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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


den irgend ein Frauenleben erzielen kann. Warum aber suchen ihn nur so Wenige? Warum dieser Mangel an Pflegerinnen bei dem allgemeinen Nothschrei nach einem entsprechenden Berufe für die Unverheiratheten? Kann es denn eine glücklichere, unabhängigere Lage geben? Schließt das Fach nicht Alles ein, was dem Frauenherzen sein Genügen bringt, während das Talent so schwer auszubilden, eine Kunst so schwer anzubauen ist, mit solchen Opfern an Zeit, mit solchem Aufwande von Mitteln errungen wird und dabei in den Erfolgen so unsicher bleibt?

Neigung zur Krankenpflege hegt im Grunde doch die größte Zahl der Frauen. – Wir haben es in den letzten beiden großen Kriegen gesehen, wie opferfreudig sie sich hinzudrängten, um Hülfe zu leisten, wir haben dabei aber auch die traurige Erfahrung gemacht, daß nur solche Pflegerinnen von wirklichem Nutzen sind, die sich für diesen Beruf vorbereitet haben. Warmes Mitgefühl, rege Theilnahme für die Leiden und Schmerzen des verwundeten Bruders kann die mangelnden Kenntnisse nicht ersetzen. Wunden wollen verbunden sein, wenn sie heilen sollen, und diesen Verband muß man anzulegen verstehen. Noch so heiß geweinte Thränen stillen keine Verblutung, ziehen kein Geschoß aus klaffenden Wunden – kurz: Wollen ohne Können ist gerade dort von weittragendster Gefahr.

Sollte man nun nicht gern der Wiederkehr solcher mißlichen Zustände vorbeugen wollen, nicht gern bedacht sein, die Rolle der vorsichtigen Jungfrauen zu spielen? Daß dies der Fall sei, ist der Wunsch des vaterländischen Frauenvereins; dazu bietet er in redlichster Absicht die Hand und ist erstaunt, daß so Wenige diese Hand ergreifen. Woran mag es liegen?

Vielleicht ist der Weg, den man einzuschlagen hat, noch zu unbekannt, das gesteckte Ziel in Friedenszeiten dem Auge des Fernstehenden verhüllt. Viele schreckt auch wohl das Wort „Hospital“, mit dessen Klang man Ansteckung, Pest, allerlei üble Gerüche und versunkene Menschen verbindet. Im Kriege denkt man an dergleichen nicht – da sieht das Auge der Frauen nur die für das Vaterland blutenden Helden, und auch die schwieligste Hand, die einen Finger einbüßte, netzt die Thräne des Mitgefühls. Nüchternen Sinnes aber ergreift die Frau ein Schauer bei eben den Leiden, denen sie sich, getragen von ihren Empfindungen, so opferfreudig leiht. Was ihr auf dem Schlachtfelde leicht fiel, wird ihr in einem engen Raume schwer; ihre Nächstenliebe, die von keiner Begeisterung getragen wird, erkaltet vor dem Anblick einer widerlichen Krankheit.

Wenn es Mode würde, Spitäler auf seinen Vergnügungsreisen zu besuchen, wie man Kunsthallen besucht, so würde manche Frau erkennen, daß dort das Gebiet ist, wo sie zu herrschen von der Natur berufen ist, und ihr Vorurtheil würde schwinden. Beginne sie doch einmal über eine solche Schwelle zu treten, wo Frauenregiment schon seinen verschönenden, säubernden Einfluß geübt hat! Schelle sie z. B. einmal an der Pforte des Stadtkrankenhauses in Karlsruhe und verlange die Oberin zu sehen! – Am Ende eines langen Ganges liegen deren Zimmer. Man läßt sie eintreten. Sie erscheint nicht gleich; dies gewährt Zeit, sich umzuschauen. Die Einrichtung ist behaglich, ist elegant; vielleicht sind es eigene Möbel. Dort steht ein Damenschreibtisch, daneben Blumen auf schön geflochtenem Gestell, dann kommt ein Clavier, ein Bücherschrank; alles bekundet Bildung. Der Vogel zwitschert im Käfig; vor dem Sopha steht noch das Frühstück. Durch die offene Seitenthür gewinnt man den Einblick in das Schlafgemach. Jetzt tritt sie ein, eine hohe, schlanke Gestalt, auf der Brust das rothe Kreuz, auf dem reichen blonden Haar das Häubchen. Gern geleitet sie den Besuch durch die Säle. In den reinlichen, gut gelüfteten Räumen sieht es vortrefflich aus; die Wäsche ist weiß; die Fenster sind spiegelhell. Die dienenden Schwestern, in sauberen Hauskleidern, bewegen sich geschäftig hin und her. Die Kranken erster Classe befinden sich in abgesonderten Zimmern, Jeder für sich allein.

