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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


seinem kleinen Gefolge im Bahnhofsbuffet zu Slatina gefrühstückt, und die Ueberreste der Tafel, sowie die vielen noch aufgestellten Flaschen, gestatteten den Schluß zu ziehen, daß man gar nicht schlecht und nicht wenig gefrühstückt hatte. Es ist ja überdies vom vorjährigen Serbenkriege bekannt, daß Fürst Milan für die Tafelfreuden nicht unzugänglich ist und daß Minister Ristitsch eine bewunderungswürdige Thätigkeit durch eine ganz gehörige Verpflegung seines physischen Ich zu schüren versteht. Auch die rumänischen Würdenträger, die sich in unsern Zug herein verfügten, um nach Krajova zurückzukehren, erfreuten sich der besten Champagnerlaune. Verlangt mir nichts über Krajova! Dieses Nest mit harmonischem Namen erfreut sich keiner besondern Eigenschaft, als eines spitzfindigen niederträchtigen Pflasters. Die Geschichte einer Nachtreise in jenen schäbigen, hartgepolsterten, schmutztriefenden Rumpelkasten, welche man in Rumänien Diligencen nennt, ist eine wahre Leidensgeschichte. Schon der Anblick des Kastens selbst bringt alle Gedanken martervoller Qualen mit sich. Dann schreckt man beim widerlichen Anblick des Innern zurück und steigt nur hinein, weil man die Gewißheit hat, daß es leider kein anderes Mittel giebt, das Ziel, Kalafat, zu erreichen. Also, Augen und Nase zu und hinein! Glücklicher Weise sind wir allein; doch dieser Wahn dauert nicht lange. Kaum holpern wir über das spitze Pflaster zum Thore hinaus, so suchen der begleitende Postbeamte, der bewachende Gensd’arm und ein unbestimmbarer Quidam im langen, triefenden Regenmantel im Innern des Wagens gegen den Regen Schutz. Die Humanität würde es uns untersagen, gegen diese Beschränkung unserer Bequemlichkeit zu remonstriren, aber die Herren machen sich auch zu breit; der Gensd’arm steckt sans façon den langen Pallasch zwischen die Beine; der Postbeamte lehnt sich gemächlich an, und der Quidam im weißen Regenmantel möchte aus Bequemlichkeit das Schuhwerk ausziehen, wogegen ich ausdrücklich und mit Erfolg protestire. Mit dem Wagen geht es beinahe wie mit einem hoch auf den Wellen gepeitschten Schiffe; bald fühlen wir uns emporgehoben, daß unsere Köpfe gegen den Deckel des Rumpelkastens anschlagen; bald geht es nach rechts oder nach links hinüber, als sollten wir auf dem rumänischen Schmutz eine Nachtherberge finden. Der Schluß dieser Fahrt war deren Verlaufs würdig. Gegen sechs Uhr früh bei einer grimmigen Kälte und einem jener kalten unbarmherzigen Frostregen, wo jeder Tropfen wie eine Nadelspitze in’s Mark dringt, wurden wir ohne Umstände mitten im Kothe aus dem Wagen, der wenigstens gegen die Nässe Schutz bot, gewiesen.

Ich stand am Eingange des rumänischen Lagers, auf dem Plateau von Kalafat; der Rumpelkasten hatte, statt auf der Chaussee sich weiter zu bewegen, seine Bahn querfeldein auf dem zu diesem Behufe hergestellten Weg genommen, denn nach dem Städtchen darf Niemand ohne die ganz specielle Erlaubniß des Höchstcommandirenden gelangen. Nun hatte ich allerdings meine Papiere in Ordnung, aber der General, dessen hermetisch verschlossenes Zelt man mir zeigte, pflegte noch der Ruhe, und da es Sonntag war, durfte keine Aussicht sein, Sr. Excellenz vor neun Uhr aufzuwarten. Was soll man indessen thun? Auf der ganzen Ebene ist kein Häuschen zu entdecken, etwa mit Ausnahme der kleinen hölzernen Baracke, die das Post- und Telegraphenamt darstellt.

Aber die Beamten lagern schon in ausreichender Menge auf dem Boden. Der Aufenthalt ist selbst provisorisch nicht sehr empfehlenswerth. Glücklicher Weise nimmt sich meiner ein intelligent und nervig aussehender Infanterie-Corporal an, der, ein geborener Ungar, vollkommen gut deutsch spricht. Wir schreiten über den Hügel einer Cantine zu, die von einem Krajovaner Zuckerbäcker höchst wahrscheinlich eingerichtet wurde, um das abgestandene Gebäck militärisch an den Mann zu bringen. Der Eigenthümer der Cantine und ein Gehülfe liegen, in herrliche Schlafröcke gehüllt, auf dem Boden zwischen ihren Tischen. Ich rüttle einen dieser unternehmenden Geister an der Quaste seines Schlafrockes und bestimme, uns in Ermangelung anderen Materials eine Flasche Säuerling zu bringen. Der Corporal wird gesprächig; bald wird es mir klar, daß ich auf einen Unterofficier von jener Sorte der Unzufriedenen gestoßen bin, die also auch in der rumänischen Armee wie in der französischen anzutreffen sind und welche man in Frankreich mit dem bezeichnenden Prädicat „Grognards“ (Brummbär) belegt hat.

