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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Wesen. Der Großfürst imponirt; Fürst Carol gewinnt; das ist der Unterschied, der mir auf den ersten Blick zwischen den beiden Spazierfahrenden auffiel. Es wunderte mich nicht wenig, wahrzunehmen, wie der Fürst von allen Seiten nicht mit bloßer Höflichkeit, sondern mit Wärme, ja oft mit Begeisterung begrüßt wurde. Das war vor Jahren, ja vor Monaten selbst nicht so. Aber seitdem hat sich Vieles in Rumänien geändert.

Der Fürst, den die Parteien nur als ein Spielzeug für ihre Umtriebe zu betrachten gewohnt waren, steht heute im vordersten Treffen. Man verhehlt sich nicht, daß die Existenz Rumäniens heute auf diesen beiden Augen beruht, und nicht ohne Grund beschworen die Minister Seine Hoheit, sich nicht mehr solchen Gefahren auszusetzen wie bei Kalafat. Der Fürst aber soll die Herren vom Ministerconseil aufmerksam gemacht haben, daß er einen andern Souverän, der sich ebenfalls mit der Türkei im Kriege befunden, sehr bitter getadelt habe, weil er sich dem Feinde gegenüber niemals blicken ließ. So versteht Fürst Carol die Kriegführung nicht.

„Unsere Truppen sind jung und waren noch nicht im Feuer,“ soll er zu einem der Herren Minister geäußert haben. „Es kann nöthig sein, daß sie in einem schwierigen Momente durch das Beispiel ihres obersten Kriegsherrn angeeifert und hingerissen werden müßten, und in diesem Momente darf ich nicht an Ort und Stelle fehlen.“

Diese Worte sind in das Publicum gedrungen und haben zur Popularität des Souveräns nicht wenig beigetragen. Der Krieg wird also vielleicht eine Annäherung des herrschenden Fürsten und seines Volkes zur Folge haben; bei dem Charakter des Fürsten Carol und bei den Eigenschaften, die man an demselben rühmt, kann eine solche Annäherung nur segensreiche Wirkungen nach sich ziehen.

Neben dem militärischen Zuwachs, den der Krieg zur größten Freude der ehrenwerthen Gilde der Hôteleigenthümer der Bukarester Bevölkerung zugeführt hat, muß ich zur Charakteristik der jetzigen Verhältnisse auch ein anderes Contingent nicht militärischer Natur anführen. Es sind dies die zahllosen Lieferanten und Geschäftsunternehmer, welche die Aussicht auf Gewinn hinter der russischen Armee hierhergelockt hat. Wer einigermaßen die Verhältnisse in Rußland und in der Walachei kennt, wird leicht voraussetzen, daß die Unternehmer sämmtlich Israeliten sind. Man findet darunter alle Schattirungen und Tonarten vertreten, von dem Gentleman aus Odessa, der mit Generalen auf freundschaftlichstem Fuße verkehrt und Mitglied dortiger Clubs ist, bis zu dem schmierigen bessarabischen oder moldauischen Juden in der langen, fettigen Kutte, den bekannten Haarlocken und dem nichts weniger als appetitlichen orthodoxen Gepräge.

Das Hauptquartier dieser Lieferanten ist das Café du Boulevard, das größte in ganz Bukarest. Da wird tagtäglich eine förmliche Lieferantenbörse abgehalten, welche auf das Trottoir heraus fluthet und zu gewissen Stunden sogar die Passage hemmt. Selbstverständlich würden die Geschäftsmacher auch der rumänischen Regierung gerne Anerbietungen machen, aber bis jetzt zeigt sich die hiesige Verwaltung von der Cassen-Façade aus besonders schwach. Die Waaren würde man schon annehmen, aber die Bezahlung auf geeignetere Zeiten verschieben. Darauf gehen die Makler jedoch nicht ein, und das leiseste Ducatengeklimper gilt ihnen weit mehr, als die überschwänglichsten Versprechen für die Zukunft. Kurz und gut, es giebt da für die unternehmungslustigen Philanthropen, welche eine vortheilhafte Partie Patronen oder eine Ladung Revolver oder einen Haufen ärarischer Hosen „nur gegen baar“ anbringen möchten, wenig zu machen. Der rumänischen Regierung aber, welche für Israeliten gerade keine besondere Vorliebe hegt, sind die Leute, seitdem mit ihnen nichts zu machen ist, ein Dorn im Auge. Es soll sogar, so erzählte man sich auf der „Lieferantenbörse“, welche die Muße zum Plappern übrig hat, ein hiesiger Minister bei dem russischen Consul wegen der Anwesenheit so vieler Söhne des auserwählten Volkes Klage geführt haben. Aber der russische Consul soll geantwortet haben, „er bedauere, daß nicht noch mehr da wären“. In der That ist die russische Militärbehörde mit ihren durchweg jüdischen Lieferanten vollständig zufrieden. Die Leute, welche man im Voraus einen heilsamen Schrecken einjagte, halten ihre Contracte pünktlich, liefern gute Waare und nehmen ohne Ceremonien die Bons statt baaren Geldes. Viele sollen erklärt haben, daß sie mit der Einzahlung derselben bis zum Ende des Krieges warten wollen.