„Zu diesen habe ich, während meiner Lehrzeit, selbst gehört,“ bemerkt die Oberin. „Um die Pflege praktisch zu lernen, läßt man sich in dieser Weise aufnehmen und zahlt dafür monatlich neunzig Mark. Der theoretische Unterricht ist dagegen unentgeltlich. Ein Jahr reicht hin, um seine Studien zu vollenden. Zeit und Erfahrung thun das Fehlende.“

„Sie sind glücklich hier? Sind Sie zufrieden?“ fragt der Besuch.

„Vollkommen!“ heißt es zurück. „Denn mein Beruf giebt der Thatkraft meines Herzens volles Genügen; meine äußere Lage ist vortrefflich; ich kenne keine persönliche Abhängigkeit; die Pflicht allein gebietet über mich. Ich kenne keine Sorge, kann ruhig der Zukunft entgegensehen und danke Gott täglich, daß er meine Schritte hierher gelenkt hat.“

Amely Bölte,
Verfasserin des „Frauenbrevier“ (Leipzig, J. Günther).




Der Tummelplatz bei Innsbruck. (Mit Abbildung s. 479.) Wer die freundliche Landeshauptstadt von Tirol besucht, versäume nicht einen Ausflug nach dem nur eine kleine Wegstunde entfernten Schlosse Ambras zu machen! Ist die berühmte Ambraser Sammlung, die Erzherzog Ferdinand angelegt, auch längst nach Wien gewandert, so üben doch die herrliche Lage der Burg, die lohnende Aussicht, einige Reste der werthvollen Sammlung und die historischen Erinnerungen eine mächtige Anziehungskraft. Der Ursprung des Schlosses soll noch in Römerzeiten zurückreichen. Vermuthlich stand hier damals ein Wartthurm, an den sich allmählich spätere Zubauten ansetzten.

Nachdem im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Herren auf Ambras gesessen, wurde es bekanntlich im Jahre 1563 vom Kaiser Ferdinand seinem Sohne, dem Erzherzog Ferdinand, übergeben, der noch 1567 die Burg erweitern und verschönern ließ. Weite Prachtsäle und glänzende Gemächer, deren Tirol früher nie gesehen, stiegen empor und wurden mit kostbaren Gemälden und Statuen geschmückt, Kunstsammlungen, eine reiche Bibliothek und naturhistorische Museen wurden angelegt. Aber alle Sammlungen überstrahlten seine Rüstkammern, in denen über hundert Harnische und Waffen der berühmtesten Fürsten und Krieger seiner Zeit und der nächsten Vergangenheit ausgestellt waren. Der kunstsinnige Erzherzog hatte die Burg mit aller Pracht des sechszehnten Jahrhunderts ausgestattet und die Umgebung derselben in einen Feengarten verwandelt. Die seltensten Blumen schmückten die Beete, Bosquete und Haine; schöne Obstgärten, Weinberge und Thiergehege wechselten in bunter Folge. Labyrinthe und kühle Grotten, riesige Teiche, hochspringende Fontainen und rauschende Cascaden überraschten den Besucher. In diesem Paradiese hielt der Erzherzog an der Seite der schönen Philippine den glänzendsten Hof.

Mochte der für Kunst und Literatur begeisterte Herr hochgelehrte Männer seiner Zeit in seiner Umgebung haben, so wurden die wissenschaftlichen Bestrebungen und die Theilnahme an der Kunst durch das höfische und ritterliche Treiben überwogen. Reiten, Tournieren und Lanzenstechen waren die Lieblingsunterhaltungen am prachtliebenden Hofe. Um einen Platz zur Dressirung der Pferde und zu ritterlichen Uebungen zu gewinnen, wurde westlich vom Schlosse eine kleine Waldebene gelichtet und ein „Tummelplatz“ hergestellt. Welch malerisches, buntes Bild mochte es gewesen sein, wenn auf diesem von altem Fichtenwalde umzirkten Plane Rennen und Stechen stattfand und die schönsten Frauen dem lustigen, hurtigen Treiben zusahen! Das bunteste, lachendste Bild, umgeben vom dunkelgrünen Rahmen der riesigen Nadelbäume.

Doch die Herrlichkeit von Ambras fand auch endlich ihr trübes Ende. Und sobald das reiche Leben auf der erzherzoglichen Burg verstummt war, trat Ruhe auf dem waldkühlen Tummelplatze ein, der nun ein stilles Plätzchen war, auf dem die Elben in mondscheinhellen Nächten ungestört hätten tanzen können. Der einst von Ritterpracht strahlende Plan ward einsame Waldwiese, und männiglich vergaß der stillen Oase.

