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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Ein Bauernspiel in Brixlegg.
Von A. Godin.


Brixlegg hat für die Leser der „Gartenlaube“ bereits einen bekannten Klang. Vor drei Jahren theilte sie ihren Lesern die Beschreibung eines dem Oberammergauer nachgeahmten Passionsspiels mit, und bei dieser Gelegenheit nahm auch die herrliche Alpennatur die Augen gefangen. Um dem Leser das Bild von Brixlegg und seiner Umgebung noch besser in Erinnerung zu bringen, ist es wohl vorzuziehen, lieber die Illustration, als die Beschreibung der Ortschaft hier noch einmal folgen zu lassen.

Als wir vor circa vierzehn Tagen, zur Sommerfrische hier eingetroffen, in der umfangreichen Bretterhütte jenseits des Alpbaches, welche nur dem Bühnenzwecke dient und seit Jahren geschlossen stand, allerlei geheimnißvolle Geschäftigkeit bemerkten, war unsere Freude groß. Bald bestätigte sich die Sage der bevorstehenden Aufführung eines Ritterstückes, das nach alter Ueberlieferung ganz neu für das Bauernspiel eingerichtet und besonders „fein“ sei. Die Nachbarin erzählte von herrlichen Garderobe-Stücken und neuen Decorationen, welche vor Kurzem beschafft worden wären und viertausend Gulden gekostet hätten. Spät Abends, nachdem Feldarbeit und Nachtmahl vorüber, hörte man aus dem Musentempel rauschende Musik erklingen; dann wurden die Proben abgehalten, welche sich jedoch in Geheimniß hüllten, um die Ueberraschung desto lebhafter wirken zu lassen.

An einem regnerischen Sonntage, dem zweiten des Juli, prangten die in schweigender Nacht befestigten, leuchtend gelben Theaterzettel an Häuserecken und Bretterwänden.

Das angekündigte Spiel trug einen vielverheißenden Titel:

Der Schwur um Mitternacht,
oder
Das Gottesgericht.
Großes Ritterschauspiel mit Arien, aus den Zeiten der Kreuzzüge.
Für die Volksbühne ganz neu bearbeitet.

Die nun folgenden „Personen“ werden wir durch den Verlauf des Stückes kennen lernen.

Noch ehe die Casse geöffnet war – ein viereckiger Ausschnitt in der Bretterwand, hinter welchem der Cassirer stand wie eine Figur in der camera obscura – drängten sich die ungeduldigen Zuschauer bereits um dieselbe. Lachende Mädchengestalten, die unter dem runden Hut mit Goldquaste doppelt freundlich drein schauten, all die sonntäglich geputzten Insassen Brixleggs und manches umliegenden, durch abweichenden Schmuck der Kopfbedeckung kenntlichen Ortes bewegten sich fröhlich durch einander und verriethen angeregteste Erwartung. Bei so erfreulichem Anlaß schmückt sich Alt und Jung mit frischen Blumen; selbst das runzeligste Mütterchen trägt da eine rothe Nelke, oder gar ein Röslein hinter dem Ohr.

Kaum hatten sich die drei Pforten des Heils aufgethan, als das geräumige, sechs- bis achthundert Personen fassende Haus sich zu füllen begann.

Die Bühne, welche sich ganz wesentlich über den Zuschauerraum erhebt, überraschte uns schon bei niedergelassenem Vorhang durch eigenthümliche Anordnung, welche theils an das Schauspiel der Alten, theils an die Passionsspiele erinnerte. Das Bild des Vorhanges zeigte Jerusalem; oberhalb desselben ruhte Glaube, Liebe und Hoffnung in Wolken – anmuthige Gestalten, deren stehendem Typus neue Auffassung abgewonnen war; so erschien hier die rosenbekränzte Liebe als junge Mutter, die ihr Kind herzt; ihr zu Füßen schnäbelte sich ein Taubenpaar. Ueber dieser Gruppe schwebte ein Kreuz, von welchem sich Guirlanden aus Blumen und Früchten in weiten Bogen hinzogen, deren Enden von schwebenden Engeln festgehalten wurden. Oberhalb des Kreuzes ein großer Schwan mit seiner Brut; wenn sich dieser stolze Vogel hier als Pelikan geberdete und die Brust aufritzte, daß ihm sein rothes Blut über das weiße Gefieder rieselte, so nahm sich das ganz lieblich aus. Zur Rechten und Linken hielten die überlebensgroßen Gestalten des Moses und Elias in plastischer Malerei ernste Wacht. Große Flügelthüren, welche gleichfalls nur gemalt zu sein schienen, sich aber später als wirkliche Aus- und Eingänge erwiesen, folgten. Ihnen zur Seite, auf Sockeln, links der rothe Wappenlöwe, rechts ein lorbeerbekränzter Augustuskopf in Medaillen; die imperatorische Identität desselben wurde durch die darunter geschriebenen Buchstaben S. P. Q. R. („Senat und Volk von Rom“) jedem Zweifel entzogen.

