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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„So? Und was wär’ denn das?“

„Wenn ich fort bin, dann ist mit mir auch der Anstoß zu der Zwietracht fort – dann macht’s Frieden mit Eurem Sohn! Er ist so brav, so grundbrav, und wenn er hitzig ist und seinen eigenen Willen haben will, so wißt Ihr ja wohl, von wem er den Stützkopf geerbt hat. Drum macht Frieden! Redet auch nit immer vom Worthalten! Ihr macht Euch dabei nur selber etwas weiß: es ist nicht das Wort, worauf Ihr Euch steift; es ist nur Euer trutziges Wesen, daß Ihr überall und allemal Recht haben müßt. In dem langen Alleinsein hat sich Euer Gemüth ganz versteint und verbeint. Ihr seid nit alleweil so gewesen. Ich hab’s wohl gehört, und Ihr habt es ja selber gesagt, wie gern Ihr Euer Weib gehabt habt. Denkt manchmal an sie, Himmelmooser, dann wird Manches anders werden und Vieles besser. Ich werd’s dann in der Fremd’ schon hören und mich darüber freuen, und mit mir,“ schloß sie, von Thränen unterbrochen, „mit mir wird’s unser Herrgott auch schon machen, wie’s recht ist. Denkt an meine letzte Red’, Himmelmooser – und macht Frieden!“

Sie drückte ihr Tuch vor die Augen und wandte sich der Thür zu.

„Predigen kannst Du gut,“ sagte der Alte mit einem Tone, der sehr gegen seine sonstige Art abstach, „aber Du thust selber nit, was Du predigst. Wenn ich Frieden machen soll, gieb Du zuerst ein gutes Beispiel und geh’ nicht im Unfrieden von mir – nimm wenigstens den Thaler mit!“

„Das müßt Ihr nit verlangen,“ erwiderte sie, „ich brauch’ kein Andenken, das ich an’s Mieder henken kann – ich trag’s schon unter’m Mieder mit mir fort.“

Sie stand an der Schwelle. Rasch erhob sich der Bauer und hielt sie ab, dieselbe zu überschreiten; er faßte sie fest am Arme und führte sie in die Stube zurück. „Und ich thu’s einmal nit anders,“ rief er. „Du mußt den Thaler nehmen, und wenn ich doch schon einmal für einen Stützkopf gelten muß, so will ich auch einer sein und meinen Willen durchsetzen. – Wie ich Dir dazumal auf Deinem Taufgang in den Weg getreten bin, habe ich zu Dir gesagt, Du sollst Himmelmooserin werden, und das sollst Du auch. Und wenn Du einmal den alten Vater durchaus nit magst, so bleibt nichts anderes übrig, als – Du mußt den Buben nehmen.“

„Was habt Ihr gesagt?“ rief Engel erglühend und zitternd, daß der Regenschirm, den sie an sich genommen, ihr wieder entfiel.

„Wie fragst so dalket?“ erwiderte der Alte mit lautem Lachen. „Ich mein’ doch, ich hab’ gut Deutsch gered’t. Ich hab’ Dich jetzt kennen gelernt. Du gefallst mir, Madel. Du mahnst mich an meine selige Alte, denn Du hast das Herz auf dem rechten Fleck und die Zung’ auch. Der Bub’ hat einen gescheidten Einfall gehabt und einen guten Gusto. Du bist die Rechte für ihn; Dir trau’ ich’s zu, daß Du ihn auf der Bahn erhaltst. Also eingeschlagen, Mädel – oder willst Du auch auf die Weis’ nit Himmelmooserin werden?“

Engel stand wie eine Träumende. „Es kann ja nit sein,“ stammelte sie und suchte im Angesicht des Alten zu lesen. „Das Glück wär’ ja zu groß.“

„Du willst also?“ rief er. „Siehst Du, so hat mein Thaler doch Recht behalten und hat Dir Glück bedeutet.“

„Ich kann’s nit glauben,“ entgegnete sie wieder, „ich kann gar nit zu mir selber kommen. Gestern der Jammer und heut’ die Freud’ – so müßt’ es sein, wenn man aus der Höll’ geraden Wegs in den Himmel käm’ …“

„Drum liegt ein richtiges Feg’feuer dazwischen,“ unterbrach sie der Alte, „und das Feg’feuer besteht darin, daß Du mit dem Wildl nichts red’st und ihm kein Wort sagst von dem, was wir verhandelt haben. Willst Du?“

„Alles, was Ihr verlangt – Alles.“

„Zuerst muß ich mit ihm fertig sein; eine Straf’ hat er verdient, weil er so hinter meinem Rücken gehandelt und weil er sich so aufgebäumt hat gegen mich. Das muß er einsehen und muß zu mir kommen.“

„O, er thut’s!“ rief das Mädchen in freudiger Zuversicht. „Ihr glaubt gar nit, wie gut er ist und was er für ein weiches Herz hat. Er thut’s gewiß.“

