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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


keine Straf’ bekommen.“ Trotz dieser Versicherung zeigte der bewegtere Ton seiner Stimme, daß die neue Gewohnheit doch noch nicht ganz festgewurzelt sein mußte; daß ihm der Vater nicht die Hand gereicht, hatte schon seine Stirn umwölkt und ihn dem Alten noch ähnlicher gemacht – daß er beim Empfang kein anderes Wort für ihn hatte als Vorwürfe, machte, daß ihm das Blut noch heißer zu Kopfe stieg.

„Das wird gut sein und am besten für Dich selber,“ sagte der Vater in einem Tone, dem man den Zweifel anhörte und der nicht geeignet war, den Sohn zu beruhigen.

Die Beiden fühlten, daß etwas zwischen ihnen lag, und verstummten; sie glichen ein paar geladenen Minen, die nur des zündenden Funkens bedürfen, um aufzufliegen. Mit klopfendem Herzen gewahrte es Judika und sann darauf, wie sie dem Gespräche eine andere Wendung geben und dem Zusammenstoße vorbeugen könne – war nur die erste Begegnung glücklich vorüber, dann traute sie sich wohl so viel Gewalt über Beide zu, sie im Geleise zu halten, bis mit der Zeit die Gewohnheit das Ihrige zum Frieden beigetragen haben würde. In der Hast vergriff sie sich leider im Stoffe, der löschen sollte, und warf selber den Funken in's Pulver. Sie meinte es besonders klug anzufangen, wenn sie nach dem Sinne des Alten redete und anscheinend ebenfalls gegen den Sohn Partei nahm; sie wiederholte die Ermahnungen des Vaters, um daran den Ausdruck ihrer Zuversicht zu knüpfen, daß Wildel die wilden Jahre hinter sich habe und „gut thun“ werde.

„Er wird auch sein Wort halten,“ schloß sie ihre Rede, „da müßt’ er nicht Euer Sohn sein, und daß es so wird, dafür giebt’s ein Mittel, wie kein besseres in der Welt – er ist selber schon darauf verfallen, und das ist der beste Beweis, daß es ihm ernst ist …“

„So, was wär’ denn das für ein Mittel? In welcher Apotheken ist denn das zu haben?“

„In Eurer eigenen,“ sagte Judika eifrig und ohne die abwehrenden Blicke Wildel’s zu beachten, in dem eine unheilvolle Ahnung aufzuckte. „Er will kein Bursch’ mehr sein; er will ein ganzer Mann werden, der bei seinem Haus und seiner Familie bleibt – er will heirathen …“

Das Wort war kaum ausgesprochen, als der Alte, wie emporgeschnellt aufsprang, die Fäuste auf den Tisch stemmte und vor Zorn keuchend über denselben hinüber schrie: „Was, heirathen? Also auf das geht’s hinaus? Habt Ihr’s schon so ausgemacht miteinander und meint, der alte Narr wär’ nur gerad’ gut genug zum Ja sagen? Das heißt wohl, ich soll Dir Platz machen, soll Dir den Hof übergeben? Ich leb’ Dir zu lange, Schandbub’, und Du kannst es nicht erwarten, bis ich auf dem Schragen lieg'?“

„Aber, Vater, ich denk’ ja gar nicht daran,“ unterbrach ihn Wildel, der bis in den Mund hinein erblaßt war, „das ist ja nur ein Gerede von der Judika.“

„Was?“ rief diese, nun ebenfalls außer Fassung, ihm entgegen. „Willst Du jetzt mich an’s Messer liefern? Hast Du nicht den Ring am Finger? Hast Du mir’s nicht selber gesagt, daß Du einen Schatz hast?“

„Also ist es doch wahr!“ rief außer sich der Vater. „Du hast wirklich eine Liebschaft und tragst einen Ring, und hast nicht einmal so viel Ehr’ im Leib, daß Du dafür einstehst? Du verleugnest sie gleich ganz und gar? Das muß ein schönes Weibsbild sein, wenn Du sie vor Deinem Vater nicht einmal zu behaupten traust.“

Wildel schwamm es vor den Augen; in den Ohren tobte es ihm, als stünde er an einem Wasserfalle; dennoch bewies er, daß die soldatische Zucht der letzten Jahre nicht vergebens gewesen war – er hielt an sich, wenn er auch an allen Gliedern zitterte, und stand hochaufgerichtet. wie weiland vor seinem Rittmeister oder Obersten. „Vater,“ sagte er, „das habe ich nicht gedacht, daß ich einen solchen Einstand haben soll in meinem elterlichen Haus und noch dazu auf eine so unrechte Weis'. Ja, ich hab' einen Schatz, und ich verleugn’ ihn nicht; drum leid' ich’s nicht zum zweiten Mal, daß ein Mensch sie ein Weibsbild schimpft, und wenn’s mein eigner Vater wär’. Sie ist ein braves Dirnl, dem Niemand was Unrechtes nachsagen kann, das ich für mein Leben gern hab’ und das ich einmal heirathen will, aber jetzt hab’ ich noch nicht daran gedacht, und wenn mir’s nur ein einziges Mal in meinen Sinn gekommen ist, an Euren Tod zu denken, Vater, oder an’s Uebergeben, so will ich in meinem ganzen Leben keine gesunde Stund’ mehr haben.“

„Und wer ist das W… – wer ist die Person?“ rief der Alte und rannte, heftig die Hände reibend, in der Stube hin und wieder. „Heraus mit dem Namen! Ich will’s wissen.“

Wildel trat etwas bei Seite. Judika saß auf der Bank und schluchzte bitterlich in ihre Schürze.