Hiermit endete die horizontale Linie, und hübsch erdachte, orginelle Prosceniumslogen rückten seitwärts vor. Ihre luftigen Galerien ruhten auf säulengetragenem Unterbau; goldbefranzte Purpurfahnen senkten sich in schweren Brokatfalten darauf nieder. An die Loge links schloß sich eine Rosenlaube, an jene zur Rechten eine Felsgrotte, aus deren Gestein sich leichte Gruppen wirklicher Laubbäumchen erhoben.

Dies Alles wirkte höchst anmuthend; jede Einzelnheit war durchaus frisch und geschmackvoll.

Da keine Festfreude in Tirol ohne Pulvergeknall denkbar, leiteten reichliche Böllerschüsse das „G'spiel“ ein, die erst vor den rauschenden Klängen des Orchesters verstummten, welches, dem Auge unsichtbar, die erste der „Arien“ spielte. Staunend meinten wir uns nach Bayreuth vor Richard Wagner's Schaubühne versetzt, denn die bedeutende Höhe des Podiums täuschte völlig in den Eindruck eines unterirdischen Orchesters hinein.

Nun hob sich die Gardine zum Beginne des ersten Actes: „Befreiung aus Räuberhänden“.

Scene: ein säulengetragener Rittersaal, in dessen Mitte Graf Emmerich von Steinburg steht, mit Schuppenbeinkleid, Stulpenstiefeln, verbrämtem Wammse und riesengroßem Federhute stattlich angethan, überdies von einem goldbesetzten Mantel faltig umwallt, dessen breiter Saum ahnen läßt, daß er ursprünglich für Gewandung eines Heiligen verfertigt worden. Der edle Vater beklagt seine hohen Jahre und denkt voll Sorge an die Zukunft seiner Tochter Hedwig, deren tapferer Bruder im Kreuzzuge ficht. In dem Grafen Steinburg tritt uns einer der besten Spieler der Gesellschaft entgegen; Erscheinung und Rede bezeugen, wie innig er sich in seine Aufgabe vertieft hat. Er ist und bleibt ein echter Ritter von altem Schrot und Korn; jeder Zuschauer fühlt sich von romanischem Bewußtsein ergriffen.

Als nun die Tochter Hedwig auftritt, droht dieser Stimmung allerdings Gefahr. Ihre mit mancher ländlichen Geschmacksäußerung durchmischte Tracht eines Ritterfräuleins umhüllt eine redende Gliederpuppe. Meist steht sie regungslos gleich einer Säule, sobald sich jedoch Gelegenheit zum Affecte ergiebt, tritt sie plötzlich mit drei oder vier weiten Schritten bis dicht an die Rampe vor, breitet dort ganz unverhofft beide hochgepuffte Aermel horizontal aus, um schon im nächsten Momente, wie durch Drähte regiert, ihre Hände zusammenzuklappen und eifrig zu ringen. Und zum Affecte giebt schon die erste Scene reichlichen Anlaß: Der alte Ritter theilt nämlich seiner Tochter mit, daß er einen Gatten für sie erwählt habe, womit Dame Hedwig keineswegs einverstanden ist. Das „Nein!“ welches sie hervorstößt, klingt wie ein Ultimatum, und als ihr der Vater des Freiers Namen nennt, erreicht ihre Bestürzung den Gipfel. Umsonst wird ihr die Aussicht in den lockendsten Farben gemalt, mit diesem Grafen Ubald von Eilenburg, der dreißig Ahnen hat und Kanzler des Markgrafen von Oesterreich ist, nach des Letztern Hofe zu kommen. „Nein!“ und abermals „Nein!“ bleibt ihre mit ausgebreiteten Armen wiederholte Versicherung.

„Warum? wie so?“ fragt der Vater, doch ergreift auch ihn Abscheu und Schauder, als die Maid eine haarsträubende Geschichte berichtet, die sie mit eigenen Augen geschaut: daß nämlich Graf Ubald seine Hunde auf einen Bettler gehetzt und diese dem Armen „alle Kleider vom Leibe gerissen, bis er nackt und bloß an der Erde lag! Lieber in's Kloster!“

„Unerhört! schrecklich! entsetzlich!“ ruft der edle Vater, und gelobt, den Freier fortzuschicken – ein Versprechen, das ihm allerdings, nachdem Hedwig abgetreten, in bedenklichem Lichte erscheint, „weil er alt und Graf Eilenburg mächtig!“ Da erscheint sein mit großer Pracht gekleideter Burgvogt und meldet den Kanzler in Person. Eine steifleinene Gestalt, die, wenn sie wirklich den Teufel im Leibe hat, wenigstens nichts von feuriger Beweglichkeit mit abbekommen, sondern während all seiner Missethaten die Haltung einer Schildwache beibehält. In Gelb und Braun ritterlich angethan, durch einen Hermelinhut ausgezeichnet,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_505.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)