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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Krone angekauft war. Derselbe besteht aus dem Salon- und mehreren Gefolgewagen mit Küche und Schlafgemächern – ein elegantes Ganzes, das bereits in Nr. 22 dieses Blattes im Vorübergehen erwähnt wurde. In der Mitte befand sich der hellblau lackirte kaiserliche Salonwagen, zu dem der Zugang vermittelst einer kleinen Treppe mit einem feingearbeiteten und reich bronzirten Geländer in den beiden hintern Wänden stattfindet. Zwei große ovale Spiegelscheiben nehmen rechts und links fast die ganze Front der beiden Seitenwände ein und gestatten, wenn die Portièren aus blauem Damast geöffnet sind, eine völlige Ein- und Aussicht nach und von dem Innern des Wagens. Plafonds aus Ahornholz zieren die Decke, türkische Teppiche bedecken den Fußboden und dämpfen den Schritt des darauf Wandelnden. Eine reich mit Silber gedeckte Tafel, über die ein blendend weißes Damasttischtuch gedeckt war, prangte in der Mitte des Salons, an dessen Wänden künstliche, aus Nußbaum geschnitzte Fauteuils standen. Die einzelnen Wagen sind mit einander verbunden und gestatten, auch während der Fahrt den Zugang zu der Küche und den bequem eingerichteten Schlafgemächern, welche mit matten Ampeln beleuchtet und durch blauseidene Gardinen geschlossen werden können. Zur Aufnahme des zahlreichen Gefolges reihten sich vorn und hinten Personenwagen erster und zweiter Classe an. An der Spitze des Zuges, gleich hinter dem Packwagen, stand der der königlichen Ostbahn gehörige Salonwagen, welcher zur Aufnahme der höhern preußischen technischen Eisenbahnbeamten, welche den Zug begleiteten, bestimmt war.

Plötzlich drängte Alles nach einem Punkte; die aufgestellten Wachen hielten die allzu Neugierigen zurück; die höhern Militärs griffen salutirend an den Helm, und stolz, wie ein auf dem Wasser dahinsegelnder Schwan, glitt der Extrazug auf der russischen Seite in den Bahnhof hinein. Ein donnerndes „Hurrah!“ durchzitterte die Luft. Viele warfen sich auf die Kniee, berührten mit der Stirn die Erde und wagten kaum das Auge zu dem allmächtigen Kaiser zu erheben. Leutselig grüßend, stieg derselbe, eine Suite russischer und preußischer Generale hinter sich, welche, zum feierlichen Empfang commandirt waren, heraus und begab sich in die hergerichteten Zimmer. An den Eingang postirten sich zwei riesige Tscherkessen, welche in der malerischen Tracht ihres Landes, mit den krumm geschwungenen Säbeln, den glänzenden Pistolen in den Gürteln und zwei Patronenbehältern auf jeder Seite der Brust, jedem Unberufenen den Eintritt wehrten.

Neugierig gingen die russischen Unterthanen an die dicht verhangenen Fenster des Empfangsalons im Bahnhofsgebäude oder bewunderten die herrliche äußere Ausstattung des kaiserlichen Extrazuges. An den Seitenwänden heben sich die erhaben gearbeiteten Wappen der kaiserlichen Familie auf grünem Grunde goldig glänzend ab. Vier vergoldete Adler halten an den vier Ecken in den Schnäbeln die herrlichsten Verzierungen, welche längs der Decke dahinlaufen. Spiegelscheiben in doppelten Fensterrahmen wehren den Eintritt des Staubes während der Fahrt und sind außerdem von außen noch mit schwarzem Pelz garnirt. Jeder Theil ist bis in das kleinste Detail sauber gearbeitet. Die Achsbuchsen sind vergoldet, die einzelnen Lager der Tragfedern polirt, die äußeren Wände selbst auf’s Sauberste grün lackirt.

Die innere Ausstattung ist der äußern entsprechend und übertrifft an Eleganz und Feinheit der Arbeit die des Salonwagens auf preußischer Seite. Der innere Raum ist mit weißseidenen Tapeten decorirt; goldene Agraffen halten die schweren Gardinen aus himmelblauem Damast; echt türkische Teppiche decken die Fußböden, auf denen weiche Sessel verlockend zur Ruhe einladen. Die Decke ist aus den seltensten Hölzern geschnitzt und überreich mit goldenen Leisten ausgelegt. Die elegant ausgestatteten Schlafgemächer enthalten zur Bequemlichkeit und zur Toilette während der Fahrt alle nur denkbaren Gegenstände und sind gleichfalls mit den andern Wagen verbunden.

Während die neugierige Menge auf den Perrons staunend auf- und abwogte, verluden unter Aufsicht des Reisemarschalls die russischen Gepäckträger, welche an dem blauen, russischen Hemde aus Tuch und an einem um die Taille geschlungenen rothen Shawl leicht erkenntlich sind, die gewichtigen Koffer mit großer Geschwindigkeit in die Gepäckwagen des Extrazuges auf der preußischen Seite.

