Seite:Die Gartenlaube (1877) 566.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Schelm. „Sagt doch der Deutsche selbst: Hinter den Bergen wohnen auch noch Leute!“

„Und recht schnellfüßige!“ lachte Max.

„Bagatella, mi Principe! Es war nur verstellte Flucht!“

„Verstellte Flucht? Ei sieh den welschen Schönfärber! Ich sage Dir, Ceschy, Deine Flucht sah einer wirklichen so ähnlich, daß Du meisterlich gespielt haben müßtest!“

„Oh, oh, scusa! Eine Wildsau ist ein brutales Thier und kein Gegner, gegen den man die Sporen verdienen kann! Aber dazu gebt mir Gelegenheit, und Ihr werdet nicht wieder lachen!“

„Bei Gott nicht! Verzeihe mir's! Du bist ein Braver und mein Retter und wirst die Sporen früh genug tragen!“

Fast gerührt nahm Maximilian den schwarzlockigen Pagen beim Kopf und drückte dem Ueberglücklichen einen Kuß auf die Stirn.

Dann wandte er sich, um nach den Jagdgenossen auszusehen. Der Erste, der vom Damme her nahte, war der Rothbärtige. Mit Ingrimm hatte dieser im Vorübergehen die stolzen Trophäen erblickt, die der Prinz den burgundischen Wäldern entrissen, und in bitterer Enttäuschung war ihm in seiner Muttersprache ein „Que le diable l'emporte!“ über die Lippen gefahren. Aber nicht minder überkam ihn ein Gefühl des Grauens vor der gewaltigen Hand, die Solches mit blanker Waffe vollbracht, und mahnte ihn zur Vorsicht. So trat er jetzt demüthig auf den Prinzen zu und wußte in meisterlicher Verstellung seine Glückwünsche in die schmeichelndsten Worte zu kleiden.

„Das ist er leibhaftig, der 'Schrecken der Wälder',“ rief er rückwärts deutend, „der von keiner anderen Hand fallen durfte, als von der Eurigen, mon Seigneur! Ich werde eilen, die Mähr unserem gnädigen Fräulein in Gent kund zu thun.“

„Steht Ihr in so naher Verbindung mit dem Hofe von Gent?“ fragte nicht ohne Ironie der Prinz.

„Pardon, mon Seigneur, es kehrt ein Bote dorthin zurück, der mir große Bestellung von Schwarzwild für die Hoftafel überbracht hat – zu Ehren der französischen Ambassade!“

„Französische Ambassade? Burgund hat ja Krieg mit Frankreich!“

„Aber man spricht von einem Waffenstillstand, Herr! Der Bote sagt, die Ambassade sei erwartet, um Frieden anzubieten und ein Verlöbniß zwischen dem Dauphin und unserem gnädigen Fräulein.“

Maximilian horchte im Stillen hochauf, aber er verbarg den Eindruck, den die Nachricht auf ihn machte.

„Wirklich?“ warf er hin. „Ich meinte, in Gent regiere jetzt der Herzog von Cleve, der kein Freund der Franzosen ist?“

Ein eigenthümlicher Ausdruck im Auge des Rothbärtigen, als er den Namen aussprechen hörte, fiel ihm wohl auf, aber er wußte ihm keine Bedeutung beizulegen.

„Der Herzog von Cleve?“ erwiderte dieser fast geringschätzig. „Der Herr Herzog soll viel Anhang beim Volk haben, aber man sagt ihm wohl mit Unrecht nach, daß er für unser gnädiges Fräulein an seinen Sohn denke. Der Prinz wäre darnach, einen Herzog von Burgund abzugeben! Verzeiht, Herr, aber es macht mich lachen! ... Nun, mag der Herr Herzog sehen, wie er mit dem Dauphin fertig wird! Meine Bestellung ist für den Hof, mag dort regieren wer will, und ich wünsche mir Glück, daß der Himmel Eure Hoheit hergeführt hat, denn es wird mir Ehre und Belohnung eintragen, wenn ich unserem Fräulein Jagdbeute von so hoher Hand abliefern kann.“

„Dann schickt Eurer Herrin den 'Schrecken ihrer Wälder' mit meinem Gruß!“

„Ein köstlich Stück zum Schmuck der Jagdhalle im Fürstenhof, mon Seigneur, aber nicht für die Tafel! Ist ein uralt Thier! Dort in der Waldschlucht aber haben wir jetzt das ganze Rudel beisammen, und es kann uns nicht mehr entkommen, wenn Ew. Gnaden uns, zu Ehren unseres Fräulein, mit Ihren Leuten dazu behülflich sein wollten. Wir haben auf Ew. Gnaden gerechnet, und es wird für Euch nach solcher harten Arbeit ein lustig désert werden, mon Seigneur!“

„So sei es!“ entschied fröhlich Maximilian. „Habt Ihr uns auf unserer Grenze diese herrliche Beute verschafft, sind wir Euch als gute Nachbarn drüben das Gleiche schuldig, und gern wollen Wir Uns Unserer Base von Burgund verbindlich zeigen!“

Alsbald kam auch der Ritter mit dem Waldvogt, dem Wildmeister und dem ganzen Troß herangesprengt.