Als im Jahre 1796 das prächtige Ambras zum Militärspitale degradirt worden und eine Epidemie viele Opfer gefordert, gedachte man wieder des alten Reitplatzes, und man grub auf diesem stillen Grunde den geschiedenen Kriegern ihr letztes Bett. Fromme Hände setzten auf die frischen Gräber hier und dort ein Kreuz. Wie aber das deutsche Gemüth seit den ältesten Zeiten sich im Walde der Gottheit und dem Göttlichen näher wähnt, so fühlten Viele sich vom einsamen Waldfriedhofe wunderbar angezogen und glaubten, daß ihr Gebet aus der säuselnden Waldöde leichter zum Himmel dringe und gnädige Erhörung finde. Der Platz, wo Pferdewiehern und Kampfruf erschollen, ward ein stilles Waldheiligthum, wo fromme Beter knieten und flehten. Kreuze und Capellen erstanden, und moosbebartete Eichen wurden mit heiligen Bildern geschmückt.

Wer das Schloß Ambras besucht, der steige, nachdem er die lachende Fernsicht des Schlosses genossen, zum waldumhegten Naturtempel des Tummelplatzes empor, wo die Bäume säuseln, die Waldvöglein zwitschern und singen und der Gekreuzigte milde niederblickt. Wer aber, der den Tummelplatz betritt, denkt nicht an Tacitus, der von den Germanen sagt: „Haine und Forste nehmen sie zu ihren Heiligthümern und geben so Götternamen dem einsamen Wesen, das sie nur in der Anbetung sehen.“ (Germ. IX.) – Dieser altgermanische Zug lebt im Tirolervolke noch fort, denn seine beliebtesten Wallfahrtsorte stehen auf einsamem Waldgrunde.

Wir schließen aber mit dem Anfange eines Gedichtes, das vor mehr als zwanzig Jahren ein Tiroler dem Tummelplatze gewidmet:

„Ein waldumhegter Plan! Die Fichten halten Wacht
Um’s stille Heiligthum und lispeln leis’ und sacht,
Wie wenn ein Freund zum Freunde flüstert.
Es ist ein eigner Platz – das hab' ich stets gefühlt,
Wenn in dem Waldesgrün die Luft des Abends spielt,
Und sich das weite Thal umdüstert.“ –




„Deutscher Volkshumor“. Wer über den Humor ein Buch schreibt, muß selbst mit dieser Gottesgabe behaftet sein, sonst verdorren die vielen bunten Blumen, mit denen er es zu thun hat, unter seinen Fingern gar leicht zu Heu. Diesmal ist zu dem keck und immer blühenden Stoff der rechte Mann gekommen, Moritz Busch, den auch die Leser der „Gartenlaube“ als treuen Pfleger heiteren Volksthums kennen gelernt haben. Busch stößt in seinem Buche, das bereits in zweiter Auflage bei Fr. W. Grunow in Leipzig erschienen ist, sein Publicum nicht gleich mit einer doctrinären Reflexionsmiene zurück, die in Vorreden und Einleitungen erst die Entschuldigung und Erklärung ihres Daseins vorbringt, sondern führt in schlauester Manier seinen Leser sofort in „das Narrenzeitalter der Deutschen“ ein, bringt ihm aber, gemüthlich plaudernd, gleichsam im Vorbeigehen, Alles her, was ein steifleinener Gelehrter hergebrachter Weise in Vorrede und Einleitung vertheilt haben würde.

Wie ämsig (das Wort kommt von Ameise, Aemse her) Busch in den reichen geschriebenen und gedruckten Schätzen des deutschen Volkshumors herumgearbeitet, dafür zeugt der stattliche Inhalt seines Buches, den er in fünfzehn Abschnitte vertheilt hat. Nachdem er das „Narrenzeitalter“ mit dem Ende des 15. Jahrhunderts uns vor der Nase abgeschlossen hat, läßt er den Humor als „Namengeber und Verleumder“ vor uns erscheinen, und diese schlimme Passion des Humors äußert sich erst recht ausgiebig in den vier nächsten Abschnitten, welche „die deutschen Narrenstädte im Allgemeinen“, dann „die Narrenorte und Necknamen in Norddeutschland“, hierauf „die süddeutscher Lalenbürger und Spitznamen“ und endlich „die Schildbürger und Spitznamen außerhalb Deutschlands“ vor uns aufmarschiren lassen. Bereits in die herrlichste Stimmung versetzt, freuen wir uns über „komische Inschriften an Häusern, Geräthen etc.“, erquicken uns nicht minder an den mancherlei „Dingen, Zuständen und Thätigkeiten des Lebens in der Sprache des Volkshumors“, der auch in „komischen Redensarten und Sprüchwörtern, Appositionen und Priameln“, wie auch in „Räthseln“ Erkleckliches leistet. Selbst mit „Lügenliedern und Lügengeschichten“ werden wir nicht verschont und machen mit Hülfe der „Dummheit in Märchen“ die Bekanntschaft einer hübschen Anzahl von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_481.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)