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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)

Ast ergriffen, er hält sich! – Jetzt kappt er mit dem Dolch das Gezweig nach vorn. Jetzt stemmt er sich auf das rechte Knie und holt mit dem Speer aus ... va ben, va ben! Was sagst Du nun, Du rothbärtiger Hallunke, hast geglaubt, einen Prahler zu narren, daß er beschämt umkehre? Oh bella!“

Den Kopf weit vorgebeugt, mit glänzenden Augen jede Bewegung begleitend und mit südlicher Lebendigkeit ihre Zwecke sich deutend, hatte der junge Welschtyroler eben seinen Commentar beendet, als ein Hornsignal des Prinzen erscholl, dem bald darauf ein zweites antwortete. Noch ein Augenblick, und die öde Stille des Moores war in eine Scene der wilden Jagd verwandelt. Lautes Jubelgeheul der entfesselten Meute mischte sich mit dem Halloh der von Ost und Nord vordringenden Jagdleute und Waldhüter, um von den nächsten Höhen und dem Waldrande in doppelt und dreifach sich kreuzendem Echo widerzuhallen, und verbreitete rings ein diabolisches Getöse, daß Alles, was Leben hatte im Moore, voll Schrecken entfloh. Sumpfschnepfen, Wildenten, Schneegänse stoben in jäher Flucht in die Lüfte; auch der schwarze Schwan hob sich majestätischen Fluges in sein sicheres Element und sah eine Weile von droben auf die ihm machtlos nachgesandten Bolzen mit so königlichem Anstand herab, als nehme er sie wie eben so viel Zeichen der Huldigung mit auf die nordische Heerfahrt. Zugleich aber brach es und prasselte es drunten weithin im Röhricht, und vor dem immer wüthenderen Geheule stob es und schnob es auf den schmalen Dämmen in schwarzen Massen, wie auf Commando, dem einen Hauptstrange nach Westen zu, daß dem jäh emporspringenden Junker schier das Herz erbebte.

„Ohi, animo!“ rief er sich selber zu, riß die glimmende Lunte aus der Höhlung des Stammes, entzündete mit derselben die Lunte im Hahne der Büchse und griff zum Spieße. Aber ein Blick auf den Prinzen, und er dachte nicht mehr an sich. Wie festgewurzelt am Boden, starrte er, die Hand über den Augen, auf das Schauspiel, das sich ihm eröffnete.

Nicht einzeln oder in kleineren Gruppen, wie auch der Prinz gewähnt haben mochte, nein, Kopf an Kopf, dicht zusammengedrängt, einem einzigen schwarzen Heerwurm gleich, schob sich scheinbar langsam und doch in rasender Gangart vor den von fern nachstürmenden Rüden die ganze kaum übersehbare Masse des Schwarzwildes dem Weidenstumpfe zu. Jetzt erst wurde es deutlich, wie unrettbar verloren dort ein Jeder gewesen wäre, der nicht den einzigen Vortheil des Baumes zu benutzen verstanden hätte. Denn so hart an den beiden Rändern des Dammes ras’ten die Reihen des Schwarzwilds dahin, daß nicht selten ein Stück in den Sumpf rutschte und mit grunzendem Angstschrei sich vergeblich herauszuarbeiten suchte, und so erschüttert wurde der knorrige Kopf des Stumpfes von dem Beben des Bodens unter der galoppirenden Menge und ihrem wiederholten Anprall an den Stamm, daß der Prinz, unfähig aufrecht zu stehen, sich auf ein Knie niedergelassen hatte und, mit der Linken eine Hand voll Gezweig ergreifend, den Jagdspeer nur zur Abwehr gebrauchte.

Längst war er dem mit giftigen Blicken zur Seite schielenden Gethier in die Augen gefallen, und manch’ ein „hauend Schwein“ kündete ihm im Vorbeitoben mit wüthenden Lufthieben zur Genüge das Loos an, das ihn unten erwartet haben würde. Aber unaufhaltsam wurden sie weiter geschoben, und bald war der Augenblick gekommen, wo er im Stande war, unter den letzten Reihen seine Auswahl zu treffen. Da – siehe – ein mächtiger Eber! Sollte dieses das berühmte Unthier sein? Schnell stand der muskelkräftige Jüngling aufrecht und schleuderte den Speer. Quer durch den Bug drang der Stahl, und lautlos sich überschlagend verendete das tödtlich getroffene Thier. Eben wollte Maximilian herabspringen, um den Speer wieder zu gewinnen. Da erdröhnte der Damm von Neuem, und wahrlich, das erst war das wirkliche Ungethüm, der „Schrecken der Wälder“! Fast in der Höhe des Stumpfes schnob es daher, den schrägen, vor Bosheit glühenden Blick auf seinen Feind gerichtet, und führte schon von ferne mit den spannlangen Hauern nach rechts und links so gewaltsame Schläge, daß dem Prinzen keine Wahl blieb: hier galt es nur noch, zuvorzukommen. So faßte er denn blitzschnell seinen Entschluß und schleuderte, trotz der ungünstigen Richtung von vorn, dem Ungethüm auf drei Armeslängen den zweiten Speer mit sicherer Hand hinter das Schulterblatt, daß aus der zerschnittenen Bugader ein rother Bogenstrahl hervorschoß. Aber den Sitz des Lebens selbst zu durchbohren, war ihm nicht gelungen. Vorwärts im Schusse bei ihm vorbeistürzend, sank das riesige Thier in die Kniee, hieb wüthend um sich, hob sich wieder, wollte umwenden, dem Todfeinde entgegen, aber der schräge Speerschaft machte jede Wendung unmöglich – mit dumpfem, heiserem Geheule schleppte es sich weiter. Auf einen Blick übersah der Prinz die Lage. Eine solche Trophäe durfte er mit keinem Anderen theilen. Sein Schwert aus der Scheide reißen, herabspringen, dem Ungethüm nacheilen und ihm von der Rückseite die Klinge durch’s Blatt stoßen, war das Werk eines Augenblicks. Dann riß er aus dem jählings Verendeten den Stahl, schwang ihn in der Luft und ließ ein triumphirendes „Hussah“ erschallen.