„Nachher ist Alles gut,“ schloß der Vater und bot ihr den Thaler. „Da nimm,“ sagte er, „und bandle die Münz’ wieder recht fest an Dein Mieder und mach’, daß Du fortkommst! Es braucht Dich Niemand zu sehen, und in der Kirch’ unten fangt schon das Läuten an. Amt und Predigt ist aus. In acht Tagen komm’ wieder zu mir! Dann gehen wir zu Dritt zum Pfarrer, und wieder über acht Tage, da führ’ ich Dich am Arme in’s Himmelmoos herein, wie ich Dich jetzt hinausführ’.“

Er begleitete sie bis zur Hausthür – raschen Schrittes eilte sie hinweg; an der Wendung des Weges hielt sie grüßend an, winkte zurück und drückte den Glücksthaler an die Lippen. Der Himmelmooser sah ihr nach, bis sie in den Gebüschen verschwunden war. Sein Angesicht war heiter, seine Brust leicht, wie sie lange nicht gewesen. Die Hoffnung eines ungeahnten häuslichen Glückes zog durch seine Seele wie der Sonnenstrahl, der eben die Regenwolken theilte, als wolle er nachsehen, ob all’ die Bäume, Fluren und Häuser, die er gestern beschienen, noch vorhanden und nicht beschädigt seien von dem Unwetter der Nacht. Nach einer Weile fuhr er sich mit der Hand über die Wimpern und die buschigen Brauen. „Hm,“ murmelte er in sich hinein, „es muß mir ein Stäubl in’s Aug’ geflogen sein.“

Aber in der feuchten Regenluft war weit und breit kein Stäubchen zu finden. Plötzlich fuhr er auf und wandte sich horchend dem Hause zu – ein paar dumpfe Schläge dröhnten von der Rückseite desselben. „Was giebt’s denn da?“ sagte er. „Sollte im Stalle ein Pferd losgeworden sein? Aber das kommt ja von hinten, von der Kalkgruben her … Da muß ich doch nachschauen.“

Er ging und war nach wenigen Schritten um die Hausecke verschwunden. –

Schlimm war die erste Nacht gewesen, welche Wildl in seiner Heimath erlebt hatte, aber noch schlimmer und unruhiger war die zweite. Ueber jener hatten Sterne geleuchtet und war eine Morgenröthe der Hoffnung aufgegangen, diese aber blickte dunkel und sternlos, und statt der feierlichen Ruhe und Stille schlug der Regen auf die Schindeln und Steine des Daches, als suchten die Tropfen Einlaß zu dem schlafenden Flüchtling, der zum zweiten Male die einsame Heuhütte zu seiner Zuflucht gewählt hatte.

Lange hatte er an der Rund-Capelle gewartet und nach einer Gelegenheit gespäht, Engerl noch einmal zu sehen. Er mußte das, denn er konnte nicht eher einen Entschluß fassen, als bis er mit ihr über die neuen Ereignisse sich besprochen und aufgeklärt hatte. Sein Vorhaben war aber unmöglich, denn wie einige der älteren Männer den Vater umringt hielten, wichen ihm die Bursche nicht von der Seite, um ein abermaliges Zusammentreffen der beiden so furchtbar aufgeregten Männer zu verhüten. Es gelang dies auch, indem sie den Burschen nach dem Dorfe geleiteten und beim Gemeindevorsteher unterbrachten; denn im Hause des Vaters – das war klar – war für jetzt kein Raum für ihn. Am andern Tage wollte dann der Vorsteher mit dem Alten reden und eine Aussöhnung versuchen, wenn eine solche aber nicht möglich wäre, zum Landgericht gehen, damit dasselbe Vorkehrung treffen möge, ein noch größeres Unglück, das in der Luft zu liegen schien, zu verhüten. In dieser Absicht erlaubte sich der Mann, von seiner Gewalt einen etwas weitgehenden Gebrauch zu machen und Wildl in eine Stube zu bringen, welche nur ein einziges – noch dazu vergittertes Fenster hatte – und als er dieselbe verließ, leise eine Eisenklammer an die Thür anzulegen und Wildl so zum Gefangenen zu machen. Selbstzufrieden entfernte er sich dann und glaubte, seine Sache vortrefflich gemacht zu haben; denn Wildl schien sich seit dem Vorfall vollständig beruhigt zu haben und hatte sich den Anordnungen gefügt, ohne ein Zeichen des Widerstandes, ohne einen Laut des Widerspruchs. Er war auch wirklich ruhiger geworden; denn er hatte rasch seinen Plan zurecht gelegt und sich überzeugt, daß Weigern und Wehren doch vergeblich wäre. So war es ihm gelungen, die Leute ebenfalls sicher zu machen, daß Niemand mehr sich um ihn kümmerte, und daß es ihm, als es dunkel im Hause und um dasselbe herum stille ward, nicht schwer fiel, das alte Fenstergitter, solcher Kraft nicht mehr gewachsen, geräuschlos locker zu machen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_431.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)