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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


sich über die Nachricht der Bulgaren über den Paß beim eisernen Thore Gewißheit verschafft hatte. Es war eine Abtheilung der von dem jüngeren Skobeleff geführten irregulären Cavallerie, die im scharfen Trabe gegen das „eiserne Thor“ vorrückte, die Bulgaren an der Spitze. Nach zweitägigem Ritte kam die Schaar am Fuße der Gebirgskette an, wie ein undurchdringlicher Wall stemmte sich ihnen die ungeheure Bergmasse entgegen, und nur in der Nähe wurde die schmale Oeffnung sichtbar, welche in das Herz des Türkenlandes führte. Vier Kosaken ritten voraus; hätten sich die Bulgaren geirrt, oder hätten seit drei Tagen die Türken ihren unverzeihlichen und unbegreiflichen strategischen Fehler gut gemacht und den Paß besetzt, so waren die Vier unausbleiblich geopfert. Nach einer Pause kehrte Einer in gestrecktem Galopp zu der am Eingange haltenden Rotte zurück. „Die Uebrigen todt? Es fielen doch keine Schüsse.“ Der Reiter meldete, die drei Cameraden wären wohlbehalten und unversehrt über den Paß, sie hielten am andern Eingang Wache, die Front gegen Adrianopel gewendet. Sofort raste eine Stafette ventre à terre nach Tirnowa, um dem Generalissimus das glückliche Ereigniß zu melden.


Ein Fußkosake, einen türkischen Vorposten bei Giurgewo beschleichend.
Nach der Natur skizzirt von Capitain N. Karasine.


Nicolaus Nicolajewitsch hatte Befehl gegeben, ihn zu jeder Stunde zu wecken, wenn ein Bote des Generals Skobeleff kommen sollte. Trotz der späten Stunde machte der Courier sofort seinen Bericht. Am nächsten Morgen saß der Prinz mit dem Generalstabschef Nepokoitschsky in der Troika, und unter lustigem Geklingel der Glöckchen ging es nach dem Balkan. Die Fahrt konnte verhängnißvoll werden, denn die ziemlich unwirthlichen Wege hatten kaum einzelne Detachements passirt. Regelmäßiges türkisches Militär hatte sich zwar nirgends gezeigt, aber man war nicht sicher vor dem herumschwärmenden Gesindel der Baschibozouks, Tscherkessen oder anderer ohne Vorurtheile für ihr Privatvergnügen arbeitender Marodeure.

Hatte doch eine solche Rotte sich Tags zuvor bis auf eine Schußweite von dem Hauptquartier gewagt – hungerige Wölfe, die nach Beute spähten, und war knapp zur richtigen Zeit auseinander gehauen worden. Um den Kerls zu imponiren, hatte man mit Aufgebot aller verfügbaren Publicitätsmittel das Standrecht in so fern verkündet, als sämmtliche nicht zum regelmäßigen Militär gehörenden bewaffneten Muselmänner ohne Gnade und Pardon erschossen werden sollen. Es ist dies, wie man versichert, das einzige Mittel, in diesen Zeiten relativ Ordnung zu schaffen. Ohne Unfall, ohne schlimme Begegnung langten der Obergeneral und sein Stabschef an dem „eisernen Thor“ an. Nepokoitschsky kehrte zurück und traf die sofortigen Anordnungen zu einem beschleunigten Anmarsch gegen die von den Türken so willig geöffnete Balkanpforte. Ebenso wie an der Donau nach der Einnahme von Sistowa keine Weile verloren wurde, ging es auch hier im raschesten Tempo vorwärts.

Es ist bekannt, daß eine ansehnliche Macht bereits in der eigentlichen Türkei sich befindet und hier mit Adrianopel auch die Metropole der Sultane, und mit dieser wieder das europäische Gleichgewicht, oder was man noch heute als solches bezeichnet, bedroht. Als die Generäle der alten Schule und vollends die Diplomaten in Bukarest das gelungene Wagstück erfuhren, schüttelten sie bedächtig die Köpfe. Die Ersteren meinten, diese Errungenschaft wäre nicht nach den Regeln erzielt, und solche Vortheile seien gefährlich; die Herren vom grünen Tische aber klagten, daß die Militärs viel zu rasch vorgingen und daß sie, die Diplomaten, sich die Schwindsucht an den Hals laufen müßten, um dem nun eingeführten Tempo folgen zu dürfen. Es ist bekannt, daß jeder Erfolg Rußlands zu vielen Erörterungen führt, daß bei jedem Fuß breit mehr, den russische Soldaten auf Türkenboden besetzen, an die politische Zeitung des Landes mehr oder weniger unverhüllte Fragen gestellt werden, was denn eigentlich nach dem Kriege sein werde, ob man dem Türken ganz den Stuhl vor die Thür Europas setzen wolle, oder ob man ihm nur die blaue Quaste am Fez zur Strafe und Warnung abschneiden solle. Um auf diese Fragen in der gewohnten gewandten, schlauen und ausweichenden Tonart zu antworten, braucht Fürst Gortschakoff Zeit – und die Zeit wird ihm von der raschen Aufeinanderfolge militärischer Resultate nicht gelassen. Ich hatte das Vergnügen, in St. Petersburg die „rechte Hand“ des Fürsten Gortschakoff, Baron J., kennen zu lernen, und ermangelte nicht, demselben im russischen Consulatsgebäude von Bukarest meine Aufwartung zu machen. Es war gerade am Tage, wo man die Einnahme von Tirnowa erfuhr.

„Ja,“ rief Baron J., „was können wir Diplomaten da

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_526.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)