„Fragt mich nicht, Vater!“ entgegnete Wildel fest, „ich müßt’ jetzt fürchten, daß Ihr dem armen Mädel Ungelegenheiten macht; also sag' ich den Namen nicht …“

„Nicht?“ rief der Bauer wüthend. „Du willst mir in meinem eigenen Haus den Gehorsam aufsagen? Warte, Bursche! Ich lös’ Dir die Zunge.“

Damit sprang er auf Wildel los, der einige Schritte zurück trat. „Nicht schlagen, Vater!“ sagte er mit bebender Stimme, „dazu bin ich schon zu alt. Ich sag’s nicht; eher geh’ ich wieder aus der Heimath fort, bevor ich nur eine Nacht darin geschlafen hab’.“

„So geh’,“ rief der Alte außer sich, „geh’, wohin Du willst! Ich hab' Dich nicht gerufen, und hab’ ich so lange leben müssen ohne Dich, werd' ich's auch noch länger zuwege bringen –“

Wildel stand bereits auf der Schwelle und wies Judika von sich, die ihn zurück zu halten versuchte. „B’hüt Gott, Vater!“ sagte er schmerzlich, „ich will in ein paar Tagen wieder kommen; vielleicht ist es Euch bis dahin wieder eingefallen, daß meine Mutter Euer Weib gewesen ist.“

Er verschwand im dunklen Gange, und die einfallende Thür zeigte bald, daß er das Haus verlassen hatte.

„Jetzt hat Sie’s selbst gesehen und gehört,“ rief der Vater, noch immer hin und her laufend, der Alten zu. „Jetzt sieht Sie, daß an dem Burschen Hopfen und Malz verloren ist, daß er als derselbe Nichtsnutz wieder gekommen ist.“

Judika fand die bisher von Thränen erstickte Stimme wieder und ließ den Worten desto freieren Lauf – jetzt hielt keine Scheu vor dem Herrn sie zurück: der Mann, der seinen eigenen einzigen Sohn, ihren Pflegling und Liebling, so aus dem Hause gehen zu lassen vermochte, gegen den war sie durch keine Rücksicht mehr gebunden.

„Es ist nicht wahr, daß der Wildel ein Nichtsnutz ist,“ rief sie zürnend, „er ist der beste Bursch von der Welt bis auf den Hitz- und Trotzkopf, und von wem er den geerbt hat, braucht Ihr nicht zu fragen. Aber wenn es jetzt ein Unglück giebt, so seid Ihr selber daran schuld, kein anderer Mensch als Ihr. Mit Güte und Liebe kann man ihn um der Finger wickeln – er aber ist erst drei Jahr alt gewesen, wie seine Mutter gestorben ist; so ist er wild aufgeschossen nach Eurer Art, und Ihr seid schuld daran. Ihr hättet wieder heirathen sollen, damit das Bübel wieder eine Mutter bekommen hätt’.“

„Da hätt' er auch was Rechtes gehabt, wenn er eine Stiefmutter bekommen hätt',“ lachte der Bauer entgegen, aber der Ton klang merklich milder: das Andenken an sein so früh verlorenes Weib war die einzige noch unverholzte Stelle seines Gemüths, und schon Wildel’s letzte Bemerkung war nicht ohne Wirkung auf ihn geblieben. „Und für was ist denn Sie im Haus’ gewesen, Sie alte Henn’ – trotz Ihrer Siebengescheidheit hat Sie Ihre Eier doch auch verlegt.“

„Ich habe das Meinige gethan – dafür ist Gott mein Zeuge,“ sagte sie etwas beruhigter, „und ich will jetzt auch thun, was ich kann, damit die Sach’ wieder in’s Geleis kommt, aber ich bin nur ein Dienstbote, der nichts darein zu reden hat und auch nichts thun kann, als zureden, damit die Vernunft wieder obenauf kommt –“

„Ja wohl, die Vernunft kenn’ ich – wenn ich zu Allem Ja sagen thät’, das wär’ Euch die rechte Vernunft,“ unterbrach sie der Alte, um abermals in einer Lohe des alter Zornes auszuschlagen. „Und ich will einmal von Uebergeben nichts hören, und dabei bleibt’s, und wenn's der Bub’ nicht erwarten kann, soll er mir nur nimmer unter die Augen kommen.“

„Was braucht’s denn all das Geschrei?“ fragte Judika, indem sie eine Kerze anzündete und sich zum Fortgehen anschickte. „Es hat ja noch kein Mensch verlangt, daß Ihr übergeben sollt – heirathen will der Wildel, und das kann ja recht gut geschehen; Ihr bleibt auf dem Hofe und laßt ihn herein heirathen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_379.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)