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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


der mit einer Freiheitsstrafe und der Cassation endete. Dennoch setzte ihm der gute König später einen Gnadengehalt aus, welchen Hannickl bis zum Tode bezog. Der ehemalige Forstmann lebte bis in die sechsziger Jahre in der Stadt Traunstein, wo er als wackerer Zecher und braver Mann bekannt und wohlgelitten war.

Die Verhältnisse haben sich nach vielen Richtungen hin zwar vollständig geändert, aber in der Hauptsache, der Thatsache des Wilderns und des strengen Forstschutzdienstes, ist keine große Besserung eingetreten. Jagdfrevler streifen oft bandenweise herum, und in solchen Fällen ist das Einschreiten eines einzelnen Forstbeamten ganz undenkbar. Einzelne Wilderer gehen mit außerordentlicher Schlauheit zu Werke. Hoch oben in den Bergen haben sie ihren Schlupfwinkel, in welchem Gewehre, Schießbedarf und Toiletteartikel verborgen sind. Letztere spielen eine große Rolle, denn wenige auf eigene Faust jagende Freibeuter unterlassen es, sich vor Ausübung ihres Gewerbes so unkenntlich wie möglich zu machen. Entweder ist’s eine schwarze Larve, die vor’s Gesicht gebunden wird, oder der Wilderer bestreicht sein Gesicht mit Kienruß und Kreide, um die Gefahr des Erkanntwerdens möglichst zu beseitigen. Mancher harte Strauß wird noch an einsamen Stellen ausgefochten, und oft endet ein pflichttreuer Forstmann durch die Kugel eines unbekannt bleibenden Mörders.

Hoffentlich wird die Zeit bald kommen, in der die Begriffe von Recht und Unrecht auch auf die jagd- und beutelustigen Abenteurer in den Bergen so mächtig einwirken, daß der tiefgewurzelte Unfug des Wilderns nach und nach aufhört.

Die leidenschaftlichen Wildschützen – ausgenommen die Wilddiebe – sind nebenbei meist tüchtige Hausväter und sogar ganz gewissenhafte Leute, denen es sicher nie einfallen würde, das Eigenthum eines Andern zu berühren oder einem Dritten zu nahe zu treten. Wer nicht den goldgestickten Kragen des Forstmanns oder des Gensd’armen trägt, ist beim Wilderer so sicher wie zu Hause. Die unselige Verblendung, welche einen Jagdgang als ein dem freien Manne gebührendes Recht betrachtet, sieht eben in dieser Art der Gesetzesübertretung kein Unrecht, und eine Freiheitsstrafe wegen einer solchen wirft keinen Schandfleck auf den Entlassenen, so unbarmherzig die Volkssitte auch sonst mit einem gebrandmarkten Zuchthäusler verfährt.[1]

B. Rauchenegger.




Streifzüge bei den Kriegführenden.
5. Ein Sonntag in Kalafat.
Von Bukarest bis Krajova. – Fürst Milan und sein Minister. – Von Krajova nach Kalafat. – Ankunft im Lager. – Ein raisonnirender Corporal. – Der General-Gewaltige. – Die Dorobanzen. – Das verlassene Kalafat. – Rumänische Officier-Typen. – Widdin durchs Fernrohr. – Mein Nachtlager. – Beim „Père Auguste“.


Da es unten bei Giurgewo noch immer nicht losgehen wollte, entschloß ich mich, um nicht in der Freudenstadt Bukarest zu erschlaffen, wie Hannibal in Capua, einen Abstecher zu den Rumänen zu machen, die, ungeduldig sich in die Kampfeswogen zu stürzen, einstweilen an der Donau die Faust im Sacke ballen mußten. Mit der größten Bereitwilligkeit stellte mir der Kriegsminister einen mit allen möglichen Stempeln und Siegeln versehenen Passirschein aus, kraft dessen die Miltärbehörden des Fürstenthums aufgefordert wurden, mir in Erfüllung meiner Mission allen möglichen Beistand angedeihen zu lassen. Außerdem hatte ich Privat-Empfehlungsbriefe für den Leiter des Artilleriewesens in Kalafat, Major Popesco, und schließlich für den General en chef Lupo. Der Brief an den letzteren rührte vom Oberstlieutenant Pelat her, heute Post- und Telegraphendirector, gewiß eine der merkwürdigsten und angenehmsten Erscheinungen des officiellen Bukarest. Herr Pelat ist ein glühender Anhänger Frankreichs, wo er seine Erziehung genossen hat. Als im Jahre 1870 der Krieg losbrach, machte er der republikanischen Regierung in Tours das abenteuerliche Anerbieten, mit seinen Freunden in Rumänien Serbien etc. den Orient zu revolutioniren, um auf diese Weise eine Schwenkung zu Gunsten Frankreichs zu schaffen, aber in Tours wollte man im Augenblick, wo Thiers bereits auf der Werbereise um Allianzen begriffen war, von einer solchen Umsturzpolitik nichts wissen und Herr Pelat mußte mit einer Stelle in der französischen Armee vorlieb nehmen. Er schlug sich mit Tapferkeit und brachte es zum Obristlieutenant und Ritter der Ehrenlegion. Das Ende seiner Kriegsfahrt war der Uebertritt auf schweizerisches Gebiet nach den unendlichen Anstrengungen und Drangsalen der Bourbaki’schen Campagne. Nun besaß damals Obrist Pelat einen prachtvollen Araberhengst, der sich merkwürdiger Weise inmitten der grimmigen Kälte und den Entbehrungen, welche den Thieren wie den Menschen auferlegt worden, erhalten. Sein Herr hatte deshalb das Thier um so lieber gewonnen und wollte sich davon nicht trennen, was ja geschehen mußte, da die schweizerische Regierung die Ablieferung der Officierspferde wie jedes übrigen Kriegsmaterials forderte. Was that nun Pelat? Er verkleidete sich als englischer Gentleman, der der Excentricität zu Liebe eine Winterreise in der Schweiz unternommen hatte, und mit einem als Diener verkleideten andern französischen Officier erreichte er auf seinem Rappen die französische Grenze bei Bellegarde. Den Hengst aber hat er heute noch und hofft wohl, denselben nächstens gegen den Halbmond zu führen.

