Seite:Die Gartenlaube (1877) 434.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Ehen zwischen Europäerinnen und Japanern.


Die neuerdings wiederholt gemeldeten Verlobungen respective Verheirathungen europäischer und zwar vorwiegend deutscher Damen mit Japanern, die sich zum Zwecke ihrer Ausbildung oder in Beamtenstellungen in Europa aufhielten, hat in den Zeitungen manche Bemerkungen veranlaßt, zu deren Würdigung und Beantwortung die nachfolgenden Notizen beitragen sollen.

Ehe wir die Frage: sind solche Verbindungen rathsam? beantworten, müssen wir die Gegenfrage stellen: Bleibt das Ehepaar im Vaterlande der Braut oder wird es in der Heimath des Mannes leben? In der That wird für keine Verbindung von Angehörigen verschiedener Nationalitäten sich dieses Oder scharfschneidiger herausstellen, als in unserm Falle.

Die von den englischen Damen stets vorangestellte Frage: „Wie kann man einen Japaner mögen?“ erscheint bei unserer gegenwärtigen Richtung in Deutschland prüde, vorurtheilsvoll und selbst inhuman. Die von Amerika aus nicht blos gepredigte, sondern im vorigen Jahrzehnte blutig bewiesene Thatsache, daß auch der gefärbte Mann ein gleicher Mensch und Bruder sei, fand in Deutschland einen vollen Widerhall; außerdem stehen ja in der That die Japaner unter den gefärbten Nationen sehr hoch – wenn auch nicht gerade am höchsten. Jedoch bezieht sich der oben angeführte, von mir unendlich oft gehörte Ausruf nicht allein auf Bedenken, die man als Racenvorurtheile zu bezeichnen pflegt, sondern zum Theile auch auf Aeußerlichkeiten. Die Japaner sind nun einmal, und die der höheren Stände am meisten, schwächlich und unschön gebaut und stecken voller Krankheitsanlagen. Zierliche Hände und Füße, ein zuweilen scharf und fein geschnittenes Gesicht, eine schlanke Taille sind doch nicht immer im Stande, den schmal angelegten, mit einer erbärmlichen Muskulatur versehenen Brustkorb, die schlechtbalancirte Wirbelsäule, die flügelförmig abstehenden Schulterblätter, den krummfersigen Gang vollkommen übersehen zu lassen. „Ist ganz ohne Belang!“ werfen hier sicher vorurtheilsfreie Leserinnen ein. Gern zugegeben, daß die Schönheit des Mannes ebenso wenig ein nothwendiges Erforderniß einer glücklichen Verbindung, wie Häßlichkeit auf dieser Seite ein Hinderniß derselben ist, so ist doch die Tuberculose, die angeborene Kleinheit des Herzens und eine große Widerstandslosigkeit des Gefäßsystems beim Manne sehr von Belang; auch hierauf bezieht sich, der Ausruf der englischen Damen.

Indeß wie viel wird übersehen, geduldet, abgewöhnt, wo auf gewohntem sicherem Boden der Keim einer wahren und tiefen Neigung durch Frauenhand entwickelt wird. Werden nicht nach kurzer Zeit gemeinsamen Lebens mit den Männern und Frauen einer gebildeten Nation auch die letzten Reste der orientalischen Auffassung der „Frau“ verschwinden? Wird nicht unter diesen Einflüssen der durch chinesische Gedächtnißmechanik vertrocknete Geist sich entfalten? Wird nicht die unmittelbare Berührung mit Kunst und Wissenschaft auch im dreißigjährigen Japaner noch eine späte Blüthe des Gemüthslebens treiben? Wird unter dem steten Sonnenscheine einer glücklichen Ehe nicht endlich die „Liebe“ in ihm erstehen, die herrliche blaue Blume, die sein eigenes Vaterland nicht zeitigt, ebenso wenig wie die japanische Sprache auch nur einen Ausdruck dafür hat? Beantworte diese Fragen wer kann!

Wir lenken hier in das breite Geleise ein, dem die Zeitungsnotizen die Aufschrift gaben: „Er bleibt Buddhist; sie ist Christin“ und dessen Schwierigkeiten mit verschiedenem Geschicke beleuchtet wurden. Im Worte hat man sich vergriffen; das Wesen der Sache hat man zum Theile ganz richtig discutirt. Der gebildete Japaner ist eigentlich gar nicht Buddhist; sein Indifferentismus gegen jede positive Religion stellt ihn vollkommen auf die Stufe der Freigeister; er würdigt die Wesenheit des Buddha keiner ernstlicheren Untersuchung, als den ihm unwahrscheinlichen Gott des Christenthums und die Traditionen der eigentlichen altjapanische Religion, der Kamilehre. Rücksichten auf Staat, Carrière, sonstige Verbindungen zwingen ihn zu bleiben, was er ist. Aber wenn auch der Buddha in seinem Herze keinen Sitz hat, wenn er auch vielleicht über den bronzenen Buddha auf der Lotosblume spöttelt – der Buddha nistet tief in jeder Faser seines Wesens. Habe ich etwa schon Theil an den Ideenschätzen deutscher Geistesheroen, wenn ihre „sämmtlichen Werke“ in meinem Bücherschranke stehen und wenn ich einige Bände davon durchbuchstabirt habe? Bin ich ein Geistesverwandter Beethoven's, wenn seine Büste in meinem Salon täglich auf mich herabschaut?

