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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Rücken nehmen und tragen mußte. Unter großer Anstrengung waren sie bis in die Nähe des Bruches gelangt; dort an einem Holzschuppen hatte Wildl seine Last abgesetzt, weil das Mädchen über steigende Schmerzen klagte und schnelle Hülfe nothwendig schien. Wenn Wildl seine Schritte verdoppelte und allein vorwärts eilte, konnte er mit der Hülfe in der Hälfte der Zeit wieder zurück sein, die sonst zur Vollendung des Weges nöthig gewesen wäre. Als er in der Nähe des Hauses angekommen und die Fenster noch erleuchtet gesehen, hatte er zu rufen angefangen in der Hoffnung, daß Judika noch wachen, seine Stimme erkennen und dadurch zu doppelt schneller Hülfe herbeieilen würde.

Rasch war von den Arbeitern eine Tragbahre in Stand gesetzt worden, und in kürzester Frist lag Engerl in den Armen Judika’s und des nun von allem Verdacht gereinigten Geliebten. Wohl selten mögen drei Menschen mit solchem Entzücken sich umarmt, selten drei so hoch aufjauchzende Herzen an einander geschlagen haben.

Als man endlich dazu kam, sich gegenseitig Alles abzufragen und zu erzählen, wie das so kommen konnte und gekommen war, konnte Wildl nicht umhin, sich in Danksagungen und Lobpreisungen zu ergehen, wie klug Judika gehandelt und wie ohne sie das unselige Verhängniß, das über den Hof hereingebrochen war, wohl nie zu so glücklicher Lösung gekommen sein. würde.

„Und ich dummer Mensch!“ rief er, „ich habe gewußt, wie gut Du es alleweil mit mir gemeint hast, und habe glauben können, daß Du auf den bloßen Verdacht hin mich aufgeben und verlassen könntest.“

„Mach’ nicht so viel Gerede!“ sagte die Alte, „es ist wohl darnach gewesen. So gern ich Dich hab’, ich hab’ mir selber sagen müssen, wer weiß, ob sie nicht doch an einander gerathen sind, die zwei Hitzköpfe, und doch war immer wieder etwas in mir, das nicht aufhörte zu sagen: es ist nicht möglich; der Wildl kann das nicht gethan haben. Ich hab’ halt nirgends ein Loch gefunden, wo ich hinaus gekonnt hätte, weil ich gar keinen Anhalt erwischt hab’, wer denn sonst das Unglück angerichtet haben soll. Da ist einmal in der Früh, wie es noch kaum grau geworden war und ich die Fensterladen aufgestoßen hab’, der Fazi um den Hof herumgeschlichen wie der Marder um den Hühnerstall. Da ist’s mir auf einmal wie ein Nebel von den Augen gefallen, und ich hab’ an denselbigen Vormittag gedacht, wo er auf dem Hof gemauert und wo der Vater ihn erwischt hat, wie er das Geldkästl im obern Stock hat aufbrechen wollen. Auf einmal hab’ ich gewiß gewußt, daß er das noch einmal hat probiren wollen, daß er dabei mit dem Bauern zusammen getroffen ist und daß ihn kein anderer Mensch umgebracht hat, als er. Zugleich aber ist es mir durch den Kopf geschossen, daß man das fein anfangen müsse, wenn man es ihm beweisen wollte. Am selbigen Tag hab’ ich den Brief vom Vetter im Steinbruch bekommen g’habt; d’rum hab’ ich mich verstellt und hab’ gethan, als wenn er mir leid thät’, und hab’ ihm versprochen, ihm dort Arbeit und Unterkunft zu verschaffen. Er ist darauf eingegangen, mir aber – zu meiner eigenen Schande muß ich es sagen – ist nur darum zu thun gewesen, daß er mir ja nicht aus den Augen kommt und daß ich in der verdeckten Weis’ dahinter komm’, wie es mit dem Knopf ist, ob er nicht auch wie die meisten Burschen eine Joppe mit solchen Knöpfen hat, ob nicht einer daran fehlen thät’ – dann wär’ dem Wildl ja schon geholfen gewesen. Ich hab’ freilich nicht gewußt, wie ich das machen soll, aber in mir ist etwas gewesen wie eine Ahnung, daß ich doch dahinter kommen müßte. Es ist Alles darauf angekommen, daß der Fazi keinen Verdacht gegen mich gefaßt hat, denn wenn ich mich nur mit einem Wörtl verrathen hätt’, wär’Alles verdorben gewesen. D’rum hab’ ich auch gedacht: es ist am besten, wenn gar kein Mensch weiß, wo ich bin, und wenn Alles glaubt, ich wär’ auch bei der Partei gegen den Wildl. In meinem Leben hätt’ ich nicht geglaubt, daß ich soviel zusammenlügen könnt’, wie ich während der Zeit zusammengelogen hab’. Unser Herrgott mag mir’s verzeihen; ich hab’s ja gut gemeint, und er muß doch damit zufrieden sein, sonst hätt’ er’s nicht zu so einem guten End’ geführt.“

„Mein Gott!“ fuhr sie fort, als die beiden Liebenden sich wieder dankbar an sie drängten, und ihre Augen füllten sich mit Thränen, „wie kurz ist die Zeit, daß Alles so schlimm gegangen ist, und jetzt ist es doch auf einen Schlag noch so herrlich geworden. Nur der arme alte Vater hat fortgemußt und hat seinen Zorn so hart büßen müssen. D’rum merk’ Dir’s, Dirndl,“ fuhr sie gegen Engerl gewendet fort, „und nimm Dir ein Beispiel d’ran! Jetzt hat Dich der Bub’ gern; jetzt hast Du ihn noch ganz in der Hand; jetzt ist er wie Wachs. Wie Du ihn ziehst, so hast Du ihn. Er hat ’was vom alten Himmelmooser, und[WS 1] das nicht wenig.“

Die Liebenden reichten sich die Hände zum stummen Gelöbniß des Friedens von der einen wie von der andern Seite.

