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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


„Tödte mich, Juan, tödte mich!“ rief Charlotte, sich erhebend und ihre Arme öffnend.

„Dich tödten, Charlotte! Ich – Dich – tödten!!“

„Juan, Juan, Erbarmen! Gieb mir den Tod, gieb ihn mir als eine Gnade!“ rief sie und warf sich zu seinen Füßen.

Huesbar zitterte, wie ein Thurm zittert, wenn die Erde unter ihm bebt.

„O, umfasse meine Kniee nicht!“ rief er, „entferne Deine Hände von mir, Charlotte! Zerbrich mich nicht vor diesen Männern hier, laß mir ein wenig Kraft – ein wenig!“

Caspar hob sie auf und führte sie zum Divan; sie war wie todt.

„Jetzt lebet wohl – ich gehe zurück in die Felsen der Sierra.“ Mit diesen Worten schritt Huesbar zur Thür. Da trat Caspar auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Arm:

„Don Huesbar,“ sagte er, „konnten Sie glauben, ich habe heute nicht gehandelt, nachdem ich Sie gestern erkannte? Ich habe dem Gesandten entdeckt, wer Sie sind, und ihn um seinen Schutz gebeten. Er hat in aller Stille Ihre Ausweisung aus Belgien erlangt. Sie finden in Ihrer Wohnung zwei Bewaffnete, welche Sie an die Grenze geleiten werden.“

Huesbar's Auge sprühte. Seine Stirn verfinsterte sich, und ihre Adern schwollen. Er schlug die Arme über einander und sagte mit schneidendem Hohne: „Wie, mein zärtlicher Schwiegervater der Zweite, so viele Mühe haben Sie sich gemacht? So gute Reisegesellschaft haben Sie mir verschafft?“ Und er lachte, wie die traurigen Engel der Verdammniß lachen mögen. Mir wurde das Blut zu Eis – Charlotte erhob das Haupt und starrte ihn an. Und nun richtete er sich hoch auf, und über seine Gestalt und seine gemarterten Züge ergoß sich ein wunderbarer Adel; er maß den erschreckten Caspar vom Scheitel bis zur Sohle: „Glaubst Du, fanatische Amphibie, ein spanischer Edelmann lasse sich von Gensd’armen über die Grenze geleiten? Glaubst Du, Bedienter meines Schwiegervaters, ich nähme mein Schicksal aus Deinen Händen an? Bei Gott und meiner unsterblichen Seele! Die Hunde sollen mich nicht fassen!“ Und schneller, als ich es niederschreiben kann, lief er zum Kamine, bückte sich, und holte etwas aus dem dunklen Herde hervor und erhob sich wieder: „Charlotte!“ rief er wie von fern her; ein Knall erschütterte die Wände des Zimmers – Huesbar stürzte entseelt zur Erde. – Mit einem Schrei, den ich im Jenseits, auf dem seligsten der Sterne nicht vergessen werde, warf sich Charlotte über ihn. Henry wankte hinzu; er hob knieend ihr Haupt empor und glaubte sie todt. Und da – da strich er sanft mit der Hand die bleichen Wangen und – und lachte leise und gutmüthig!

„Henry,“ sagte ich mit Anstrengung, „steh’ auf! Wir wollen sie in ein anderes Zimmer tragen.“

Er sah mich an mit Augen, in denen nichts war als ein Fieberglanz und – o Schauder! er lachte wieder leise und gutmüthig. Mir war, als wände sich eine Schnur um mein Herz, immer fester, immer fester. Langsam löste ich Charlottens Haupt aus seinen Händen; er ließ es geschehen und sah mich gutmüthig an und lachte – lachte – lachte! – Er war wahnsinnig.




Seine Mutter kam und schloß sich mit ihm im Irrenhause ein. Als die Herbststürme wehten, sagte man ihr, daß Henry unheilbar sei; da brachten wir, sie und ich, ihn heim in die Ardennen. Charlotte, die unglückliche Frau, nahm den Schleier im Kloster der Franziskanerinnen in Brüssel.

Henry war sanft und harmlos wie ein Kind. Zuweilen spielte er auf der Geige wirre Melodieen voll schnarrender, peinlicher Töne; dann und wann zog sein Bogen, wie früher, edle, schluchzende Töne, so wie Nachtigallen schluchzen. Er hatte keine Erinnerung mehr dessen, was geschehen war, keine Erinnerung mehr von Charlotte. Gegen Ende des Frühlings zerfiel er zusehends, und als die Haidebüsche an den Abhängen der Berge purpurn wurden, da entschlief er.

Seine Mutter ging nach Brüssel und brachte Charlotte die Nachricht von seiner Erlösung.

„Ist jetzt Friede in Ihrem Gemüth?“ fragte sie.

„Friede?“ sagte Charlotte. „Nein. In meinem Gemüth sind Gram und Reue. Ich hätte sterben sollen, als Huesbar starb; ich wollte es so gern, aber ich war feig; ich hatte Furcht vor dem Jenseits – und Huesbar gab mir doch ein Beispiel hohen Muthes. Jetzt, jetzt ist es zu spät, und ich trage die Folgen meiner Schwäche. Was ich hoffte, ist nicht geschehen. Der Schmerz hat mich nicht getödtet. Er zerbricht mich nicht, und er löscht mich nicht aus. Zwei, die mich liebten, sind jetzt in der Ewigkeit; vielleicht ziehen sie mich bald zu sich hinauf – dann werden wir Schwester und Brüder sein.“

Ich ward der Sohn von Henry’s Mutter. Belgien ward meine Heimath, denn unsere Heimath ist nicht dort, wo wir geboren wurden, sondern da, wo wir lieben. Mutter Flomberg starb in ihrem sechszigsten Jahre, acht Jahre nach Henry’s Tode; mein Stern, ganz in Trauerflor gehüllt, erlosch, ach – nur langsam. – Ich gehe in mein achtzigstes Jahr, und Mutter Flomberg’s Häuschen in dem ich wohne, ist baufällig geworden, wie ich. Wer wird von uns beiden zuerst zusammenbrechen?




