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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Schlägt man den ersten Band der jetzt endlich (bei Emil Strauß in Bonn) erscheinenden Ausgabe der Strauß'schen „Gesammelten Schriften“ auf, so findet man als erste Gabe dieser vortrefflich geleiteten Sammlung unter dem Titel „Literarische Denkwürdigkeiten“ eine fortlaufende Reihe bisher ganz unbekannt gebliebener Aufzeichnungen, die sich im Nachlasse des Autors vorgefunden haben. Es sind dies tagebuchartig niedergeschriebene Rückblicke und Selbstbekenntnisse, die Strauß leider etwas spät begonnen und zu frühe wieder abgebrochen hat. Ein Bruchstück also, aber voll anziehendsten Reizes, ungemein werthvoll durch bedeutsamen Inhalt und liebenswürdige Form, überraschend vor Allem durch die gänzlich unbefangene Gegenständlichkeit, mit welcher der große Charakterzeichner hier die Kräfte und Schwächen des eigenen Selbst beleuchtet, als ob er von einem Andern spräche. So klar und scharf, mit so viel psychologischem Tiefblick und unbeugsamem Wahrheitssinn, zugleich aber auch mit einer so anmuthig-ruhigen Heiterkeit hat kaum jemals ein hervorragender Schriftsteller sich Rechenschaft gegeben über die Art, den Werth und die Grenzen seines Schaffens und seiner Leistungen. War das der kalte Verstandesmensch, in welchem, nach der Behauptung der Gegner und nach der Ansicht oberflächlicher Freunde, das Herz keine Stimme, das Reich des Gemüthslebens keine Geltung hatte? Es ist ja richtig, daß Strauß in seinem Kampfe gegen die Theologie eine unerbittliche Schonungslosigkeit wider Ideale der überlieferten Gefühlswelt offenbarte, die Vielen theuer sind, die er jedoch als unechte und schädliche, als Hindernisse der menschlichen Entwickelung erkannte. Trotzdem hatten Tieferblickende längst geahnt, Näherstehende längst gewußt, daß auf dem Grunde dieser gewaltigen Verneinungskraft ein durchaus dichterisches Anschauen und Empfinden lebte, der Adel und Schwung eines künstlerisch beseelten Gemüthes, das nicht blos gelegentlich hervorbrach, sondern das Ganze der unter seinem Einflusse entstandenen Schöpfungen mit seinem warmen und reinen Athem durchhauchte. Und das ist es, was Strauß aus nun endlich selber in seiner bescheidenen Weise gesagt hat; ein wesentlicher Theil von dem Geheimniß seiner machtvollen Wirkungen ist dadurch nachträglich erklärt und enthüllt worden, enthüllt namentlich für alle diejenigen, bei denen kein Zweifel besteht, daß jenes „Stück von einem Poeten“ in ihm seiner wissenschaftlichen Forschung nur das schmelzende Feuer, den Glanz der Farbe und schönen Gestaltung verliehen, aber die mannhafte Entschiedenheit ihrer Beweiskraft in keiner Weise verdunkelt hat.

Wie Strauß in der ganzen Reihe seiner Werke niemals mit seiner gehobenen Stimmung, mit der zartbesaiteten Feinfühligkeit seiner unerschrockenen Kampfnatur ein gefallsüchtiges, auf weichliches Empfinden berechnetes Spiel getrieben, so auch nicht in der bezeichneten Selbstbeichte. Viel directer aber als aus den meisten seiner übrigen Schriften weht uns aus den Mittheilungen und dem schlichten Tone dieses kurzen Tagebuches die liebreiche Wärme des innersten Seelenlebens entgegen, welchem so schneidige Geistesthaten entsprossen sind. Dennoch würden uns die „Denkwürdigkeiten“ allein das Bild des Menschen noch nicht mit voller Lebendigkeit erschließen, wenn sie nicht eine Ergänzung und Bestätigung in einer gleichzeitig erschienenen Anzahl von Dichtungen gefunden hätten, die der Sohn aus dem Nachlasse des verewigten Vaters nur für die Freunde desselben hat drucken lassen. Man wußte ja schon, daß Strauß bei äußeren und inneren Anlässen gehaltreiche und schön geformte Verse mit Leichtigkeit auf das Papier zu werfen vermochte. Unbekannt dagegen war es bisher, daß nicht blos diese Gabe, sondern auch das Bedürfnis lyrischen Gefühlsausdruckes ihn durch sein ganzes Dasein begleitet, daß er fort und fort sein geheimstes Empfinden, alle verdüsterten, wie alle muthvollen und heiteren Stimmungen einsamer Stunden im Wohlklange dichterischer Ergüsse auszuhauchen suchte. Erst das „Poetische Gedenkbuch“ giebt uns in Betreff dieser Seite wahrhaft überraschenden Aufschluß; es ist wirklich ein duftiger Kranz kostbarer Blüthen und Blumen aus der verborgenen Seelengeschichte eines bedeutsamen Geisteshelden. Durch keines seiner Producte ist Strauß dem Gemüthsleben der Nachwelt so nahe gerückt worden, wie durch diese Auswahl seiner Gedichte, und aufrichtig muß es bedauert werden, daß das Buch noch nicht in weitere Kreise des gebildeten Publicums zu dringen vermag. Wer es gelesen hat, der wird auch überzeugt sein, wie hoch der „große Ketzer“ an erhabener Tugend und Liebe über den schwarzen Troß jener sogenannten „Frommen“ emporragte, der seinen Namen bis zum heutigen Tage gern in den Staub ziehen und der Lästerung der Unwissenden preisgeben möchte.