„Wohlan, Ihr Herren,“ rief der Prinz ihnen zu, „der 'Schrecken der Wälder' ist gefallen, beschaut Euch Unsere Beute, und dann vorwärts, dem Rudel nach! Wir sind gesonnen, Unserer lieben Base in Gent ein Dutzend Stück für die Hoftafel zu senden, und da Ihr dieses Mal leer ausgegangen seid, so sollet auch Ihr zu Eurem Rechte kommen!“

Besorglich schaute der Ritter drein, und als die Uebrigen sich von dem Pagen zu dem erlegten Hauptstücke führen und sich von ihm berichten ließen, benutzte er ihre Abwesenheit, Maximilian mitzutheilen, was ihn beunruhigte.

„Der Jagdzug über die burgundische Grenze will mir nicht mehr behagen, Herr!“ sagte er. „Der alte Wildmeister selbst ließ wie von ungefähr die Frage fallen, ob Ihr bei so unruhigen Zeiten nicht Scheu empfändet, Euch über die Grenze des Reichs hinaus zu wagen. Und als ich hoch aufhorchte und ihm antwortete, er habe Euch ja selbst dazu aufgefordert, fragte er in seiner mürrischen Art, ob auch wohl keine Zwistigkeiten mit dem deutschen Reiche bevorständen, wie vor drei Jahren, als Karl der Kühne Köln belagerte? Er bemerke, daß seit einiger Zeit neugeworbene Clevische Mannschaften anstatt gegen die Franzosen gegen die deutsche Grenze zögen.“

„Ei, sieh da!“ lachte Maximilian auf. „Sollte der schlaue Clever Witterung haben und Furcht vor mir empfinden? Ich hörte schon von fern dergleichen.“

„Da dem aber so ist, Herr, so kann ich Euch nur abrathen, ohne starke Bedeckung über die Grenze zu gehen.“

„Ei, mein alter Hofmeister, seit wann giebt es beim Jagen, in Begleitung des Nachbarn selbst, eine Grenze?“

„Es ist nicht das, Prinz! Aber wo Unsicherheit möglich ist, dahin soll sich der Erbe des römischen Reiches nicht muthwillig und ohne Zweck begeben.“

„Ohne Zweck und muthwillig? Ich sehe es mit anderen Augen an. Wenn Maria eine Sendung Wildpret von meiner Hand erhält, so wird ihr ein solches Zeichen meiner Nähe und meiner Gedanken an sie auch das Vertrauen auf meine Hülfe neu beleben. Wie dem aber auch sei, ich habe es dem rothbärtigen Wildmeister zugesagt.“

„Nehmt es zurück, Herr!“ bat eindringlich der Alte. „Gerade dem würde ich am wenigsten trauen. Man sieht ihm im Gesichte den Welschen an. Glaubt mir, Prinz, in meinem Alter lernt man beabachten. Er hat keinen guten Blick, und Ihr habt ihm nicht eben Freundliches gesagt.“

„Und doch konnte mich Niemand eindringlicher vor der Gefahr des Platzes dort warnen. Nein, mein Alter, Eure Sorge für mich macht Euch mißtrauisch; ich aber möchte Argwohn am wenigsten gegen Jemand zeigen, der mir eine so herrliche Beute verschafft hat.“

„Ein Vorwand, der ihn nicht kränken kann, ist bald gefunden, Herr. Zieht nur den Junker dabei zu Rathe! Ist ein welsches Handwerk, und er versteht sich darauf.“

„Laßt mir den Junker, Alter! Er ist brav wie Einer, und wer weiß, ob Ihr mich ohne seinen Meisterschuß noch am Leben sähet. Nein, nein, gehet hin, sehet Euch die mächtigen Gesellen an, die wir erlegt haben, und dann zu Pferde! Es bleibt dabei, wir reiten.“

(Fortsetzung folgt.)




Das treue deutsche Herz.
Ehrenkranz für einen Liedertafel-Vater.

„Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst! Auf wenige unserer deutschen Sänger des Volkes dürfte dies Wort berechtigtere Anwendung finden als auf Ihn, der sein oft schmerzlich ernstes Leben durch die heitere Kunst zu verschönen und die Ideale seiner Jugend über alle Schatten, mit welchen das Leben sie zu verdunkeln drohte, bis in ein gottbegnadetes hohes Alter hinauf ungetrübt zu bewahren wußte.

Mit dem Namen „Julius Otto“ wachen tausend liebe

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_566.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2019)