Seite:Die Gartenlaube (1877) 604.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


Es war ein kühler Octoberabend, und wir waren deshalb unserer ziemlich geschlossenen europäischen Visitentoilette froh. Die türkischen Damen fanden es jedoch nicht zu kühl, um Gaze über bloße Arme und Schultern zu tragen. Sie empfingen uns in vollständiger Abendtoilette, die sie freilich, wenn nicht im Negligé, stets tragen. Ihre schönen, vollen Arme und ebensolche Schultern kamen dadurch vortrefflich zur Geltung. Die Damen sahen für dieses Alter – achtundzwanzig und fünfunddreißig Jahre – sehr gut aus, ja die Tante, die Frau Pascha, war entschieden eine türkische Schönheit. Sie hatte ein schönes Profil, nur mit etwas niedriger Stirn, einen blendenden Teint und herrliche, dunkle Augen. Auch ihr Mund war sehr lieblich, voll und frisch roth, und das Lächeln schien unzertrennlich davon zu sein. Ueberhaupt war eine wohlthuende Heiterkeit, gepaart mit Würde, über ihr ganzes Wesen ausgegossen. Sie war wirklich eine „sympathische“ Person, wie man hier im Süden sagt. Ihre Toilette bestand aus einem weißseidenen Unterkleid, über welches ein Ueberkleid von mit Gold bestreutem Tüll unaufgerafft zu Boden floß, und ein blauseidener Gürtel hielt die blousenartig geschnittene Taille fest. Diese war herzförmig ausgeschnitten und eine reiche Brillant-Agraffe nestelte sie an der Brust zusammen. Ein kleiner blauseidener Shawl war durch das Haar gewunden.

Die Nichte trug, auch auf weißer Seide, ein ähnliches Ueberkleid, welches aber nicht von Tüll, sondern von breit goldgelb und weiß gestreifter türkischer Seidengaze war. Eine schwarze Emailbroche mit großen Brillanten prangte am Ausschnitt ihres Kleides. Den blauseidenen Shawl hatte sie aber nicht, wie ihre Tante, zwanglos durchs Haar geschlungen, sondern in strengerer Etikette, als kleinen Turban, auf dem Kopfe befestigt. Sie war dunkelblond, sah phlegmatisch aus und sprach kein Wort.

Die Kinder, unter denen die kleine Türkin an Hübschheit und aufgewecktem Wesen bedeutend von der kleinen Circassierin übertroffen wurde, waren ganz geschmackvoll europäisch gekleidet. Die Großnichte präsentirte sich im grauen Caschmir-Faltenkleidchen und rosa Schärpe und reicher rosa Schleifengarnitur und in lang hängendem reichem kastanienbraunen Haar. Die kleine Circassierin, die in ihrer Erscheinung zierlicher, in ihrem Ausdrucke intelligenter war, als die Türkin, trug ein graues Kleid mit Miedertaille, blaue Schärpe und eine weiße Blouse über den zarten, kleinen Hals.

Nachdem die Kinder ein wenig bewundert worden waren, sprachen wir von allerlei Anderem, auch von Musik, wobei unsere Wirthin erwähnte, daß auch sie früher gespielt habe.

Eine andere Bemerkung war uns amüsant. Die „Hanum“ – das heißt türkisch „Dame“ – bat uns, zu entschuldigen, daß sie uns nicht ihre neuen Kleider zeige. Dieselben seien noch von Constantinopel unterwegs. Es ist nämlich bei den türkischen Damen Sitte, zur Unterhaltung des Besuches, auch wohl zur Befriedigung der eigenen Eitelkeit, die Staatsgewänder auszukramen. Unnatürlich ist dieses ja durchaus nicht, und welche Dame, bei uns und in allen andern Ländern Europas, wäre nicht schon oft von ihren Freundinnen in ein Vertrauenszimmerchen gezogen worden, um eine neu empfangene Toilette oder ein reizendes Hütchen zu bewundern? „Steht es mir auch, und kann ich es tragen?“ Aber das bleiben eben Vertrauenssachen, die man nicht, wie im Morgenlande, bei den ersten Besuchen zu erwähnen pflegt.

Wir sahen nun, daß die türkischen Damen uns ganz natürlich und nach ihren Sitten empfingen und daß es mit einer Aenderung in den Harems zum Modernen, von der man fabelt, nicht so weit her sei. Die Kinder konnten noch kein Wort französisch – „da es noch zu anstrengend für sie sei“. Nachdem noch bemerkt worden war, daß wir die Bastmatten, die übrigens wunderhübsch sind, entschuldigen möchten, „die Teppiche seien noch nicht ausgepackt“, erschien eine Dienerin an der Thür und bat uns, zum Essen hinunter zu kommen.