Der Tag hatte sich geneigt, und wie mit einem Zauberschlage entzündeten sich die Gaslaternen auf dem Perron und in den Waggons. Kerzen auf massiven silbernen Leuchtern strahlten ein blendend weißes Licht aus und warfen einen hell blinkenden Schein auf die schön ciselirten Tischgeräthe, welche symmetrisch auf der Tafel geordnet waren. Die Flügelthüren öffneten sich; die stattliche Gestalt des russischen Kaisers in preußischer Generalsuniform, geleitet von einem höhern Eisenbahnbeamten, tritt heraus und nimmt in dem Salonwagen Platz, während das zahlreiche Gefolge in den andern Wagen, welche für den Inhaber an den Fenstern durch eine Karte in russischen Buchstaben markirt sind, sich eiligst placirt.

Nachdem die Genehmigung zur Abfahrt eingeholt, nehmen auf den beiden Maschinen zwei technische, in dem Salonwagen die höhern Mitglieder der Direction Platz. Ein leiser Pfiff, und der Zug setzt sich unter dem Hurrahrufe der Menge langsam in Bewegung. Bald ist die Grenze überschritten, an der ein Soldat, mit einer riesigen Bärenmütze auf dem Kopfe, das Gewehr präsentirend, seinem Kaiser in dem großen russischen Reiche das letzte Geleite giebt.

Schneller und schneller wird das Tempo des Zuges; rascher entweichen aus dem Schornsteine die gleichmäßigen Schläge des ausströmenden Dampfes. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschen die Führer mit aus der Ueberdachung vorgebeugtem Kopfe auf den Gang der Maschinen und ziehen denselben befriedigt zurück, nachdem sie sich von der ruhigen und gleichmäßigen Arbeit durch Gesicht und Gehör Ueberzeugung verschafft haben. Weiter öffnen sie nun den Regulator; mit Macht entströmen die gefesselten Geister dem eisernen Riesenleib und finden in dem Dampfkolben einen Widerstand, den sie siegreich überwinden, dadurch die Geschwindigkeit des Zuges vergrößernd.

Allmählich breitet die Nacht ihre Rabenfittige über die Erde; kein Sternlein blinkt am Himmel, und nur wenn frische Kohlen dem unersättlichen Schlunde von den Heizern zugeführt werden, strömt ein glänzendes Lichtbündel aus der geöffneten Feuerthür, beleuchtet auf einen Moment die ganze Umgegend tageshell und faßt den aus dem Schornsteine ausströmenden Dampf mit einem röthlich glänzenden Saume ein. Aufathmend von der gehabten Anstrengung, wischt sich der Heizer den Schweiß von der Stirn und beschattet mit den Händen die Augen, welche durch den Blick in das intensiv weißstrahlende Feuer geblendet sind – da werden schon wieder neue Anforderungen an ihn gestellt, die er mehr tastend als sehend ausführen muß.

An Wärterhäusern, Signalpfosten, Dörfern fliegt der Zug vorbei, ohne Rast, ohne Ruh’; nur vor den Bahnhöfen wird die Geschwindigkeit gemäßigt, da hier beim Passiren der vielen Weichen und Harzstücke Gefahren tückisch lauern und eine falsche Stellung der Weichen den Zug in’s Verderben führen könnte. Der Führer der vorderen Maschine, in dessen Hand die große und schwere Verantwortung allein gelegt ist, strengt die Sehkraft auf’s Aeußerste an, um über den kleinen, eng begrenzten Schein, den die Locomotivlaternen mit ihren Reverberen auf den gefahrvollen Weg werfen, hinauszusehen, im Augenblicke bereit, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, jede Gefahr von dem theuren Haupte des Kaisers fern zu halten. – Glücklich ist endlich der erste Anhaltepunkt, Station Insterburg, erreicht und dem Zuge ein Aufenthalt von fünfzehn Minuten vergönnt. Während die Heizer das Feuer reinigen und die Führer die Lager mit dem Rücken der Hand befühlen, denjenigen Theilen, welche der größten Reibung ausgesetzt sind, die erforderliche Nahrung zuführen und Reifen und Federn einer schnellen Revision unterwerfen, beleuchten die Wagenrevisoren die Wagengestelle und untersuchen jedes Rad, jede Achsbuchse, jede Feder. Mit einem Handhammer schlagen sie an die Bandagen und ein helltönender Klang giebt ihnen Gewißheit, daß dieselben noch fest an den Unterreifen anliegen. Die größte Aufmerksamkeit widmen sie indessen dem kaiserlichen Salonwagen. Der überall anhaftende Staub, welcher an den Achsbuchsen und an den Rädern im Vereine mit dem Schmieröle dicke Krusten gebildet hat, erschwert allerdings die eingehende Untersuchung, doch entgeht kein gefährdeter Theil unter dem Scheine der Handlaterne dem geübten Auge des Revisors.

Endlich ist die Revision beendet und mit einem „Gott sei Dank! Alles ist in Ordnung,“ schreitet er zu der des nächstfolgenden Wagens. Hier entdeckt er den Verlust zweier Schrauben nebst Muttern, welche sich von dem Untertheil der Achsbuchse gelöst haben, sodaß dieser nur noch von der Achsgabelverbindung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_403.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)