Mit meinen Empfehlungen und den übrigen für eine mehrtägige Tour nothwendigen Gegenständen ausgerüstet, verließ ich mit dem Morgenzuge punkt acht Uhr den Bahnhof von Bukarest. Auf der Station Slatina, die wir bald erreichten, herrschte eine außerordentliche Erregung. Slatina, nahe an der Aluta, ist für die Russen ein höchst wichtiger Punkt. Sie haben auch auf dem Plateau, wo das Stationsgebäude liegt, zwei Lager errichtet, von denen eins von Kosaken bewohnt wird, die für eine fortartige Umzäunung gesorgt haben. Sie haben nämlich ihre langen, spitzen, beflaggten Lanzen in den Boden eingepfählt, und die vielfarbigen Wimpel flattern lustig in den Lüften rings herum um das ganze aus Hunderten von Zelten bestehende Lager. Auf der andern Seite des Schienenwegs bietet sich ein eigenthümliches Kriegsbild dar. Schwere, nagelneue und funkelnde Mörser werden von sechs bis acht weißen Stieren einen kleinen Hügel hinaufgezogen. Aber der Weg ist schmal, der Stieg holperig, und die Kräfte der Thiere reichen nicht aus. Da dampft eine auf dem Hügel postirte Locomobile hinunter; man spannt dieselbe an einen der Mörser, und flugs geht’s hinauf, während die ausgespannten Stiere mit ihren ungeheuren weitgeöffneten Augen dem Wunderwerke in dem vollsten Sinne des Wortes nachstieren. Solche Locomobilen haben die Russen zur Aushülfe überall postirt, wo sie noth thun und die gewöhnlichen Vorspannmittel nicht ausreichen.

Auf dem Schienengeleise in Slatina stand der von Turn-Severin kommende und nach Bukarest abgehende Zug, der blos auf die Ankunft des unserigen wartete, um abgelassen zu werden. Um den einen Waggon dieses Zuges aber drängte sich eine bunte Menge von reich betreßten und reich befederten rumänischen Officieren, von Kosaken-Lieutenants und russischen Artillerie-Obersten, von schwarz befrackten Herren und schwärmerisch dreinblickenden Damen, und dann wieder von simpeln Soldaten, Bauern, Gänse- und Hühnerverkäufern, welche mit ihrer lebenden Waare um die Wette kreischten. In dem Waggon aber befindet sich jener Fürst, der zuerst den Reigen im heutigen Tanze gegen die Türkei eröffnete. Der junge und dicke Beherrscher Serbiens, Milan, hat endlich die Erlaubniß ausgewirkt, seine Huldigungen dem Vater Czaren darzubringen, und er ließ sich’s nicht zweimal sagen. Man erzählt, er wäre dem grimmigen Commandanten von Ada Kalé zum Trotze bei Nacht und Nebel, von seinem Amanuensis Ristitsch begleitet, in einem Kahne über die Donau geschlüpft.

Die Thatsache ist, daß Fürst Milan auf dem Bahnhofe in Slatina blühend aussah und aus seiner Fröhlichkeit, den Czaren zu sehen, keinerlei Hehl machte. Uebrigens hatte der Fürst mit

  1. Wir können nicht unterlassen, unsere Leser noch besonders auf das vortreffliche Bild des Prof. K. Dielitz in Berlin hinzuweisen, welches wir diesem Artikel als charakteristische Illustration in einer wohlgelungenen Holzschnitt-Wiedergabe beifügen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_461.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)