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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Und ich möchte wissen,“ entgegnete lachend der Meister, „wie Ihr, eine so kreuzbrave Person, dem verdächtigen Burschen so die Stange halten könnt.“

Judika kam nicht dazu, die Frage zu beantworten; denn auf dem Gange vor der Thür wurde ein Gepolter hörbar, die Fußtritte eines Mannes, der mit unsicherem Gang herankam und hie und da an die Wand greifen mußte, um sich aufrecht zu halten.

„Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt,“ rief der Meister. „Das ist er ohne Zweifel und wieder einmal schief geladen, wie es scheint.“

Er trat zur Thür, öffnete und auf der Schwelle erschien Fazi, über und über mit Schnee bedeckt, mit rothen, frosterstarrten Händen, aber auch mit rothglühendem Gesicht, nur aufrecht erhalten vom Geiste des Branntweins, der seinen Duft auf mehrere Schritte voraussandte.

„Hab’ ich’s nicht gesagt?“ rief der Meister. „Aber nun ist auch mein Geduldfaden zu Ende.“

Fazi, der nur ein schlechtes Hemd, schlechte Beinkleider und die alte, kragenlose Soldatenjacke am Leibe trug, war dem ungeachtet in der besten Laune. Er schien den Unmuth seines Herrn und Gebieters gar nicht zu gewahren, sondern taumelte seinem Sitze zu, auf den er sich mit schreiendem Lachen nieder ließ.

„Könnt Ihr’s erleiden in der warmen Stube und vor der vollen Schüssel,“ schrie er und schlug auf den Tisch, „während ich fast zu Schanden friere?“

„Ruhig mit dem Geschwätz!“ unterbrach ihn der Hausherr. „Du bist ein unnützer Bursche. Du sollst Dich ruhig halten und froh sein, wenn ich nicht mit Dir rede, wie es sich gehört. Ich will nichts sagen davon, daß Du immer leicht eine Ausrede hast, um von der Arbeit loszukommen, aber ist das ein Anzug für einen ordentlichen Menschen, um etwas auszurichten, wenn er beim Steinbruchmeister Harder in Arbeit steht? Hast Du sonst nichts anzuziehen als diesen blauen Janker, der aussieht, als hättest Du ihn irgendwo an der Straße aufgeklaubt oder als hätten Dir die Schergen den Kragen heruntergerissen? Ich gebe meinen Leuten ordentlich Kost und Lohn, daß sie gut leben und sich kleiden können, wie sich’s für anständige Leute schickt. Ich will Dich die längste Zeit in der Jacke gesehen haben, daß Du es nur weißt, und wenn Du bis heut über acht Tag nicht ein Gewand hast, wie ein richtiger Mensch, kannst Du Dein Bündel schnüren, wenn Du überhaupt etwas zu schnüren hast.“

„Oho, mir kann’s recht sein,“ entgegnete Fazi trotzig. „Ich werd’ Euch überhaupt nicht mehr lang zur Last fallen. Ja, ich will mein Bündel schnüren und geh’ dahin, wo unser einer auch etwas gilt, wenn er auch nicht gleich einen Geldsack mit auf die Welt gebracht hat.“

„Glück auf den Weg!“ sagte der Meister. „Wir werden Dir nicht nachschreien; das ist ja die letzte Hülfe für Alle, die zum Soldaten zu schlecht sind.“

„Oho!“ sagte Fazi, dessen Betrunkenheit in der Stubenwärme sich nicht minderte. „Was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig. Hab’ heut’ erst erzählen hören, daß der junge Himmelmooser Bauer sein Engerl unter den Arm nehmen und auch auswandern will, mit all’ seinem Reichthum. Ich mach’ es auch so. Ich nehm’ meine Kellnerin unter den Arm und sobald ich das Reis’geld beisammen hab’, mach’ ich mich auf den Weg, und um’s Reis’geld ist mir nicht bang.“ Er lachte tückisch in sich hinein und begann mit lallender Stimme zu singen:

„Der g’scheidteste Vogel
Muß der Gugetzer sein.
Die andern bau’n d’ Nester,
Und er setzt sich ’nein.“

Der Meister wollte in Unmuth losbrechen und sprang auf, ein beschwichtigender Blick Judika’s machte ihn aber innehalten.

„Thut mir den G’fallen, Meister,“ sagte sie, „und laßt’s für heute gut sein! Ihr seht ja, daß er nicht in der Verfassung ist, wo man ein vernünftiges Wort mit ihm reden kann. Laßt mich’s morgen mit ihm abmachen!“

„Es ist gut,“ sagte der Meister. „Ist ohnehin schon Feierabend; wir wollen morgen weiter davon reden.“

Die Gesellen erhoben sich, während der Meister an die Thür trat und dieselben an sich vorbeigehen ließ. Jeder tauchte die Finger in’s Weihwasserkesselchen an der Thür und bekreuzte sich; der Meister gab ihm mit ein paar Worten die Arbeit an, die am andern Tage zuerst in Angriff zu nehmen war. Der Einzige, der sich nicht entfernte, war Fazi; er hatte den Augenblick benützt und sich auf die „Hölle“ hinter dem Ofen hinaufgeschwungen, während Judika sich wieder an ihren Arbeitsplatz zu ihrem Strickstrumpf setzte.