Die Central-Verwaltung des russischen Heeres in Bukarest hat ihre Bureaux in dem Erdgeschosse der „Société financière de Roumanie“ aufgeschlagen. In diesen für 10,000 Franken auf ein Jahr gemietheten Räumen geht es bei Tag und Nacht äußerst lebhaft zu. Hier werden die Verträge unterzeichnet und die Proviantcolonnen organisirt, die sich dann nach allen Richtungen hin bewegen. Hier werden schließlich die Rechnungen geprüft und die famose Bons ausgefertigt. Hoffentlich werden sie ihren Cours besser halten, als die Actionen des Unternehmens in den Nebenräumen, welches, eine Schwindel-Gründung[WS 1] ersten Ranges, Ruin und Selbstmorde verursachte.

Obgleich die Convention Bukarest mit der Anwesenheit russischer Truppen verschonen wollte, sieht man doch häufig ganze Bataillone, allerdings unbewaffnet, durch die Stadt ziehen; dem Wortlaut des Tractats wird zwar insofern Genüge geleistet, als diese Schaaren nicht in der Stadt selbst, sondern in einer kleinen Entfernung von derselben Quartiere beziehen. Der Bukarester Spießbürger also, der sich den Anblick eines Stückes Lagerleben gönnen will, braucht sich nur eine Viertelstunde von der Stadt zu entfernen. Schon von weitem winkt ihm die eigenartige Einzäunung der russischen Zeltenstädte – die doppelte oder dreifache Wagenburg von hochbeladenen Heuwagen. Die vier bis sechs weißen Stiere, die so einem Transportmittel als Vorspann dienen, kauern auf dem Boden; die Bauern, welche ein saures Gesicht schneiden, weil man sie gewaltsam requirirte und ihnen blos für Wagen, Vorspann und ihre Mühe zwei Francs zahlt, sitzen neben ihren Thieren. Innerhalb der von den Wagen gebildeten Einzäunung stehen die Zelte aus grau-weißlicher Leinwand, aber solid und gegen den Regen hinreichend Schutz bietend. In jedem dieser Zelte lagern acht Mann auf frischem Stroh; die graue Militärkapuze dient ihnen als Bettdecke. Die Herrn Officiere haben es nicht besser, nur daß sie statt zu acht zu drei in einem solchen Zelte einquartiert sind. Um jedes Lager (es giebt deren überall in der Umgebung von Bukarest) sind eine Menge von Holzbuden erstanden, worin der Krieger, wenn es ihm seine Mittel gestatten, sich an Schnaps, Thee, Wurst laben kann, ohne den weißen Landwein zu vergessen, der schon manchem zu Kopfe gestiegen ist und manchen Arrest auf dem Gewissen hat. Im übrigen bieten die russischen Infanteristen sehr wenig Interessantes; das erste Mal hört man wohl mit einigem Befremden dem schrillen eintönigen Musiciren zu, mit welchem sie sich die Zeit zu vertreiben suchen; beim zweiten läßt man es bleiben. Dagegen erhalten die Kosaken die Neugierde wach. Es lohnt sich auch die Steppensöhne etwas näher zu studiren, die sich selber so wenig pflegen und um so besser ihre Waffen und Pferde. Den Carabiner, den er beständig in einem Futteral von Leder sorgsam verwahrt führt, hegt der Soldat wie seinen Augapfel; das Rößlein verhätschelt er wie ein verwöhntes Kind. Wenn z. B. ein Kosak in Bukarest Stafette reitet und vor irgend einer behördlichen Thür auf Auskunft und Bescheid warten muß, so sucht er stets in der Nähe des Hauses einen grünen Platz aus, wo das Rößlein grasen kann, während da oben die Depesche oder der Auftrag schriftlich ausgefertigt wird. In seinem ganzen Auftreten ist der Kosak voll auffallender Gutmüthigkeit; möglich, daß er im Kampfe einem Löwen gleichen mag, aber wenn er so ruhig und so fromm auf seinem geliebten Pferde dasitzt, möchte man ihn viel eher für einen Heiligen halten, der den Pallasch und Tschako nur der Spielerei zu Liebe trägt.

Den wildesten Gegensatz zu den Kindern des Don und Dniepr bilden die tatarischen Hülfstruppen, welche man öfters das Unrecht begeht mit den Kosaken zu identificiren oder zu verwechseln. Diese Tataren dürften um kein Haar besser sein als die wildesten im Dienste des Sultans stehenden Baschi Bozuks. Das Aussehen, die gemein-lüsternen und habsüchtigen Züge sind bei den Tataren der Krim genau so prägnant, wie ich sie im vorigen Jahre bei den auf den Stufen der Moscheen in Stambul lagernden Gesellen zu beobachten Gelegenheit hatte. Die braven Burschen scheinen die Bundesgenossenschaft Rumäniens nicht vom richtigen völkerrechtlichen Standpunkte aufgefaßt zu haben, denn sie benahmen sich wie in Feindesland. Es wurden einige Exempel statuirt, die indessen nicht viel nützten, und da schließlich über die zweckentsprechende Verwendung dieser Mannschaft gegen andere

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage ohne Bindestrich
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_437.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)