Aber „Hussah, hussah! Hatz, hatz!“ erscholl auch von Norden her der Ruf des Rothbärtigen, und zwei flüchtige Keiler, von den vordersten der Rüden rechts und links gepackt und sie abschlagend, kamen daher gesaust. Rückkehr zum Baume war schon nicht mehr möglich, Ausweichen auf dem schmalen Damme ebensowenig. Mit einem Ruck suchte der Prinz noch seinen Speer aus dem Eber zu reißen, aber das Gewicht des Unthiers lag zu gewaltig darauf. Es schien um ihn geschehen! Wie sollte ein Mensch solchem Anpralle Widerstand leisten! – Da that er das Letzte. Den getödteten Eber als Schutzwall benutzend, kniete er dicht am Rande des Dammes hinter ihm und hielt, als die Keiler vor den Rüden her auf ihn losstürzten, plötzlich sich aufrichtend, mit lautem Anruf den Anstürmenden das Schwert entgegen. Das Mittel wirkte; sie stutzten und wurden im gleichen Augenblicke von den Rüden gepackt. Aber mit mächtigen Hieben dieselben zurückwerfend, hoben sie sich eben mit doppelter Wuth zu dem verderblichen Sprunge auf den Prinzen: da krachte weithin dröhnend ein Schuß, und wie von unsichtbarer Gewalt auf die Seite geschleudert, stürzte der eine der Eber gegen den andern. Ja, so gewaltig war die Wirkung der achtlöthigen Kugel aus dem schweren Rohre der Hakenbüchse des Junkers, daß sie durch den ersten Eber hindurch auch noch den zweiten verwundete.

Triumphirend schwenkte der glückliche Schütze sein Barett, und in Wahrheit konnte er stolz auf seine That sein. Schon mehrmals hatte er, hinter seinem Stamme gedeckt, in fieberhafter Hast den Lauf gerichtet, stets waren ihm des Prinzen Erfolge zuvorgekommen. Jetzt aber, als er die Lebensgefahr seines Herrn gewahrte, im Augenblicke der höchsten Noth, war er mit rascher Entschlossenheit und sicherer Hand sein Retter geworden. Doch nicht zufrieden, ihn von dem einen Feinde befreit zu haben, griff der brave Junge nach dem ersten Ausbruch seines Jubels auch noch zum Speer und sprang ihm in heller Kampflust, flüchtig wie ein Hirsch, auch gegen den zweiten zu Hülfe. Aber nicht lange. Kaum eine Minute des Laufes, und er blieb stehen, stutzte, und, wie von plötzlichem Schrecken erfaßt, wendete er um und gab schneller, als er gekommen, in verzweifelten Sätzen Fersengeld. Selbst das helle Gelächter des Prinzen, das hinter ihm drein schallte, konnte ihn in seiner wilden Flucht nicht eher aufhalten, als bis er den schützenden Weidenstamm wiedergewonnen. Dort erst faßte er festen Fuß und fällte ritterlich den Speer. Es war eben zur rechten Zeit. Denn der zweite der Eber, als er sich von dem Anpralle seines Cameraden aufgerafft, hatte trotz seiner Verwundung dem Schwertstoße des Prinzen noch ausweichen können und sein Heil in schleppender Flucht gesucht. Der Anblick des wüthenden Thieres aber war genügend gewesen, dem vorwitzigen Pagen die unheilvolle Katastrophe eines Begegnisses auf dem Damme so lebhaft vor Augen zu führen, daß er die so lächerliche Flucht vor dem Fliehenden dem sichern Verderben vorzog. Und wie wenig er gesonnen war, den Schimpf auf sich sitzen zu lassen, bewies er jetzt; denn kaum bot ihm der Eber im Vorüberstürzen die Breitseite, als er denselben mit sicherm Stoße regelrecht abfing.

„Ehi,“ rief er, stolz auf seine Beute zeigend, zum Prinzen hinüber, „was sagst Ihr jetzt?“

„Ma bravo!“ gab der Prinz zurück, und mit einem Hornsignal das Ende der Hatz verkündend, kam er zum Pagen herüber.

„Oh bella, bellissima!“ lobte er, den Eber besichtigend, „Mitten durch’s Blatt! Aus dem Trientiner Jünkerlein kann mit der Zeit noch ein echter Deutscher werden!“

„Grazie tante, Signor mio!“ dankte spöttisch-verbindlich der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_565.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)