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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

geworden, die freilich bisher ihre innersten Geheimnisse meistens nur der unermüdlichen Beobachtung hervorragender Forscher erschlossen haben. Die meisten und hauptsächlichsten dieser wunderbaren Thatsachen können als durchweg erwiesen gelten und nur wenigen fehlt zu ihrer gänzlichen Bestätigung noch der volle Beweis. Um jedoch daraus für die eigene Naturanschauung eine begründete Ueberzeugung zu gewinnen, bedarf es einer Kenntniß und eines Ueberblickes jener ganzen Zusammenhänge, wie sie Dr. Büchner in dem hier mehrfach genannten Werke dargelegt. Nur einige merkwürdige Punkte seien noch hervorgehoben!

Eines der erstaunenswürdigsten Beispiele von sichtlicher Verstandesentwickelung eines Thieres bietet eine große braune Ameise in Mexico, die nicht blos harte Körner einsammelt – was notorisch auch einige europäische Arten thun – sondern diese Körner auch verpflanzt und nach der Reife einerntet, also einen förmlichen und vollständigen Ackerbau betreibt und dabei passende und zeitgemäße Anordnungen für die verschiedenen Jahreszeiten trifft. Ein Doctor Lincecum in Texas und seine Tochter haben, außer anderen Beobachtern, dieses merkwürdige Thier länger als zehn Jahre lang in der Umgebung ihrer Wohnung fortwährend studirt, und kein Geringerer als der berühmte Darwin hat die betreffenden Mittheilungen des Mexicaners für so wichtig gehalten, daß er sie der Linne’schen Gesellschaft in London vorlegte. Dem Berichte zufolge, wohnt die bezeichnete Ameisenart in, wie man es nennen könnte, gepflasterten Städten, und trifft mit geduldigem Fleiße, mit Geschick und landwirthlichem Vorbedachte passende Anordnungen für die verschiedenen Jahreszeiten. Wenn sie für ihren Aufenthalt einen Platz mit gewöhnlichem trockenem Boden ausgewählt hat, so bohrt sie ein Loch, um welches sie den Boden drei bis sechs Zoll erhöht, indem sie einen niedrigen kreisförmigen Wall bildet, welcher vom Centrum sanft abwärts bis zu dem drei bis vier Fuß vom Eingange entfernten äußersten Rande steigt. Ist dagegen die Localität auf niedrigem, flachem und feuchtem Lande, welches überschwemmt werden kann, so erhöht die Ameise den Wall in Gestalt eines ziemlich spitzen Kegels auf fünfzehn bis zwanzig Zoll oder mehr und macht den Eingang an der Spitze. In beiden Fällen reinigt sie dem Grund um den Wall von allen Hindernissen und ebnet und glättet die Oberfläche um drei bis vier Fuß vor dem Thore der Stadt, indem sie dem Platze das Ansehen eines schönen Pflasters giebt, was es auch wirklich ist. Innerhalb dieses gepflasterten Hofes aber wird kein anderes grünes Blatt geduldet als eine einzige Art von korntragendem Grase. Nachdem das Insect dieses Korn ringsum in einem Kreise gepflanzt hat, zwei bis drei Fuß von der Mitte des Walls entfernt, pflegt und cultivirt es dasselbe mit steter Sorgfalt, indem es alle anderen Gräser und Kräuter abbeißt, welche außen um den Ackerkreis herum aufschießen mögen. Das so culivirte Gras wächst dann auch auf’s Ueppigste und producirt eine reiche Ernte kleiner, weißer, kieselharter Samenkörner, welche unter dem Mikroskope gewöhnlichem Reis sehr ähnlich sehen. Ist das Korn reif, so wird es sorgfältig eingeerntet, von den Arbeiterameisen in die Kornkammer geführt und hier von der Spreu befreit, die sodann herausgetragen und über die Grenzen des gepflasterten Hofes hinausgeworfen wird.

Buckley erzählt, daß die Tochter des genannten mexicanischen Doctors täglich in den Garten ging, um die Ameisen ihren Getreidevorrath einheimsen zu sehen, welcher oft mehr als einen halben Scheffel betrug. Der Doctor aber selber schreibt: „In einem Pfirsichgarten nicht weit von meinem Hause befindet sich eine beträchtliche Erhöhung, auf welcher ein ausgedehntes Felsenlager ist. In den Sandlagern, welche Theile dieses Felsens bedecken, befinden sich schöne Städte der ackerbautreibenden Ameisen von offenbar sehr hohem Alter. Meine Beobachtungen über ihre Sitten und Gewohnheiten beschränken sich auf die letzten zwölf Jahre. Immer gegen den ersten November jedes Jahres kann man die Aussaat der Ameisen aufschießen sehen, und es kann nicht bezweifelt werden, daß die eigenthümliche Art des erwähnten korntragenden Grases absichtlich gepflanzt wird. Während der Zeit seines Wachsthums wird durch die kleinen Ackerbauer der Boden, auf dem es steht, von allen andern Kräutern und Gräsern gesäubert. Wenn das Korn reif ist, wird sodann die trockene Stoppel abgerissen und weggetragen und der gepflasterte Hof unbehelligt gelassen bis zum folgenden Herbste, wo derselbe ‚Ameisen-Reis‘ in demselben Kreise wieder erscheint und dieselbe landwirthschaftliche Fürsorge erhält – und so fort, Jahr auf Jahr, wie ich weiß, daß es der Fall ist in allen Verhältnissen, unter denen die Ansiedelungen der Ameisen vor andern grasfressenden Thieren geschützt sind.“