„Ich muß heute noch den Strumpf zumachen,“ sagte sie, „und bleibe noch ein Weilchen sitzen. – Gute Nacht, Vetter, und macht es nicht gar zu streng mit dem Fazi! Es wird sich wohl ein altes Gewand für den Burschen finden lassen.“

Kopfschüttelnd verließ der Meister die Stube, in welcher bald die vollständigste Stille waltete.

Geraume Zeit war die rüstige Alte in der geräuschlosen, nächtlichen Stube über ihrer geräuschlosen Arbeit gesessen, dann kam auch für sie die Zeit, wo sie den Schlaf oder doch die Schlafstelle suchte. Sie zündete ein Oellämpchen an und schickte sich an, die Hängelampe auszulöschen. Es wurde noch düsterer in der Stube und schon wandte sie sich der Thür zu, als ein Geräusch vom Ofen her sie festhielt. Der Ton kam von der Hölle, und als sie mit gehobener Lampe hinleuchtete, wurde sie Fazi gewahr, der, als er sich entdeckt sah, sich anschickte, aus seiner Zuflucht herunterzusteigen.

„So,“ sagte sie, „Du bist da? Hast wohl eine wärmere Schlafstelle gesucht? Das geht aber nicht; da kannst Du nicht bleiben. Wirst’s in der Kammer auch schon aushalten können; hast ein gutes Bett und wirst nicht erfrieren.“

„Es ist nicht deswegen,“ sagte der Bursche, die Arme reckend. „Ich wollt mich nur ein bissel auswärmen und abwarten, bis Ihr allein seid. Ich muß Euch doch danken, daß Ihr Euch so um mich angenommen habt.“

Judika betrachtete ihn von unten bis oben und blickte ihm scharf in’s Gesicht, ob wirklich eine Regung des Dankes in demselben zu erblicken war. Sie sah aber nichts als das Zucken boshaften Spottes; zugleich glaubte sie zu bemerken, daß die Aufregung des Branntweins noch nicht verflogen war, und setzte die Lampe wieder auf den Tisch, als wolle sie sich zu einem längeren Gespräch bereiten.

Sie schien einen Entschluß gefaßt zu haben und sich zur Ausführung eines lange vorbereiteten Vorhabens zu rüsten.

„Es ist nicht des Aufhebens werth,“ sagte sie dann, „und meine Fürbitt’ wird auf die Länge auch nichts helfen. Wenn Du nicht ein besseres Gewand hast, wird Dich der Meister in acht Tagen doch fortschicken; er hat sein Wort darauf gegeben, und dafür kenn’ ich ihn, und Du kannst ihn auch kennen, so kurze Zeit Du auch erst im Hause bist. Hast Du denn gar nichts Anderes zum Anziehen?“ setzte sie unbefangen hinzu.

Der Bursche sah vor sich hin; er mochte eine dunkle Ahnung haben, daß er an einer verfänglichen Stelle angelangt sei, wo die Wege auseinander gingen.

„Ich hätte schon etwas,“ sagte er dann, indem er mit scheuem Blick die Stube durchflog, und doch zutraulich gemacht. „Aber ich kann’s nicht sehen lassen.“

Judika bebte zusammen, doch that sie sich Gewalt an, es zu verbergen, und vermochte anscheinend gleichgültig weiter zu fragen.

„Warum denn?“ sagte sie. „Ist es so schadhaft?“

„Ja wohl,“ erwiderte er mit rohem Lachen; „wie Sie es nur gleich so errathen kann! Das Gewand ist schadhaft und schmutzig obendrein.“

„So laß es reinigen und ausbessern,“ sagte Judika, „vielleicht fehlt gar nicht so viel. Wo hast Du’s denn?“

Fazi zögerte wieder einen Augenblick mit der Antwort; er hatte das Ansehen eines Menschen, der frisch gefrorenes Eis betreten will und es vorher vorsichtig prüft, ob es ihn auch zu tragen vermag. Judika kam ihm zu Hülfe, indem sie ihm die Antwort ersparte, sodaß er ihre Frage, ob er das Gewand oben in seiner Schlafkammer liegen habe, mit bloßem Nicken beantworten konnte.

„So bring’s herunter,“ fuhr sie fort, „und laß mich sehen, was noch damit anzufangen ist!“

Er zögerte, sie aber griff, als sie es gewahrte, nach der Lampe.

„Es muß aber heut’ nicht mehr sein,“ sagte sie und zog, um das Gesicht abwenden zu können, mit einer aus dem Haar genommenen Nadel den Lampendocht in die Höhe. „Es ist

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