F.




Für Mütter. Wichtige Kleinigkeiten. 1. Junge Mütter befinden sich manchmal in recht beklagenswerther Lage. Erfreut steht so eine junge Mutter am Bettchen des erst wenige Wochen alten Erstgeborenen und erquickt sich an dem kräftigen Brusttone, dessen Stärke die künftige Tenorgröße vorausahnen läßt; da ruft plötzlich entrüstet eine bejahrte Nachbarin: „Aber wie können Sie nur das Kind so brüllen lassen? Es schreit sich ja binnen Kurzem einen Bruch.“ Sie sucht nun das Kind zu beschwichtigen, bis zufällig eine andere Helferin dazu kommt, welche auch viel erlebt hat. Diese meint nun, das Kind müsse sich ausschreien, damit die Brust sich weite; denn dies schütze vor Brustkrankheiten. – Wie soll die unerfahrene junge Mutter sich diesen beiden Rathgeberinnen gegenüber verhalten? Selbstverständlich ist ein Mittelweg einzuschlagen, im Princip aber gesellen wir uns der letzten Ansicht bei. Die Lungen liegen vor der Geburt zusammengefallen, luftleer im Brustkasten, und erst durch die kräftigen Hebungen des Brustkorbes von Seiten des Neugeborenen erfüllen sich die Lungenbläschen mit Luft. Je schwächer und stiller das Kind, desto flachere Athemzüge sind die Folgen; hierdurch wird nicht nur die Luft in den untersten Lungengebieten, die sogenannte Reserveluft, weniger erneuert und so dem Körper eine geringere Menge Sauerstoff zugeführt, sondern auch die Muskeln des Brustkorbes, dieser selbst und im Anschluß daran die Lungen an eine kleinere Ausdehnung gewöhnt. Dieser Mangel an Tiefathmen kann allerdings in schweren Fällen, vorzüglich später bei dem Durchbrechen der Zähne, Lungenerkrankungen begünstigen.

Das Schreien ist in der ersten Kindheit die beste und einfachste Athmungsgymnastik. Es wird dabei sowohl straff und tief eingeathmet, andererseits aber auch kräftig ausgeathmet, wodurch gerade der ausgiebigste Luftwechsel in den Lungen stattfindet. Die Furcht vor Brüchen ist vielfach übertrieben worden. Wohl entstehen nicht selten durch starken anhaltenden Husten Brüche, durch das Schreien aber nur dann, wenn eine sehr erhebliche Anlage, besonders am Nabel, vorhanden ist. Bemerkt man nun, daß der Nabel Neigung zum Vorwölben besitzt, so greife man nicht zu dem bekannten Hebammenmittel, eine halbe Muskatnuß in den Bruch hinein zu drücken weil hierdurch die Bruchpforte erweitert und am Verkleinern verhindert wird, sondern befestige mittelst breiter Heftpflasterstreifen ein in Heftpflaster gewickeltes Stück Pappe (von der Größe eines Zweimarkstückes) über dem Nabel, was am schnellsten die Heilung herbeiführt. –

2. Welche Folgen durch kleine vorher nicht beachtete Umstände verursacht werden können, zeigt der nachstehende traurige Fall. Ein kleines Kind soll gebadet werden und das Dienstmädchen gießt zu diesem Zwecke kochendes Wasser in die Badewanne. Während es nun hinausgeht, um kaltes Wasser zum Vermischen zu holen, hat der etwas größere Bruder den Rand der Wanne erklettert und fällt rückwärts in das siedende Wasser hinein; nach wenigen Tagen war der Arme seinen Brandwunden erlegen. Dieser schreckliche Ausgang ist ein klarer Beweis, eine wie peinliche Sorgfalt in der Kinderstube beobachtet werden muß, der Bedienung aber ist vor Allem streng einzuschärfen, das kalte Wasser stets vor dem warmen in die Wanne zu gießen.