Vom Vorflur aus gelangten wir, in feierlicher Procession, in den unteren Stock und in eine Art von Vestibül. Wir sahen durch eine Thür in den von einer hohen Mauer umgebenen Garten, wo Wäsche an den Bäumen trocknete. Man sieht, es war auf Eleganz kein Anspruch gemacht; dazu lieben die türkischen Damen viel zu sehr ihre Bequemlichkeit. Ueberhaupt liegen die schönen Einrichtungen des Lebens in orientalischen Häusern nur ganz auf der Oberfläche und erstrecken sich kaum weiter als auf Toilette und Eßservice. Daher die Witze, welche unter den Hiesigen darüber cursiren, daß die Türkinnen dann und wann Betten hätten, aber nie darin schliefen, und daß man in den elegantesten armenischen Häusern schmutzige Stiefel in allen Ecken stehen sähe, welches Letztere ich bezeugen kann. Glücklicher Weise brauche ich hier nicht die Gastfreundschaft mit einem solchen Tadel zu lohnen. Die Bedürfnisse der Türken sind einfach, das ist wahr, aber es fällt einem an Kleidung und Zimmereinrichtung große Ordnung und Reinlichkeit angenehm auf. Die hausfrauliche Aufmerksamkeit unserer liebenswürdigen Wirthin an der Tafel, daß die Dienerinnen auch Alles ordentlich besorgten, machte mir einen besonders guten Eindruck. Und der Blick aus den dunklen Augen war in solchen Momenten gar energisch. Die acht bedienenden Geister, gekaufte circassische Sclavinnen, zitterten davor und gaben sich die größte Mühe, behende und geräuschlos zu sein.

Die Ordnung des Mahles war folgende: Als wir in das kleine, auch weiß angestrichene Eßzimmer traten, hatten wir den hübschen Anblick des schön gedeckten Tisches, auf welchem Candelaber, Silber, Glas und Porcellan den unverkennbaren französischen Stempel trugen. Vor jedem Couvert stand ein mit den zierlichsten Eßwaaren bedecktes silbernes Brett, die Mitte desselben aber nahm eine kleine Schale ein, in der eine dicke weiße Suppe angerichtet war. Ringsum waren auf Puppentellern allerlei pikante kleine Delicatessen geordnet. Zwei lange dünne Brödchen von ungesäuertem Teige fehlten nicht, und dieses Ganze, welches mit Grün und Blumen umkränzt war, bildete den „Iftar“, das heißt den eigentlichen Ramazan-Imbiß, mit dem man die Fasten bricht und den sich der arme Soldat in der Caserne so gut wie der Pascha verschafft und, mit künstlichen Blumen umsteckt, vor sich hinstellt.

Wir ließen uns an diesem Tische nieder und attakirten zuerst den Iftar. Verzeihung, wenn in Folgendem nur von Gerichten die Rede ist! Beinahe zu unserer Betrübniß wurde uns der Iftar schnell weggezaubert. Er sah so niedlich aus. In der Folge kamen allerdings so viele Schüsseln, daß es uns nicht möglich war, den Anforderungen an unsere Eßlust zu genügen. Wir mußten eigentlich, hätten wir es recht überlegt, auch den ganzen Tag gefastet haben. Ueberdies ist es eine große Unhöflichkeit, ein Gericht ungekostet vorübergehen zu lassen.

Das Mahl begann mit jungem Puter, dessen weit ausgehöhltes Innere mit einer Farce aus Bouillonreis und Pinienkernen gefüllt war. Eine sehr empfehlenswerthe Zubereitung. Die Dienerinnen reichten uns französisches Brod dazu und schenkten Wasser ein. Denn so üppig das Mahl, so einfach war das Getränk. Im Harem scheint es also nicht einmal Sherbet (Fruchtsaft mit Wasser) zu geben, während unsere Herren ihn doch im Selamlik bekamen. Dem Puter folgten gefüllte Gurken, ein Gericht, welches man ja auch bei uns kennt; darauf Pilav, das heißt Reis mit Hammelfleisch. Kleine Blätterteigpasteten folgten, dann ein Fischgericht. Nun kam ein süßer, fetter Kuchen, der förmlich Oel und Honig fließen ließ; dann erschienen Hammelfüßchen, ganz wie bei uns zubereitet, und man nöthigte mir eingemachte Pfefferfrüchte dazu auf. Auf die Gefahr hin, mir den Mund zu verbrennen, doch der Warnung eingedenk, nichts abzuweisen, nahm ich davon.

Die Krone des Mahls war ein Harem-blanc-manger, in dessen dicker, überaus feinparfümirter sahniger Masse Mandel-, Nuß- und Pinienkerne verstreut waren; man sagte uns, es sei nach arabischem Recept zubereitet, und reichte uns goldene Löffel dazu. Die Gestalten der Dienerinnen (sie trugen Waschkleider, meist weiß, und weiße Jacken und Kopftücher) huschten mit den leichten Bewegungen der Circassierinnen um den Tisch. Nur eine von ihnen war wirklich hübsch, aber alle hatten einen schönen Wuchs und feine Taillen, sowie einen lichtvollen, intelligenten Blick. Wer kennte nicht das entzückende Bild der Gräfin Potocka? Nun, der Typus der Circassierinnen ist genau in ihr getroffen.

Etwa eine Stunde war vergangen, als wir uns erhoben. Wir folgten dem Beispiel unserer Wirthin, ebenso wie beim Beginn des Mahles, darin, daß wir an einen Waschständer traten und uns Mund und Hand netzten. Nun begaben wir uns wieder in den oberen Stock, wo uns nach wenigen Minuten Parfüm gereicht wurde, um auf’s Taschentuch gegossen zu werden. Dann wurde Kaffee präsentirt. Er wurde auf einem kleinen Dreifuß vor unseren Augen gekocht und uns auf einem mit einer prächtigen,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_604.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)