Fazi’s Geständnis, das er später vor allen Anwesenden wiederholte, beseitigte vollends, was noch etwa an Zweifeln und Bedenklichkeiten übrig geblieben sein mochte. Er bekannte selbst, es sei seine Absicht gewesen, sich an der ihm schon bekannten Stelle das ersehnte Reisegeld zu holen; er habe sich in’s Himmelmoos geschlichen, weil er gedacht, den Bauer allein zu finden, mit welchem er, auch wenn er ihn entdeckte, leichtes Spiel zu haben hoffte. Der Alte hatte aber zu früh das Geräusch gehört und zu rufen angefangen, sodaß Fazi schnell erkannte, daß er sein schon einmal vereiteltes Vorhaben abermals aufgeben und sein Heil in der Flucht suchen müsse. Auf dieser hatte ihn der Alte gewahrt, war ihm nachgeeilt und hatte ihn auch in der Nähe der Kalkgrube erreicht. Er packte ihn und Beide zerrten sich einige Augenblicke herum, wobei sie auf das Brett der Grube zu stehen kamen, das sofort unter ihnen zu krachen begann. Im Augenblicke des Krachens war es dem stärkeren und jüngeren Ringer gelungen, den Alten nach der Grube zu drängen, der sich krampfhaft an ihn zu halten versuchte, und dann mit dem Ausrufe „Hilf, Judika, hilf!“ kopfüber in die Grube stürzte, deren Inhalt hoch emporschlug und den Thäter mit Kalk bespritzte.

Diese Worte, von Judika so glücklich errathen, waren es hauptsächlich gewesen, welche den Trotz seines Wesens gebrochen und ihn zu Boden geworfen hatten. –

Am andern Morgen kehrten die Glücklichen in’s Dorf zurück und auf den Hof, weil nun wohl keine Gefahr mehr bestand, daß man Lust haben würde, den so lange unschuldig Verfolgten wegen des Angriffs auf den Nachtwächter noch weiter zu verfolgen.

Fazi wurde an’s Gericht abgeliefert. Wenige Wochen darauf erfolgte Wildl’s völlige Freisprechung, und der Vereinigung des Liebespaares stand ein Hinderniß nicht mehr im Wege. Ueber Fazi erging das Todesurtheil, aber ein heftiges Brustübel, das ihn rasch im Gefängnisse befiel und dahinraffte, ersparte den traurigen Vollzug.

Eine solche Hochzeit aber, wie die im Himmelmoos, war noch nie gefeiert worden, seitdem man von Hochzeiten in den Bergen zu erzählen wußte. Auf viele Stunden Entfernung strömten die Leute zusammen; denn das Schicksal der Brautleute war weithin bekannt geworden und hatte ebenso wie ihre Liebe und ausdauernde Treue allgemeine Theilnahme gefunden. In der Trauungsrede kam der Pfarrer auf das Wort zurück, das er bei Auffindung des todten Himmelmoosers gesprochen, daß die Wege des Herrn unerforschlich seien und daß man daher sich wohl hüten müsse, auf Jemand einen ersten Stein zu werfen – es sollte wohl eine Art verborgener Abbitte sein, daß er selber so rasch dem Scheine getraut, daß er selber es gewesen, der den ersten Stein geworfen.

Die Kranzjungfern, welche Engerl zum Altare geleiteten, waren die Steiner-Rosel, die einst von der Braut über die Brünnl-Alm heruntergetragen worden war, und trotz ihrer Jahre die alte Sennerin, während Wildl darauf bestand, daß an der Spitze der Junggesellen, die seine Führer waren, der alte Rußländer stand: war er doch der Erste gewesen, der in der Heimath dem Verpönten mit freundlichem Gruße entgegengekommen war. Nach der Trauung versäumte das Brautpaar nicht, das Grab des alten Himmelmoosers zu besuchen; über den Hügel hinweg reichten sie sich die Hände wie am Abende ihres entscheidenden nächtlichen Zusammentreffens an dieser Stelle und wiederholten die feierlichen Gelöbnisse, die sie am Altare ausgesprochen.

Die Reihe der Feste auf dem Himmelmoose aber war damit noch lange nicht zu Ende.

An einem Tage kam im vollsten Sonntagsstaate, von all’ seinen Hausgenossen begleitet, Alle mit Blumensträußen auf den Hüten und in den Knopflöchern, der Steiner Bauer von Stein und brachte, zum Zeichen seines Dankes, die versprochene Kuh; es war wirklich die schönste, die weit und breit aufzutreiben gewesen; sie trug um die Hörner einen Kranz aus den ersten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_529.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)