Beim zweiten Glase Wein theilt mir also mein ungarisch-rumänischer Unzufriedener mit, daß die Armee sich über das ewige Warten bedeutend aufzuhalten beginne. Man hatte geglaubt, den Vertheidigern des Halbmonds sofort auf den Pelz zu rücken, und nun sitzt man zwei Monate bereits, die Hände im Schooße, und hat keine andere militärische Zerstreuung, als die paar Kanonenschüsse, die sich jetzt auch nicht einmal hören lassen. „Ja,“ meinte der Unterofficier, indem er einen tiefen Zug that, um den ich ihn wahrlich nicht beneidete, denn der Pseudo-Nektar des mobilisirten Krajovaner Zuckerbäckers war gräulich, „wenn wir Geld hätten, da wäre es anders. Aber so ohne den Groschen im Sacke und die karge Menage – ich sag’ Ihnen, Herr, es ist ein Hundeleben.“ Es ist zu bemerken, daß, während die zur permanenten Armee gehörenden Mannschaften sich über Quantität und Qualität der ihnen verabreichten Nahrung so stark aufhalten, die eigentlichen Landmilizen (Dorobanzen) mit dem, was sie fassen, vollständig zufrieden sind. Das begreift sich; der rumänische Bauer führt nicht im Lager, sondern zu Hause ein wahres „Hundeleben“. Fleisch bekommt er kaum vier- oder fünfmal im Jahre zu sehen; man kann sich nun denken, als was für ein Leckerbissen die tägliche Portion Schaf oder Schwein ihm erscheint.

Als endlich mein Unterofficier ausräsonnirt hatte, verließen wir das Marketenderzelt und schritten durch das Lager, wo es sich zu regen begann. Bald stießen wir auf zwei in Regenmäntel mit aufgehobenen Kapuzen vermummte Officiersgestalten, die bei dem Anblicke eines mit einem Civilisten verkehrenden Unterofficiers stutzig wurden. Sofort exhibirte ich meinen Ferman und war damit an den Rechten gelangt, denn die beiden Herren waren der eine der Großprofos und der andere, jüngere, der Lagerprofos. Beide gehörten zu den Rossiori, jenem rothen Husarenregimente, welches durch die besondere Eleganz seiner Officiere berühmt ist und auch einstweilen unter der Damenwelt Bukarests großartige Verheerungen angerichtet haben soll. Zuerst blickten der General-Gewaltige und sein Adjutant ziemlich finster drein, denn ungerufene Besuche sind ihnen sehr unwillkommen. Meine Legitimation wirkte jedoch Wunder. Die Physiognomien der beiden Herren hellten sich auf, und aus den gestrengen Profosen wurden die liebenswürdigsten Gentlemen. Für’s Erste wurde ich ersucht, in das Zelt des Commandeurs der ersten Division zu treten, um an dem heiß und echt russisch servirten Morgenthee theilzunehmen. Darauf geleitete mich der Profos selbst durch das ganze auf dem Plateau oberhalb der Donau liegende Lager, dessen Verschanzung eben beendet wurde.

Im Jahre 1854 war die türkische Kriegführung viel resoluter als heute. Damals setzte eine Abtheilung über den Strom, warf die Russen über den Haufen, und der Halbmond flatterte hier in den Lüften. Widdin, welches heute den rumänischen Kugeln preisgegeben ist, war in ausgezeichneter Weise gedeckt. Heuer hätten die Türken Kalafat ohne Schwertstreich besetzen können, da achtzehn Tage lang sowohl die Stadt wie die damit verbundene strategische Stellung keinen einzigen Vertheidiger aufzuweisen hatte. Warum die Türken diesen Vortheil nicht benutzten, ist eines jener Räthsel, über die man sich den Kopf zerbrechen müßte, wenn man die Mysterien der osmanischen Kriegführung ergründen wollte.

Am meisten wundern sich über diese Nachlässigkeit die Rumänen selbst, die sich indessen beeilt haben, die Position so zu verschanzen, daß ein Angriff auf dieselbe erfolglos sein oder Ströme Bluts erfordern würde. Auf der Hochebene von Kalafat mögen etwa fünfundzwanzig- bis dreißigtausend Mann campiren; es sind Linien-Infanteristen, und dann die „Dorobanzen“, jene der ehemaligen österreichischen Grenzerordnung nachgebildeten Territorialsoldaten, die drei Wochen im Monat als Bauern thätig sind und alle Monat eine Woche Militärdienst schulden. Der Dorobanz trägt eine im Sommer äußerst zweckmäßige und leichte, weiße, mit blauen Borden eingefaßte Leinenkleidung; wird es kühl oder regnerisch, so wirft er die graue Kapuze um; ist’s ihm bei der Schanzarbeit z. B. gar zu heiß, so entledigt er sich seiner Ueberkleider und steht im blousenartigen Hemd da. Auf die Dorobanzen, welche die eigentliche Miliz und schließlich die Nationalgarde (eine Art von Landsturm) abdienen, stützen die Gründer der rumänischen Militärmacht ihre Hoffnungen. Sie glauben, daß in diesen Köpfen, die mit den Fellmützen, wie sie Michael der Tapfere trug, bedeckt sind, auch der Geist dieses Heldenfürsten wohnen wird.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_462.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)