Die ganze Hingebung eines reichen weiblichen Gemüths, der unerschöpfliche Schatz einer vollbewußt und tief innerlich liebenden Frauenseele wird dazu gehören, um ihre fremdländischen Gatten zu beglücken. So erscheint mir die glänzende Aufgabe einer Frau, der es vergönnt ist, im Vaterlande mit ihrem japanischen Gatten weiter zu leben. Alles hängt hier ab von der Wahrhaftigkeit und Reinheit ihrer Neigung, von der Festigkeit und Großartigkeit ihres Charakters, von der Harmonie und Vollendung ihrer eigenen Individualität. Eben weil unter dieser ersten Bedingung die allgemeinen Grundlagen für eine glückliche Ehe nur gewissermaßen in eine andere Tonart übertragen worden sind, darf, ja muß sogar das von der Hand des Ethnologen gezeichnete Bild in milden und verschwommenen Farben gezeichnet werden.

Desto bestimmter aber müssen die Lichter und Schatten aufgesetzt werden, wo es sich für den unabhängigen und vorurtheilsfreien Landsmann darum handelt, der Frau und der Jungfrau seiner Nation das Bild zu zeichnen, welches sie jenseits der langen Reise „drüben“ erwarten darf. In hohem Grade kleinlich würde es erscheinen, die Frauen durch die etwa drohenden Gefahren, durch den Hinweis auf die Beschwerden siebenwöchentlicher Seereisen und dergleichen von wohlerwogenen Lebensaufgaben abschrecken zu wollen. Hunderte von Gattinnen, viele Bräute folgen dem erwählten europäischen Manne über den Ocean; sie sind sich wohl bewußt, daß sie durch ihre Hingebung und ihren Muth sich ein besonderes Privatrecht auf die Hochachtung ihres Mannes und seiner Freunde erwerben und daß ein nur selten zu findender Grad von Rohheit und Kleinheit des Gemüths dazu gehört, ihnen im spätern Verlauf der Ehe dieses Verdienst zu schmälern. Kaum der Rede werth erscheint diesen wahr und hochherzig denkenden Frauen gegenüber die kleine Zahl der Abenteurerinnen, welche auf gut Glück oder vage Hoffnungen hin oder auch getrieben von extravaganten Reiseneigungen sich auf den Weg machen. Glücklicher Weise werden die Frauen der in Japan lebenden Europäer in einem Punkte nur selten schwer enttäuscht, in Bezug auf ein glückliches Zusammenleben mit dem Manne ihrer Wahl. Anlässe, allein seinem Vergnügen nachzugehen, existiren für den Ehegatten viel seltener, als in Europa; der Mechanismus der Geschäfte gestattet ihm, viel mehr Zeit dem Hause und der Familie zu widmen; die natürlichen Beschränkungen der gesellschaftlichen Verhältnisse weisen Mann und Frau darauf an, sich gegenseitig sehr viel zu sein. So konnten, von diesen Punkte aus, viele der europäischen Ehen in Japan als ideal angesehen werden.

Der denkende Leser liest schon zwischen den Zeilen, daß durch dieses Hauptglück viele Mängel mit zugedeckt werden müssen. Zwar leben – in Yokohama durchweg und in Tokio (Yedo) mit wenigen Ausnahmen – die europäischen Familien in europäisch gebauten Häusern, aber die Geräumigkeit und Bequemlichkeit derselben sind natürlich von sehr verschiedenen Bedingungen abhängig. Vorausgesetzt, daß Jemand die erforderlichen Mittel aufwenden will, fehlt es in Bezug auf Möbel und Hausbedürfnisse, auf Küche und Keller an keinem Erforderniß, um das Leben nicht nur angenehm, sondern auch comfortabel zu gestalten. Der ganze Mechanismus der Lebensweise besonders in Häusern, in welchen Geselligkeit gepflegt wird, neigt sogar zur Entfaltung eines gewissen Luxus hin; schon die zahlreichere japanische Dienerschaft würde bei einem Fremden diesen Eindruck hervorrufen. Dieser Mechanismus im Hauswesen der für den Anfang sehr behaglich erscheint, wird aber in seiner uhrwerkähnlichen Regelmäßigkeit bald eine Quelle der Klage für die denkende Frau, besonders für die deutschen Frauen. So lange der japanische (und noch mehr der chinesische) Diener die Leistungen, zu denen er abgerichtet und für die er engagirt worden ist, ohne Störung ausführen darf, ist er aufmerksam, pflichtgetreu, lobenswerth. Jeder Verbesserung oder Veränderung dieses Mechanismus wird er einen passiven Widerstand entgegensetzen; neue Verfügungen Seitens der Frau im Hause treiben ihn gewöhnlich aus demselben. Die Nachfolger und Ersatzmänner,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_434.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)