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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Der General Lupo, Obercommandant der in und um Kalafat stationirten Truppen, ertheilte mir in der bereitwilligsten Weise die Erlaubniß, nach Kalafat hinein zu gelangen, und einer der in ihrer unermüdlichen Gefälligkeit unerschöpflichen Officiere nahm mich in seinem Break mit, denn es ist eine gute halbe Stunde vom Lager in die Stadt. Als ich dieselbe betrat und die sauberen weißen Häuser sah, mit den um die ausgehobenen Fensterscheiben sich windenden Oleander- und Espenlaubkränzen, schien es mir, als wäre mir Kalafat bekannt, obgleich ich zum ersten Male in meinem Leben in dieses Revier gelangte. Namentlich die drei spitzen Kirchthürme und die Wirthshäuser mit den luftigen Altanen hatten für mich etwas besonders Familiäres. Ich grübelte nach und erinnerte mich, daß ich vor Monaten Wachenhusen’s „Türkischen Kosak“ gelesen hatte, von dem ein guter Theil in dem, wie sich’s herausstellte, meisterhaft und peinlich genau geschilderten Kalafat zur Zeit des Krimkrieges spielte.

Zwei große Straßen, welche beide zur Donau führen, die hier eine ihrer Krümmungen ausführt, durchziehen, sich in der Mitte kreuzend, das Städtchen. Jedes Haus hat seinen Garten, so zwar, daß die Ortschaft im Verhältniß zu ihrer Bevölkerung einen bedeutenden Flächeninhalt bedeckt. Sie erhebt sich sanft von dem Gelande der Donau bis weit hinein in’s Land. Ich wußte, daß man sich gleich bei Beginn des Kriegs allerlei über das zerfetzte, durch türkische Kugeln in Fetzen zerrissene Kalafat erzählte, aber bei meiner Skepsis sensationellen Kriegsmeldungen gegenüber wunderte es mich nicht im geringsten, nirgends eine Spur der verheerenden Bomben zu treffen. Kalafat’s Häuser stehen ganz und bis jetzt unversehrt, nur im Innern würde man sich vergebens nach einem Bettgestell oder irgend einem Stück Mobiliar umsehen; alles wurde ausgekramt, auf Leiterwagen verpackt und in das Innere Rumäniens versendet.

Seitdem die Türken-Panik aufgehört hat, möchten wohl die meisten Kalafater wieder ihre häuslichen Penaten aufsuchen, dagegen aber legte der Commandant das strammste Veto ein. Kalafat ist seines Erachtens ein militärischer Posten, und nur Militärs dürfen auf demselben verweilen. Unter den Civilisten, welche indessen in Kalafat geduldet, ja recht gern gelitten werden, befindet sich auch ein Vertreter der edlen französischen Kochkunst, den die jüngeren Officiere in familiärer Weise „père Auguste“ tituliren. Der Franzose war stolz auf dieses Prädicat; er ließ eine Tafel anfertigen, auf der folgende Worte zu lesen sind: „Au pére Auguste, restaurant français.“ Père Auguste ist der Liebling der höheren Officierwelt, in seinem von rechtswegen requisitionirten Local finden sich vor anständig, aber mäßig besetzter Tafel (der rumänische Officier schwimmt heute nicht im Solde) Artillerie-, Genie-, Stabs-, Infanterie- und Marine-Officiere. Père Auguste, ein behäbiger Fünfziger, der Typus des französischen Provinzialen, der versteht, sein Schäfchen in’s Trockene zu bringen, fungirt bei der Tafel als Majordomus, erkundigt sich nach dem Appetit und nimmt auch an kriegswissenschaftlichen und strategischen Gesprächen Antheil. Père Auguste gehört heute zum rumänischen Hauptquartier, und wenn die Truppen Carol’s des Ersten wirklich auf andere als moralische Eroberungen drüben in Bulgarien losgehen sollten, so ist Père Auguste bereit, mit seinem Korbe, seiner fliegenden Kuchen-Batterie und seinem Keller auszurücken.

Die rumänischen Artillerie-Officiere, deren nähere Bekanntschaft ich bei Tische machte, sind durchaus junge Leute – tüchtige und resolute Erscheinungen, welche in ihrem festen und zuverlässigen Auftreten echte Repräsentanten des Heereskörpers sind, dem sie angehören. Die präcisen Manöverübungen der rumänischen Artillerie, welche zufällig bei meiner Anwesenheit in Kalafat stattfanden und zu welchen, wenn man will, das meinen heutigen Schilderungen beigegebene Fikentscher’sche Kriegsbild als eine Art Illustration dienen mag, sind bekannt. So überraschte mich auch an diesen jungen Officieren, welche alle noch vor Kurzem auf den Bänken irgend einer französischen Militärschule saßen, in keiner Weise die soldatische Sicherheit und Präcision des Benehmens. Sie haben übrigens sämmtlich durchaus den Pariser Schliff. Der Eifer, von dem diese jungen Leute beseelt sind, schreibt sich jedoch nicht von einem Gefühle des Türkenhasses her; ich konnte mehrmals die Bemerkung machen, daß dem Walachen der Trieb zum Racenhasse ebenso fehlt wie der Instinct des religiösen Fanatismus.