Wenn man an die Umstände denkt, unter denen diese Beobachtung Jahre hindurch gemacht, sowie an den Charakter und die Bedeutung des großen englischen Forschers, der sie dem Urtheile des wissenschaftlichen Publicums unterbreitet hat, so wird im Hinblicke auf andere bereits feststehende Ermittelungen nicht minder wunderbarer Art zu einem Zweifel an der Glaubwürdigkeit des angeführten Berichts ein irgend stichhaltiger Grund nicht zu finden sein. Die landwirthschaftliche Thätigkeit der Ameisen ist aber hiermit noch nicht erschöpft.

Wissen wir auch bis jetzt nur von jener besondern Art derselben, die zu wirklichem Feldbau fortgeschritten ist, so ist es doch gewiß, daß die meisten Arten einen andern wichtigen Zweig der Landwirthschaft, die Viehzucht und Milcherei, in einer Weise betreiben, die wiederum ihrem Scharfsinne ein ehrenvolles Zeugniß giebt. Ihr Melkvieh steht natürlich nur im Verhältnisse zu ihrer eigenen Größe und trägt einen Namen, der für unsern menschlichen Geschmack nicht besonders anmuthig und appetitlich klingt. Wer hat nicht schon mit Gefühlen des Widerwillens die sogenannten Blattläuse oder Aphiden haufenweise auf den Blättern der von ihnen heimgesuchten Pflanzen sitzen sehen. Muß es uns nicht possirlich erscheinen und unsern Humor erwecken, wenn wir hören, daß es Geschöpfe giebt, welche nach dieser uns ärgerlichen und widerwärtigen Thiergattung das brennendste und zärtlichste Verlangen tragen? Das Reizende an der Blattlaus aber ist für ihre Verehrer nicht ihre Person selber, sondern ein Schatz, den sie in ihrem Innern birgt, ein süßer Saft, den sie aus ihrem dicken Hinterleibe ausschwitzt und der für die Ameise ein Gegenstand leidenschaftlicher Begierde ist.

Zwar huldigen nicht blos die Ameisen dieser Feinschmeckerei und Liebhaberei, auch Fliegen, Wespen, Bienen schwärmen für jenen süßen Saft, und namentlich hat man im Herbste Gelegenheit, Weidenbäume ganz bedeckt mit Blattläusen und mit den von ihnen angezogenen Ameisen und sonstigen Insecten zu sehen. Keines dieser Thiere indeß versteht die Besitzerin des begehrten Kleinods besser zu behandeln, als die Ameise, welche mit ihren feinen Fühlern den Hinterleib der Blattlaus so lange zu bestreichen weiß, bis sie einen Tropfen ihres Saftes von sich giebt. Es muß dies jedenfalls auf eine besonders zarte und schmeichlerische, jenem Thierchen angenehme Weise geschehen, denn Darwin bemühte sich vergebens, es den Ameisen hierin gleich zu thun und den Blattläusen durch Bestreichen mit feinen Haaren ihren Saft zu entlocken.

„Auf einer Ampfer-Pflanze,“ so erzählt er, „hinderte ich einige Stunden lang die Annäherung der Ameisen an eine Gruppe von etwa zwölf Aphiden. Nach dieser Zeit nahm ich wahr, daß die Blattläuse das Bedürfniß der Entfernung des Saftes hatten; ich beobachtete sie mit einer Loupe, aber es erfolgte nichts. Darauf streichelte und kitzelte ich sie mit einem Haare auf dieselbe Weise, wie es die Ameisen mit ihren Fühlern machen, aber ohne Erfolg. Nun erst ließ ich eine Ameise zu, und aus ihrem Widerstreben, sich von den Blattläusen wieder hinwegtreiben zu lassen, schien hervorzugehen, daß sie augenblicklich erkannt hatte, welch ein reicher Genuß ihrer harrte. Mit ihren Fühlern begann sie darauf, den Hinterleib erst einer und dann einer anderen Blattlaus zu betasten, von denen jede, sowie sie die Berührung des Fühlers empfand, sofort den Hinterleib in die Höhe richtete und einen klaren Tropfen süßer Flüssigkeit ausschied, der alsbald von der Ameise eingesogen wurde.“

Die Beziehungen der Ameisen zu den genannten Thierchen sind nun freilich schon seit ziemlich langer Zeit bekannt und schon Linné bezeichnete die Blattlaus als „die Kuh der Ameise“. Aber erst durch die neueren Untersuchungen ist die merkwürdige Thatsache festgestellt worden, daß die Ameisen jene Pflanzenläuse sogar mit in das Innere ihrer Wohnung nehmen und dort als förmliches Melkvieh unterhalten. Unter den Kennern besteht kein Zweifel mehr, daß eine Ameisencolonie um so reicher ist, je mehr Blattläuse sie hält. So lebt nach Dr. Forel die sogenannte „braune Ameise“, welche ihr Nest selten verläßt, fast ausschließlich von sehr großen Rindenläusen, welche sie in ihren meist in Baumrinde ausgehöhlten Kammern und Gängen unterhält und erzieht. Sie zeigt die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_348.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)