Still und ruhig aus den Aethertiefen,
Und, ein schwimmend Spiegelbild, zu Füßen
Grüßt des Himmels Abgrund Dich noch einmal.
Nach dem Höchsten dürstet Dir die Seele,
Doch wer faßt es je? Wer greift die Sterne?

Ach, ihr zitternd Bild, so menschlich nah Dir,
Heute lockt’s aus Wellen Dich vertraulich,
‚Komm’ hernieder!‘ ruft es machtvoll schmeichelnd;
‚Komm’, o komm’ doch!‘ ruft es süß bestrickend,
Und es jauchzt das Herz Dir – doch Du zögerst;
Denn das Unermess’ne schreckt die Seele,
Und im höchsten Glücke schläft das Grauen.
Sieh, nun aus den Wassern blinkt und winkt es,
Näher, stürmischer, dämonenmächtig.
Siehst den Stern Du, heller als die andern,
Schmerzlich bittend, wie ein Menschenauge?
Deiner ist es, Deiner – da erfaßt Dich
Süßen Selbstverlorenseins Entzücken,
Und ein zärtlich Wort auf heißen Lippen
Stürzest Du, wie vom Leukad’schen Felsen
Sappho einst – und jauchzend in den Fluthen
Sinkst Du unter – Welt und Zeit versinkt Dir.
– So in’s Mädchenherz o traute Unschuld,
Fällt die Liebe – Schrecken halb, halb Wonne.“

Und Evadne schweigt; es schweigt Melissa.

Nun den stillen Säulengang hernieder
Wandeln sie bis wo sich wölbt die Pforte,
Wo herein in’s Dämmerlicht der Halle
Um’s Getäfel spielt des Himmels Bläue.
Flüsternd hör’ ich fragen hier Evadne:
„O, warum nur, heitere Gespielin,
Senkst Du, plötzlich ernst, die seid’ne Wimper?“
Doch Melissa schweigt; es schweigt Evadne.

Draußen athmet lind der Abend. Sinnend
Schreiten durch die Pinien die Beiden,
Und im grünen Zwielichtschein verschwinden
Endlich ihre wallenden Gewänder,
Schimmernd, schwanenweiß. – Ich bin allein nun – –

Heimlich, wie der Sehnsucht süße Stimme,
Tönt von fern die Flöte eines Hirten.

Ernst Ziel.


Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.
Aus den Erinnerungen eines russischen Publicisten.
Von Friedrich Meyer von Waldeck.
3. Der Deutschenhaß.

Kaiser Nikolai der Erste hatte beim Antritt seiner Regierung mit dem Niederschlagen eines blutigen Aufstandes zu beginnen. Er machte die traurige Erfahrung, daß ihn in seinem Kriegsheere wie in den höchsten Schichten der russischen Gesellschaft treulose und unzuverlässige Elemente umgaben. Es war demnach nicht zu verwundern, daß er während der Zeit seines Regiments denjenigen Volksstamm besonders gern mit verantwortlichen und hervorragenden Aemtern betraute, der sich ihm allezeit als treu und zuverlässig erwiesen und das waren die Deutschen, vorzugsweise der deutsche Adel der Ostseeprovinzen. Wenn nun diese wohlbegründete Neigung des Regenten dazu angethan war, in den Herzen der national-russischen Aristokratie ein gewisses Gefühl des Neides und der Unzufriedenheit zu erwecken, so kann doch zu jener Frist von einem eigentlichen Hasse gegen die Deutschen keineswegs die Rede sein. Das Gefühl der Zurücksetzung machte sich unter den vornehmen Russen in der Form harmloser und häufig witziger Satire Luft. So gab Fürst Wjäsemski, ein bekannter Dichter der nikolaitischen Periode und ein Freund Puschkin’s, diesen Empfindungen Ausdruck, indem er in seinem, übrigens nie gedruckten, Gedichte „Der russische Gott“ die letzte Strophe mit den Worten schließt, der russische Gott sei denn doch vorzugsweise ein Gott für die Deutschen.

Ein solches unbehagliches Gefühl fand sich, wie gesagt, nur vereinzelt in den höchsten Regionen der russischen Gesellschaft, die, vielfach verwandt und verschwägert mit jenen vom Kaiser protegirten Deutschen, friedfertig und harmonisch mit ihnen lebten und sie keineswegs die Vorliebe des Herrschers und den eigenen nicht aus dem Gebiete der Harmlosigkeit heraustretenden Neid entgelten ließen. Die mittleren und unteren Bevölkerungsschichten blieben davon völlig unberührt und beugten sich gern und willig unter die Superiorität deutschen Geistes, deutschen Fleißes und deutscher Redlichkeit. Das russische Sprüchwort: „Die Deutschen haben die Affen erdacht“, wurde als eine offene Anerkennung der deutschen Geistesgewandtheit mit gutmüthigem Humor oft angewandt, und wenn der russische Krämer, der schon nach den Worten Peter des Großen an Schlauheit und Pfiffigkeit Juden und Tataren weit hinter sich ließ, seine Waare ganz besonders anpreisen wollte, bezeichnete er sie, wie noch heute, als „deutsche Arbeit, njemezkaja rabota“.

Es kam der Krimkrieg mit den unglücklichen Ereignissen für Russland in seinem Gefolge. Er weckte in den Bessern das Bewußtsein der Nothwendigkeit, in allen Gebieten des nationalen Lebens gründliche Reformen anzubahnen; in schwachen Gemüthern erzeugte die erlittene Schmach eine verbissene Wuth gegen das ausländische Europa.

Es folgten nun die ersten Regierungsjahre Alexander’s des Zweiten, und die Presse konnte aufathmen. Die „Moskauer Zeitung“, Eigenthum der dortigen Universität, früher von einem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_330.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2021)