„Wir befinden uns,“ sagte mir ein Officier, „in der Lage eines jungen Mannes, der bei den Damen Glück sucht und auf den diese mit Geringschätzung blicken, weil er noch keine Ehren-Affaire gehabt hat und man von ihm nicht gesprochen hat. Wir müssen eine Affaire haben und sind froh, daß sich die Gelegenheit darbietet, uns ein wenig Namen zu erkämpfen.“ Diesen „Namen“ soll man sich nächstens bei einem Bombardement von Widdin holen.

In der That! Die türkische Festungsstadt liegt so herausfordernd vor den Augen. Wenn man, wie ich es nach dem Frühstück bei „Père Auguste“ in der Gesellschaft der jungen franco-rumänischen Officiere that, den Hügel erklettert, auf dem die Batterie Carol des Ersten aufgewürfelt wurde, und durch das ausgezeichnete Fernrohr hinüberblickt über den mit majestätischer, feierlicher Stille dahingleitenden Strom, so erblickt man Haus an Haus. Dieses niedrige, aber breit angelegte Gebäude, unmittelbar hinter der weißen Ringmauer, ist der Konak, das Palais des Generalgouverneurs. Unter demselben steht zwischen zwei hohen Thürmen das sogenannte Bulgarenschloß, eine Veste, die aus dem dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert stammt. Dann schweift das Auge über einen Knäuel kleiner elender Baracken, über welche sich stolz ein Dutzend Minarets erheben; hui! wenn da ein paar Petroleumbomben hineinflögen! Etwas seitwärts von der blanken Ringmauer erblickt man ein großes Fort; auf den weiten Wällen steht eine Gruppe Menschen und blickt zu uns herüber, wie wir nach ihnen. Hinter der Festung dehnen sich wie Schaumwölkchen die schneeweißen Lagerzelte aus; links und rechts der Türkenfestung prangt die Natur in ihrem üppigsten Schmucke, während der Balkan mit seinen hoch emporragenden Spitzen die großartigste Staffage, die man sich denken kann, bildet. Das Wetter ist freundlicher geworden; gegen Abend verscheuchen die Sonnenstrahlen gänzlich die vom Landregen übriggebliebenen düsteren Gewölke, und mit olympischer Gelassenheit, wie ein feuriger Gott, versenkt sich die Sonne hinter den Bergen.

Der Abend und die Kühle mahnten uns daran, das Nachtlager beim Vater Augustus aufzusuchen. Es war ein wenig militärisch: ein sehr harter Strohsack, daneben ein Strohstuhl. Das Felleisen ersetzte das Kissen, und der Plaid diente als Decke. Aber nach einer Nacht in der Diligence hat man es nicht nöthig, auf Rosen gebettet zu sein, um fest einzunicken. Das that ich auch pflichtschuldigst, als läge ich im schönsten Schlafzimmer des ersten Bukarester Hôtels. Eine Aehnlichkeit hatte indessen mein Nachtlager mit einem derartigen Gemache – den Preis.

Doch nicht die ganze Nacht sollte mir die wohlthuende Ruhe gegönnt sein. Plötzlich schreckte mich ein starkes Geknatter aus meinem Schlummer; ich eile in den „Salon“ hinab, wo ich den franco-rumänischen Kochkünstler mit seinem ganzen Generalstabe ebenfalls aus nächtlicher Ruhe aufgescheucht vorfand. Die Leute standen rathlos da und munkelten etwas, wie von einem Ueberfall der Türken, was ja bei der Nähe der Positionen gar nichts Unwahrscheinliches hatte. Da klopfte es an die Thür. „Père Auguste“ schrak zusammen – vielleicht sah er sich bereits als Opfer der wilden Tscherkessen. Aber da klopfte man zum zweiten Male, und es war eine befreundete, correct französische Stimme, welche da bat, aufzumachen. – Auf der Straße standen in der Mitte von etwa zwanzig Dorobanzen zwölf Stück sehr schöne Ochsen; ein junger Officier, der Anführer der kleinen Rotte, aber wendet sich zu dem Kochkünstler:

„Sie beklagten sich über den Mangel an frischem Rindfleisch; hier bringen wir Ihnen vom anderen Ufer ein Paar Portionen bulgarische Beefsteaks.“

Noch knallten einige Schüsse, und dann herrschte wieder idyllischer Friede in der Kriegsposition Kalafat. Mir summte beim Anblicke von Türken und Russen das bekannte Lied vor den Ohren:

„Wir sitzen so fröhlich beisammen,
Und haben einander so lieb.“

Paul d’Abrest.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_464.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)