Blätter und Blüthen.


Ein Gnadenstoß dem Beelzebub. Wenn uns die Zeitungen von hier und dort wiederum vorgenommenen Teufelaustreibungen berichten, so ersehen wir aus diesen Thatsachen, daß das Licht der fortgeschrittenen Cultur den Teufel noch keineswegs aus dem Glauben und Leben der civilisirten Völker vertrieben hat. Freilich reicht seine Macht heute nicht weiter als der verfinsternde Einfluß eines selbstsüchtigen Pfaffenthums, aber dieser Einfluß erweist sich bekanntlich als ein beträchtlicher und beherrscht noch große Schichten unserer modernen Gesellschaft. Der gesammten ultramontanen Bewegung, die ihre Hauptstütze in der Unwissenheit des großen Haufens sucht, ist der Teufel ein unentbehrlicher Helfershelfer, und man darf einen wesentlichen Theil ihrer sichtlichen Wirkungen und Erfolge auf die Rechnung dieses beängstigenden Schreckgespenstes setzen. Auch die pietistischen Jesuiten des lutherischen Clerus möchten zu ihren Bestrebungen gern den Beistand eines so wichtigen Bundesgenossen gewinnen. Seit Jahrzehnten machen sie unablässig die fabelhaftesten Anstrengungen, dem protestantischen Volke den leibhaftigen Teufel von Neuem an die Wand zu malen. Man braucht nur ihre Predigten zu hören, nur ihre Bücher, Tractätchen und frömmelnden Blättchen anzusehen, um sich von der Heißspornigkeit des Eifers zu überzeugen, mit dem sie diese wohlberechnete Absicht verfolgen. Kurz und gut, das durch alle Jahrhunderte der Menschheit sich fortwälzende Teufels-Ungeheuer, diese unheilstiftende Ausgeburt schwarzer Knechtungsgier, ist nicht gestorben, sondern bewahrt in seinem abgeschwächten Zustande noch Reste einer offenbar so verderblichen Lebenskraft, daß es wahrlich an der Zeit ist, ihm endlich den längst verdienten Gnadenstoß zu geben. Den geheimen und offenen Umtrieben der pfäffischen Agitationen wird man gründlich nicht beikommen, so lange man den Teufelsglauben nicht tödtlich in's Herz getroffen hat.

Dies aber kann nur auf dem Wege der Aufklärung und Belehrung des Volkes geschehen, und für diese Belehrung reicht eine vernunftgemäße Prüfung des Gegenstandes allein nicht aus. Es muß vielmehr den Leuten auch deutlich gezeigt werden, wie ein solcher Wahnglaube überhaupt entstanden und von welchen interessirten Seiten er emsig gepflegt und zu einer Macht herangebildet worden ist, wie er sich entwickelt und was er inmitten der Menschheit geleistet und angerichtet hat. An genügender Ausbeute für diesen Zweck fehlt es nicht, von den Forschungen einer neueren Wissenschaft, den großen Erkenntnissen und Ermittelungen der vergleichenden Religionsgeschichte wird sie in hinlänglichstem Maße geliefert. Der Teufelsglaube ist in seiner Entstehung, seinem Werden und Walten, in seiner Laufbahn durch die Weltgeschichte wissenschaftlich erkannt, und es handelt sich nur darum, dieses gelehrte Wissen so weit zu einem Gemeingut zu machen, als es für die Klärung und Veredelung des Volksbewußtseins, für seine Befreiung von wüsten, unsauberen und nur der hohnlachenden Unterjochung dienenden Vorstellungen nothwendig ist.

Besonders erfreulich ist es daher, daß ein helldenkender Gelehrter, der Professor der Naturwissenschaften Geh. Medicinal-Rath Dr. Karsch, kürzlich in der clericalen Hauptstadt Westfalens drei Vorträge gerade über dieses Thema gehalten und dieselben nunmehr auch durch den Druck dem größern Publicum zugänglich gemacht hat. Das Büchlein führt den Titel „Naturgeschichte des Teufels“ (Münster, Brunn's Verlag) und beweist uns in jeder Zeile, daß dem Stoffe seitens des Verfassers die ernstesten Studien gewidmet worden sind. An der Hand der Religionsgeschichte zeigt er uns, wie der Teufel als ein ursprünglich heidnischer Aberglaube durch Vermittelung des Judenthums in’s Christenthum verpflanzt, wie er unter den Händen der Ultramontanen zu einer albernen Fratze ausgebildet wurde und hier in der Entsetzlichkeit der Ketzer- und Hexenprocesse seine hauptsächlichste Blüthe entfaltet, seine fürchterlichsten und schmachvollsten Triumphe gefeiert hat. Wie wir aber seine Macht zu grauenvoller Herrschaft aufsteigen sehen, so sehen wir sie allmählich auch zu ihrer jetzigen Verdünnung und Abschwächung herabsinken.

Dies Alles wird uns in so übersichtlicher Kürze und doch so erschöpfend in so gemeinverständlicher Sprache und theilweise so humorvoll und ergötzlich vorgeführt, daß sich jeder irgend gebildete Leser von der Lectüre dieses Werkchens neben der nützlichen Belehrung auch wohlthuenden Genuß versprechen darf. Die Absicht ist eine höchst dankenswerthe, möchte sie durch eine Verbreitung des Buches, das nur eine Mark kostet, in den weitesten Kreisen des Volks erreicht werden!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_577.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)