Dr. –a–




Die Madonna in der Schnapsflasche. Ohne sich wegen der bedenklichen Gegenüberstellung mit den in Flaschen eingesperrten Teufelchen zu geniren, begann man vor einigen Wochen in der Gaismühle bei Gappenach, die Madonna in einer Flasche zu schauen, die mit Marpinger Wunderwasser gefüllt war, nachdem sie vorher vielleicht Schnaps, Bier oder andere profane Getränke beherbergt hatte. Der Polizei gelang es, die Flasche, natürlich ohne ihren Esprit, dingfest zu machen, aber die Madonna erschien nunmehr in einer Flasche zu Mühlheim an der Mosel und an drei oder vier benachbarten Orten der von Marpingen aus inficirten Gegend, ein Beweis dafür, in wie hohem Grade ansteckend derartige geistige Seuchen sind. Die Procedur war überall dieselbe. Man stellte die mit Marpinger Wasser gefüllte Wunderbouteille, von Lichtern und Blumen umgeben auf einen erhöhten Platz, einen Kaminsims oder Schrank, bildete einen Halbkreis davor und sang so lange Madonnenlieder, bis irgend eine Muhme, vielleicht in ihrem eigenen werthen Conterfei, welches der Zerrspiegel zu einer Bohnenscheuche verlängert hatte, die Himmelskönigin zu erkennen glaubte und ihre Mitschwestern unschwer von der Erscheinung überzeugte. Natürlich entstand überall ein starker Andrang der allezeit wundersüchtigen Menge, als wolle sie die „Wallfahrt zur göttlichen Flasche“, welche der stets lustige Pfarrer von Meudon vor viertehalb Jahrhunderten so drollig beschrieben hat, von Neuem in Scene setzen. In solchen Dingen besitzt die Menschheit einen wunderbar sich gleichbleibenden Instinct. Wie unsere Vorfahren aus dem Wasserspiegel der Quellen die zukünftigen Dinge prophezeiten, wie Dschemschid in seinem Becher Alles sah und Numa im Wasserbecken die Geister erscheinen ließ, so auch noch heute. Freilich schauen jetzt die alten Muhmen, was sonst nur einer reinen Jungfrau oder einem Junggesellen zu schauen möglich sein sollte.

Man wird lebhaft an die Marpinger Zauberflasche erinnert, wenn man das von Rimuald mitgetheilte Verfahren seiner Zeit, Spitzbuben im Weihwasser zu entdecken, liest. Die mit den angedeuteten moralischen Vorzügen ausgestattete junge Person füllte eine Flasche mit Weihwasser, stellte eine geweihete Kerze daneben und sprach: „Weißer Engel, heiliger Engel, ich beschwöre Dich bei meiner Reinheit und Deiner Heiligkeit, zeige mir den Dieb!“ Alsdann sollte das Conterfei des Diebes in der Flasche erscheinen, und die Seherin mußte ihn sehen, wenn ihr eigener guter Ruf nicht darüber in die Brüche gehen sollte. Es ist ganz dasselbe, wenn man der blinden Polizei heute erwiderte: Ihr seht die Madonna in der Flasche nicht, weil Ihr nicht den reinen, keuschen Glauben habt, und Ihr werdet sie nicht sehen, wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder. Man suchte sonst Kinder zu diesem Experimente aus, weil es ihrer beweglichen Phantasie leicht wird, in dem unbestimmten Zerrspiegel einer zitternden Flüssigkeit Alles zu sehen, was sie sehen sollen oder wollen. Der Herzog von Saint-Simon erzählt in seinen Memoiren, wie ein Magier einem jungen Mädchen das Schicksal des Herzogs von Orleans in einem Glase mit Wasser zeigte, und Cagliostro bediente sich eines ähnlichen Verfahrens häufig. Der Graf Laborde beobachtete dieselbe Procedur in Aegypten, nur daß man hier einem Knaben etwas Tinte in die Hand goß, um als Zukunftsspiegel zu dienen. So treibt der älteste Zauberspuk unter dem Schutze wohlgenährter Frömmigkeit unabänderlich aus der alten Wurzel immer neue Triebe. Beinahe hätten auch die Freunde des Fortschrittes Ursache, zur göttlichen Flasche zu wallfahrten, bei der Rabelais den besten Trost fand und aus deren Bauche das Wunderwort: „Trincq!“ erklang, über dessen Bedeutung man das fünfundvierzigste Capitel im Pantagruel nachlesen mag.




Spital-Kästen („Hospital-Boxes“) sind eine amerikanische Einrichtung, und eine solche, welche dem amerikanischen Herzen alle Ehre macht. Sie hat vorerst nur in New-York Eingang gefunden. Die meisten Geschäftsleute daselbst wohnen außerhalb der Stadt, viele in den umliegenden Städten, noch mehrere auf dem Lande und nicht wenige eine ganze Zahl von Meilen entfernt. Um nach New-York zu gelangen, müssen sie die Fährboote, die Straßeneisenbahnen, oder die Eisenbahn per Locomotive gebrauchen, und um die auf diesen Verkehrsmitteln zuzubringende Zeit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_427.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)